Polenz in der Presse
04.04.2013, 14:44 Uhr Übersicht | Drucken

IT‘S THE BILDUNG, STUPID


Thorsten trifft Ruprecht Polenz auf ein, zwei Kaffee im Mocca d‘or

am 4.4.2013 für
Stadtgeflüster Münster

Angenommen, der Bundestag bräche zusammen und das Parlament könnte nicht tagen, da alle Mitglieder unerwartet verschollen sind. Dann hätten wir keine Bundeskanzlerin mehr, keinen Außenminister und auch die sonstigen Positionen wären unbesetzt. Chaos bräche aus, niemand wüsste, wer für was zuständig wäre! Niemand? Nicht ganz, denn da gibt es einen kleinen Ausschuss, der wüsste, was zu tun wäre, denn genau für so eine Situation ist er gebildet worden: der Gemeinsame Ausschuss. Der würde einen Notstandsbundeskanzler wählen und die wichtigsten Angelegenheiten könnten geregelt werden. Alles wäre wieder gut. Sie haben noch nie von diesem Ausschuss gehört? Ich auch nicht. Bis jetzt: ich treffe Ruprecht Polenz – der Mitglied in genau diesem Ausschuss ist. Wir sitzen im Mocca d´or, und schon beim zweiten Kaffee wird mir klar:

Sie haben sehr viele Aufgaben, wissen Sie da überhaupt noch, welche alles?
Wie andere engagiere ich mich neben meinem Beruf auch ehrenamtlich. Vom Vorsitz der Helfervereinigung beim THW Münster über den Beirat beim USC Münster, dem Kuratorium der Aktion „Deutschland hilft“ bis zum Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Osteuropaforschung oder dem Hochschulrat der Fachhochschule Münster.



Foto
Grafik erstellt von stadtgefluester-muenster.de

Seit ´84 sind Sie bei der IHK, doch ihre Tätigkeit ruht, seitdem sie einen Sitz im Bundestag haben. Haben sie trotzdem weiter Gehalt bezogen?
Ich habe in der Zeit kein Geld bekommen. Ich hatte aber die Möglichkeit zurückzukehren. Falls ich aus dem Bundestag ausscheiden sollte, falls die Wähler mich nicht mehr gewählt hätten oder ich einfach nicht mehr gewollt hätte; schon zwei, drei Monate später hätte ich wieder anfangen können. Aber inzwischen bin ich 65 und damit ist der ruhende Vertrag in einen Ruhestand umgewandelt worden. Für mich war der Vertrag aber wichtig, weil er mir große Unabhängigkeit von der Politik gegeben hat, ich wollte nie mit Haut und Haaren von Politik abhängen.

Weil Sie Kompromisse hätten eingehen müssen, um ihre Absicherung nicht zu riskieren?
Die Gefahr hätte vielleicht mal bestehen können.

Eines Ihrer vielen Ehrenämter ist das als Mitglied des Fernsehrats. Was genau macht der?
Der überwacht, dass das ZDF die Programmgrundsätze einhält, die im Rundfunkstaatsvertrag niedergelegt sind; er berät die Intendanten und Direktoren in inhaltlichen und strategischen Fragen. Das alles geschieht in insgesamt vier Sitzungen im Jahr. Dazu kommen die Sitzungen der Ausschüsse.

Warum läuft dann im ZDF derselbe Schund wie auf RTL?
Das stimmt nicht. Sie werden etwas wie „Dschungelcamp“ im ZDF nicht finden. Die Diskussion geht um Qualität und Quote. Aber wenn man eine Gebühr hat, die quasi alle entrichten, muss man sie auch dadurch legitimieren, dass möglichst viele das schauen. Beim ZDF haben wir immerhin einen Informationsanteil von fünfzig Prozent durch Nachrichten und Dokumentationen, bei den Privaten vielleicht zehn – auch das ist ein großer Unterschied.

Aber die Aufregung über die neue Gebührenordnung ist trotzdem groß.
Nach meinem Eindruck nicht so groß, wie in mancher Zeitung dargestellt. Die neue Beitragsordnung ist vor allem gerechter, weil sie nicht mehr auf Geräte abstellt, mit denen man fernsehen kann. Der Beitrag bezieht sich jetzt auf die Wohnung, weil die heutige Lebenswirklichkeit dafür spricht, dass es in jedem Haushalt ein Empfangsgerät gibt.

Es gibt aber Leute, die haben keins und sagen, sie möchten nur für etwas zahlen, das sie auch nutzen.
Aber das stimmt doch nicht: weil die natürlich auch eine ganze Menge anderer Dinge bezahlen, die sie nicht nutzen, über Steuern. Im Übrigen wird durch dieses System eine Pressevielfalt erhalten, die ihresgleichen sucht. Ich komme ja viel in anderen Ländern rum und es gibt wenige, wo das Programmso gut und vielfältig ist.

Vielleicht wären die Leute nicht so wütend, wenn das ganze nicht so nach Verschwendung riechen würde.
Wie teuer ist das denn? Da kann ich natürlich nur für das ZDF antworten: nämlich einen Euro – pro Woche. Da ist dann auch der Anteil an Phoenix, Kinderkanal, 3sat, Arte und die Digitalprogramme wie ZDF neo enthalten, alles mit drin. Natürlich ist diese vergleichsweise geringe Summe nur möglich, weil so viele sie bezahlen.

» das ist auf jeden Fall günstiger als das Abo einer Tageszeitung «

Dieser Vergleich hinkt aber doch: ich kann schließlich nicht nur das ZDF buchen, ich muss daskomplette Paket nehmen.
Aber auch, wenn sie die gesamte Gebühr zahlen: sie bekommen mehr an Information und Unterhaltung, als irgendwo sonst – das ist auf jeden Fall günstiger als das Abo einer Tageszeitung.

Finden Sie es richtig, dass die Öffentlich-Rechtlichen dem freien Werbemarkt eine Milliarde Euro durch ihr eigenes Werbefernsehen vorenthalten?
Es gibt natürlich die Meinung, es sollte keine Werbung erlaubt sein. Das würde allerdings im Sportbereich Probleme aufwerfen, da Sie bestimmte Rechte nur bekommen, wenn Sie auch die Sponsoren übernehmen. Wenn wir sagen würden, die schneiden wir raus, würden die verständlicherweise blocken – aber das könnte man vielleicht noch lösen. Darüber hinaus gibt auch ein Interesse der Wirtschaft, im Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen zu werben.

Welches?
Manche Unternehmen wünschen sich für ihre Werbung ein seriöses Umfeld, die möchten nicht in Reality-Shows auf RTL werben.

Also kann man ausschließlich durch ARD und ZDF ein gutes Image aufbauen?
Ich denke, man darf das nicht so Schwarz-weiß sehen. Ich könnte durchaus mit der Entscheidung leben und sagen: das Öffentlich-Rechtliche ist werbefrei, das private Fernsehen hingegenwerbefinanziert, Punkt, fertig, aus. Allerdings nur, wenn die Politik das Geld ersetzt, das durch die Werbung eingenommen wird – das würde ungefähr eineinhalb Euro mehr Gebühr bedeuten.

Eineinhalb Euro – für das ZDF oder das komplette Paket?
(lacht) Für das komplette Paket.

Kommen wir zu etwas, das uns ebenso alle angeht. Leider beschäftigt sich aber damit kaum jemand, vor allem nicht so wie Sie: Syrien.
Richtig, damit beschäftige ich mich schon seit vielen Monaten.

Dort herrscht Bürgerkrieg, aber nehmen wir doch mal an, es sei soweit: Der Krieg ist vorbei, die Dinge gehen einen halbwegs geregelten Gang. Dann sind die nach wie vor vom Öl abhängig – das in etwa zehn Jahren aufgebraucht sein wird. Was tun die dann?
Diese Frage könnten Sie dann für die ganze Region stellen, von Nordafrika bis zur arabischen Welt. Aber ich verweise hier auf das Beispiel Norwegens: die haben auch endliches Öl. Doch da werden die Einnahmen daraus sehr bewusst investiert – eben für die Zeit danach. Sie haben die Wasserkraft ausgebaut und in kleine und mittelgroße Firmen investiert. Der Schlüssel ist Bildung, das gilt für jedes Land. Wir in Deutschland haben auch kein Öl; warum geht’s uns trotzdem vergleichsweise gut? Weil unser Rohstoff in den Köpfen steckt und wenn man so will, auch in den Herzen. Das kann auch der Schlüssel für andere Länder sein.

Dann arbeiten alle Menschen irgendwann mit ihrem Kopf, erfinden, entwerfen oder konstruieren. Vielleicht klappt das in Norwegen und in Münster, aber in Syrien, Kabul und Somalia?
In Syrien haben sie eine vergleichsweise gut ausgebildete Bevölkerung. Außerdem ist Syrien eine begnadete Handelsnation – schon immer gewesen, die haben früher Stoffe und Gewürze aus Asien nach Europa gebracht.

Und heute?
Sie handeln mit Gold, mit Schmuck. Außerdem birgt die ganze Gegend rund ums Zweistromland und das Mittelmeer großes touristisches Potential. Warum fährt man da aber jetzt nicht hin in seiner Freizeit?

Weil man Angst hat?
Genau. Doch wenn diese Spannungen weg wären, gäbe es da große Möglichkeiten. Das merken wir doch auch an uns selber: unsere eigenen Bedürfnisse sind nie völlig erschöpft, wir haben immer noch einen Wunsch offen. Und solange noch Wünsche offen sind, gibt es eben auch jemanden, der dafür produziert.

Das klingt einfach. Dann ist ja alles gut.
Ja, denn so einfach muss man das erstmal erklären. Natürlich, es gibt auch Wünsche, die man nicht kaufen kann – wäre ja auch schlimm, wenn wir die nicht hätten. Aber es gibt Sachen, von denen wir uns gar nicht vorstellen konnten, dass wir sie je brauchen würden. Nehmen Sie den Sportbereich: ich weiß nicht, wann die Surfbretter erfunden wurden, jedenfalls nicht, als ich so jung war, dass ich das hätte problemlos erlernen können. Und heute sehen sie überall Surfbretter. Irgendwann erfindet jemand ein anderes Sportgerät, das wir heute noch nicht kennen, und auf einmal wollen alle das haben.

Aber diese Entwicklungen werden doch nicht in Syrien gemacht.
Das Internet macht ja praktisch fast alle Informationen unmittelbar verfügbar; das muss eigentlich zwangsläufig dazu führen, dass es große Sprünge geben wird – und das eben nicht nur in Deutschland oder den USA. Insofern lässt sich die Erfindung des Internets durchaus mit der Erfindung der Dampfmaschine vergleichen.

Man darf also nicht von heute auf morgen schließen.
Man darf nicht mit dem Blick nach hinten in die Zukunft laufen. Ein schönes Beispiel einer Fehlprognose ist dieses: Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts hatte die Zahl der Pferdekutschen in London drastisch zugenommen. Es hieß, wenn das so weitergehen würde, müssten alle bald im Mist ersticken. Ist aber nicht passiert: das Auto wurde erfunden. Deshalb ist so eine Pferdemist-Prognose eben nicht das, was uns die Zukunft erschließen wird.

Sind aber Ihre Bemühungen um Syrien nicht ein Tropfen auf dem heißen Stein?
Ich glaube, das Leben und die Politik sind wie Fahrradfahren: wenn man aufhört, in die Pedale zu treten, kippt man um; genauso, wenn Sie den Lenker ganz starr festhalten, Sie müssen immer ein bisschen nachsteuern um die Balance nicht zu verlieren. Deshalb lässt sich die Erwartung nicht erfüllen, dass die Politik Gesetze macht, die zwanzig Jahre Bestand haben. Weil sich menschliches Verhalten eben wandelt und darum müssen sie immer wieder ein wenig nachsteuern.

» Der Schlüssel ist Bildung, das gilt für jedes Land. «

Menschliches Verhalten wandelt sich? Ich weiß nicht. Im Internet fand ich diesen nicht gerade wohlmeinenden Text über Sie: Dort stand, Sie seien Antisemit und gleichzeitig Wegbereiter der Islamisierung Deutschlands, machten Lobbyarbeit für eine „fremde Macht“. Nicht nur der Inhalt erinnert arg an vergangene, schlimme Zeiten …
Meinen Sie nuernberg-2.0?

Ja. Allerdings sind die Beweise noch „in Bearbeitung“ – sagen dieselben Autoren.
(schmunzelt) Dann warten wir mal ab. Nein, man muss schon ernst nehmen, was die sagen – aber eben auch nicht allzu sehr, Bildung wäre hier sicherlich auch der Schlüssel. Es ist aber gut, dass Sie das Thema ansprechen, ich sehe selber sehr deutlich, im Internet herrscht ein rauer Wind.

Sie kennen also diese Hass-Seiten?
Ja, es gibt rechtsradikale und rechtspopulistische Gruppierungen, die solche Hass-Internetseiten aufbauen: political incorrect ist eine der bekannteren, dann gibt es eben auch die Seite nuernberg-2.0.

Was tut die?
Die sammeln „Beweise“ für den nächsten „Kriegsverbrecherprozess“! Die haben sich Leute vorgenommen, die sich für ein friedliches Miteinander einsetzen, vor allem auch mit Muslimen. Man muss wissen: Die heutigen Rechtsradikalen haben nicht primär etwas gegen Juden – das haben Sie sicher auch noch –, sie artikulieren sich aber vor allem gezielt gegen Muslime. Und sie sind da von einer Hemmungslosigkeit, die erschreckt. Ich nehme das schon sehr ernst, dass man sich in einer Demokratie auch mit extremen und teilweise zur Gewalt neigenden Strömungen auseinandersetzen muss; aber eben auch, dass man sie bekämpfen muss. Und das trägt einem dann solche Feindschaften ein.

Diese Feindschaften sind nicht ungefährlich.
Das stimmt. Aber wissen Sie: Ignorieren ist zu kurz gedacht, man muss schon aktiv dagegenhalten und darauf aufmerksam machen. Man muss vor allen Dingen auch sehen, dass es inzwischen schonviele Anknüpfungspunkte gibt – das macht die Sache nicht ungefährlicher.

Was meinen Sie?
Wir haben in Deutschland ein eher negatives Islambild in der Breite der Bevölkerung. Trotzdem würden die normalen Menschen natürlich nicht gleich sagen, das alles richtig ist, was bei political incorrect steht. Aber sie würden schon sagen: Naja, so ganz verkehrt ist dieses oder jenes aber nicht. Und da haben Sie dann einen Anknüpfungspunkt, einen, der das ganze Verhältnis ein Stück weiter dreht. Ich setze allerdings eher auf Verständigung und Kennenlernen – ich glaube, vieles beruht nur darauf, dass man nicht genau Bescheid weiß, unzureichend informiert wurde.

Was man kennt, fürchtet man nicht?
Eben.

Also auch wieder eine Frage der Bildung.
Ja, die ist für vieles der Schlüssel.

Apropos Bildung: Sie sind Mitglied im „Gemeinsamen Ausschuss“. Bis gestern hatte ich keine Ahnung, dass es den überhaupt gibt.
Der Begriff stammt aus der Zeit der Notstandsgesetze: Der „Gemeinsame Ausschuss“ ist die Notstandsregierung – im Notfall muss das Parlament in irgendeiner Form ja weiter arbeiten können.Der wird zu Beginn jeder Legislaturperiode gebildet, gewählt vom Bundestag und Bundesrat.

Würden Sie mein Notstandskanzler werden?
Nein, da gibt es dann nicht gleich den festgelegten Notstandskanzler oder Notstandsaußenminister. Zunächst träfe sich ein Gremium, das die parlamentarischen Funktionen ausüben müsste. Aber zum Glück ist das in der Bundesrepublik noch nie vorgekommen und hoffentlich wird das auch nie vorkommen. Übrigens, das wäre auch eine dieser Fragen, auf die Sie selbst auf dem Prinzipalmarkt nur wenige zutreffende Antworten bekämen.



Diese Seite in einem sozialen Netzwerk veröffentlichen:

  • Twitter
  • Facebook
  • MySpace
  • deli.cio.us
  • Digg
  • Folkd
  • Google Bookmarks
  • Yahoo! Bookmarks
  • Windows Live
  • Yigg
  • Linkarena
  • Mister Wong
  • Newsvine
  • reddit
  • StumbleUpon