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27.09.2010, 16:20 Uhr
"Wir können keine Rolle übernehmen, bei der wir uns überheben würden"
Ruprecht Polenz nach seiner Nahostreise im Gespräch mit dem Deutschlandradio

Bei seinen jüngsten Gesprächen in Syrien sei immer wieder gesagt worden, "ihr Deutschen, ihr Europäer müsst eine größere Rolle spielen", sagt der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag, Ruprecht Polenz. Er hält es für sinnvoll, Einfluss auf die Rahmenbedingungen im Nahen Osten zu nehmen, aber nicht Partei für ein bestimmtes Land zu ergreifen.

Jörg Degenhardt: Der Nahe Osten bleibt ein heißes Pflaster. Das liegt nicht nur an Israelis und Palästinensern, die weiterhin eine gemeinsame Sprache suchen, um den Nahost-Friedensprozess wieder in Gang zu setzen. Auch gleich nebenan brodelt es: Das Pulverfass Libanon könnte erneut explodieren: Das Attentat auf Rafiq Hariri, den früheren Ministerpräsidenten, ist noch immer nicht aufgeklärt. In den nächsten Monaten wird die Anklageschrift des UN-Tribunals in Den Haag für die Aufklärung des Mordes erwartet. Und auch die Rolle, die Syrien in diesem Zusammenhang gespielt hat, ist noch nicht geklärt. Gerade zurückgekehrt aus dieser fragilen Region ist Ruprecht Polenz, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, und den CDU-Politiker begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Polenz!

Ruprecht Polenz: Guten Morgen, Herr Degenhardt!

Degenhardt: Zunächst muss ich Sie fragen nach dem Schicksal des in Syrien vermissten Kieler Menschenrechtlers, die Familie des Deutsch-Syrers Ismail Abdi bangt um dessen Leben. Konnten Sie etwas über ihn erfahren, wo er sich möglicherweise aufhält?

Polenz: Dazu kann ich mich - da bitte ich um Verständnis - leider nicht äußern, aber ich denke, es wird alles getan werden, um diese Frage aufzuklären.

Degenhardt: Lassen Sie uns gleich in Syrien bleiben, dort verschwinden Menschen, Menschen werden gefoltert. Muss mehr Öffentlichkeit hergestellt werden über das, was die Machthaber in Damaskus treiben, oder geht das nicht, weil sie vielleicht noch für Vermittlungsbemühungen im Nahost-Friedensprozess gebraucht werden?

Polenz: Ich finde schon, dass man immer Defizite in Menschenrechtsentwicklungen offen ansprechen soll, auch wenn man ein Land als Gesprächspartner braucht, denn es ist richtig: Syrien ist ein wichtiges Land in der Region, und jetzt haben die Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern begonnen, und das Mindeste, auf was wir versuchen müssen hinzuwirken, ist, dass Syrien diese Verhandlungen nicht stört, wenn es schon nicht selbst wieder sich dazu entschließen will, mit Israel vielleicht indirekt Gespräche aufzunehmen.

Degenhardt: Auf welche Stimmung sind Sie da bei Ihren Gesprächen gestoßen? Ist da eine Bereitschaft zu spüren, den vom amerikanischen Präsidenten angeregten neuen Dialog zwischen Israelis und Palästinensern tatsächlich zu unterstützen?

Polenz: Mein Eindruck ist, dass Syrien im Augenblick dabei ist, die eigene Außenpolitik zu überprüfen, ob sie erfolgreich ist, ob man sie ein Stück weit ändern muss. Es gibt eine gewisse Öffnung, es finden mehr Kontakte zu westlichen Ländern statt, auch zu den USA, und in dieser Atmosphäre hatte ich den Eindruck, etwa beim Präsidenten Assad, dass er überlegt, ob die bisherige syrische Politik so strikt weiter durchgeführt werden muss, denn es kommt hinzu, mit dem Verbündeten Iran gibt es Streit über die Frage der Regierungsbildung im Irak, also die Interessen gehen gelegentlich auch ein Stück weit auseinander.

Degenhardt: Wie groß ist das Interesse dort, wo Sie waren, bei Ihren Gastgebern, an der Meinung, die die Deutschen haben?

Polenz: Es wird immer wieder gesagt, ihr Deutschen, ihr Europäer müsst eine größere Rolle spielen. Man muss natürlich dann sich klar darüber sein, dass, wenn einem das gesagt wird, erwartet wird: Und ergreift bitte unsere Partei und überzeugt beispielsweise die Israelis, dass sie das tun sollen, was wir von ihnen wollen. Wir können natürlich hier keine Rolle übernehmen, bei der wir uns überheben würden, und der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern, da sind die Amerikaner jetzt in der Vermittlungsrolle, aber das Quartett, die Europäische Union, die Deutschen können schon hilfreich sein, indem sie versuchen, auf die Rahmenbedingungen Einfluss zu nehmen, unter denen diese Verhandlungen stattfinden und hilfreich zu sein.

Degenhardt: Trotz heftiger Proteste von Israel und den USA will Russland wie vereinbart Schiffabwehrraketen an Syrien liefern. Wie groß ist die Gefahr, dass die Waffen im Konfliktgebiet Naher Osten vielleicht Terroristen in die Hände fallen?

Polenz: Also Syrien ist ja ein Staat mit einer Ein-Parteien-Herrschaft, und die Geheimdienste und die Armee haben das Heft fest in einer sehr harten Hand. Sie kontrollieren das auch, und ich glaube, sie haben kein Interesse daran, Dinge aus der Hand zu geben, die sie dann selber nicht mehr kontrollieren können. Es ist richtig: Wahrscheinlich geht eine ganze Menge über Syrien an die Hisbollah, aber auch die Hisbollah versteht sich als ein Teil des libanesischen Staates, vielleicht sogar inzwischen schon als der maßgebende, weil sie im Süden des Landes großen Einfluss haben und im Rest des Landes ohne die Hisbollah nichts geht. Von daher wird sehr viel davon abhängen, ob jetzt Bewegung in die Gespräche bei den Israelis und Palästinensern kommt, und natürlich dann auch, ob es einen erneuten Anlauf geben könnte in den Gesprächen mit Syrien. Die sind ja schon mehrfach sehr, sehr weit gediehen gewesen, was die Rückgabe der Golanhöhen angeht und die Grenzregelungen, die man dann trifft.

Degenhardt: Schauen wir in den Libanon. Ägypten zeigt sich sehr besorgt über die jüngsten Entwicklungen dort im Libanon. Wie ist denn Ihr Eindruck, Herr Polenz: Wird da möglicherweise bald wieder geschossen?

Polenz: Das war eine ganz merkwürdige Stimmung, die ich gespürt habe. Auf der einen Seite hat mir jeder der Gesprächspartner, vom Ministerpräsidenten über den Parlamentspräsidenten und auch die anderen, die ich gesprochen habe, bestätigt, die Stimmung verschlechtert sich, man redet wieder härter miteinander und der Beginn des Tribunals wirft seine Schatten voraus. Auf der anderen Seite hat mir aber auch jeder versichert, es sei bei den Führern der jeweiligen religiösen oder ethnischen Gruppen niemand, der einen großen Konflikt wolle, und man habe die Sache dann letztlich wohl im Griff, vor allen Dingen, weil auch die Länder, die ja immer von außen in den Libanon hineinwirken und das Land unter Druck setzen und auch in Schwierigkeiten bringen, dass die im Augenblick auch nicht an einem großen Konflikt, etwa an einem Rückfall in den Bürgerkrieg, interessiert seien. Ich gebe zu, das ist keine sehr vielversprechende Form von Stabilität, und man wird sehr genau beobachten müssen, wie es jetzt weitergeht. Was ganz wichtig war: Es ist sehr begrüßt worden, dass Deutschland sich in der UNIFIL-Mission bei der Küstenüberwachung engagiert, und was wir hier relativ wenig besprechen: Es sind ja 11.000 Soldaten aus verschiedenen Ländern im Namen der Vereinten Nationen im Süden des Libanon und sichern dort die Grenze zu Israel, und seit dieser Zeit ist diese Grenze auch ruhig und sicher.

Degenhardt: Vielen Dank für das Gespräch! Am Telefon war Ruprecht Polenz, er ist der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages. Ihnen noch einen guten Tag!

Polenz: Danke, Herr Degenhardt, auf Wiederhören!

 


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