Ruprecht Polenz im Focus-Interview
Online Ausgabe vom 30.04.2011 (Printausgabe vom 02.05.2011)
Das Gespräch führte Margarte van Ackeren
"Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Ruprecht Polenz (CDU), spricht sich angesichts der dramatischen Entwicklung in Syrien im FOCUS-Interview für die Chance einer Vollmitgliedschaft der Türkei aus. Als Mittler könnte das Land seine Rolle Gewinn bringend ausschöpfen.
FOCUS: Herr Polenz, Syriens Präsident Assad ließ offenbar hunderte Demonstranten erschießen. Kann die demokratische Welt da nur zusehen?
Ruprecht Polenz: Nein. Westliche Staaten, darunter auch Deutschland, haben sich bemüht, im UN-Sicherheitsrat eine Verurteilung der Gewalt in Syrien durchzusetzen. Leider bisher vergeblich. Es ist jetzt wichtig, dass nicht im Schatten der Ereignisse in Tripolis die Gewalt in Syrien weiter eskaliert.
FOCUS: Aber soll bloße verbale Verurteilung einen echten Despoten einschüchtern? Ist es nicht Zeit für Sanktionen der Weltgemeinschaft?
Polenz: Die klare Verurteilung der Gewalt mit der unmissverständlichen Forderung der Weltgemeinschaft, das Recht auf Meinungs- und Demonstrationsfreiheit zu achten, wäre ein erster Schritt. Ändert sich nichts, könnten gezielte Sanktionen folgen gegen alle, die sich bei Gewalt gegen Demonstranten besonders unrühmlich hervortun: Angehörige von Sicherheitsdiensten, Polizei oder Justiz.
FOCUS: Wie muss man sich das konkret vorstellen?
Polenz: Es gibt ja Informationen, wer für welche Einsätze die Verantwortung trägt – auch die politische. Solche Chefs von Sicherheitsdiensten kann man auf Listen setzen und ihnen Reisebeschränkungen erteilen. Und: Viele solcher Strategen haben Konten im Ausland, und die kann man sperren.
FOCUS: Wann ist für Sie ein Punkt erreicht, an dem militärisches Eingreifen zwingend
erscheint? Was ist der Maßstab?
Polenz: Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen muss die völkerrechtliche Grundlage dafür schaffen, indem er feststellt, dass der Schutz der eignen Bevölkerungen von einer Regierung in ihr Gegenteil verkehrt wird. Und es muss dann Länder geben, die diese Ermächtigung, diese Schutzverantwortung, wahrnehmen. In der Regel sind zunächst die regionalen Nachbarn gefordert, dann aber stellt sich die Frage der Verantwortung für alle.
FOCUS: Es gibt eine Verantwortung für alle Unterdrückung in aller Welt?
Polenz: Das Argument „Ich kann nicht überall helfen, also helfe ich nirgendwo“ lasse ich jedenfalls nicht gelten.
FOCUS: Ist es in Syrien bald soweit?
Polenz: Ich mache mir Sorgen, dass sich Syrien auf eine weitere Eskalation zu bewegt. Deshalb ist es wichtig, dass die internationale Gemeinschaft ein unmissverständliches Stopp-Zeichen setzt.
FOCUS: Die Türkei hat eine 900 Kilometer lange Grenze mit Syrien. Welche Rolle sehen Sie für die Türkei?
Polenz: Die Türkei hat ihr Verhältnis zu Syrien wesentlich verbessert – bis zu visumsfreiem Reiseverkehr. Sie unterhält auch lebhafte Handelsbeziehungen. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat Präsident Assad aufgefordert, nicht mit Gewalt gegen sein Volk vorzugehen. Aber damit sind die türkischen Möglichkeiten nicht erschöpft. Ich wünsche mir eine aktivere Rolle der Türkei, zumal Syrien von guten Beziehungen zur Türkei abhängig ist.
FOCUS: Sie drängen schon lange, dass die EU die Türkei enger an sich bindet. Fühlen Sie sich bestätigt?
Polenz: Ja, sicher. Die Türkei als einziger Nato-Partner mit muslimischer Bevölkerung könnte eine Schlüsselrolle als Vermittler spielen. Ihr Engagement im Nahen Osten könnte grundlegende Signalwirkung entfalten. Wenn die Türkei auf Seiten Europas ist, nimmt dies Diktatoren in der muslimischen Welt die Möglichkeit, den Kampf um Demokratie umzuetikettieren in einen Kampf gegen den Islam.
FOCUS: Sollte Ihre Partei ihre ablehnende Haltung zum EU-Beitritt überdenken?
Polenz: Ich werbe dafür, dass die Türkei eine faire Chance bekommt, Mitglied der Europäischen Union zu werden. Nicht nur, aber auch aus strategischen Gründen. Voraussetzung ist, dass sie dann die Beitrittskriterien voll erfüllt. Die aktuelle Entwicklung in der arabischen Welt zeigt beispielhaft, wie wichtig es ist, die Türkei möglichst eng in die gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik einzubeziehen.
FOCUS: Bringt die instabile Lage der arabischen Welt eine Extra-Bedrohung Israels?
Polenz: Nicht unbedingt. Die Entwicklungen, die wir gerade erleben, sehe ich auch als echte Chance: Wenn die Demokratiebewegungen in den arabischen Ländern erfolgreich sind, verbessert das die Sicherheitslage Israels deutlich. Israel könnte mit Demokratien in seiner Nachbarschaft ganz anders über gemeinsame Sicherheit sprechen."