Heute will das Bundeskabinett ein außenpolitisches Konzept beschließen, das den globalen Kräfteverschiebungen Rechnung tragen soll, insbesondere dem Aufkommen neuer Akteure wie China oder Indien.
Welche Rolle Deutschland im 21. Jahrhundert im Konzert der Mächte spielen kann, erläuterte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Ruprecht Polenz (CDU), dem Korrespondenten der Saarbrücker Zeitung, Werner Kolho.
Kommt das neue außenpolitische Konzept nicht viel zu spät? Wir sind im Jahr 22 nach der Wiedervereinigung und der Auflösung der alten Blöcke.
Ruprecht Polenz: Erst jetzt sind die neuen globalen Strukturen deutlich geworden. Eine Zeit lang gab es in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ja praktisch eine unipolare Welt mit den USA als einzig verbliebener Supermacht. Inzwischen zeichnet sich deutlich eine multipolare Struktur ab, die den Rest des 21. Jahrhunderts prägen wird. Die USA spielen darin weiterhin eine sehr wichtige Rolle, aber daneben gibt es andere große Akteure: Die Chinesen, die Inder und, wie wir gerade im Fall Syrien gesehen haben, auch Russland fühlt sich noch als Großmacht.
Wo steht Deutschland in der multipolaren Welt? Ruprecht Polenz: Anders als die Amerikaner sind wir kein eigenständiger Pol in dieser neuen Weltordnung, sondern wir agieren vermittelt über die Europäische Union. In der allerdings haben wir einen vergleichsweise großen Einfluss. Zudem haben wir als große Exportnation auch viele bilaterale Möglichkeiten.
Kann man grob gesprochen sagen: Deutschland hat ein Prozent der Weltbevölkerung, zehn Prozent des Weltsozialprodukts, aber durch die EU 20 Prozent des Einflusses in der Welt? Ruprecht Polenz: Ja, aber nur solange und soweit wir uns im Rahmen der Gemeinschaft bewegen. Wenn wir das beachten, dann hebeln wir praktisch unser politisches Gewicht.
Wie müssen sich die globalen Kräfteverschiebungen in den internationalen Gremien niederschlagen, etwa im UN-Sicherheitsrat? Ruprecht Polenz: Seine Zusammensetzung spiegelt derzeit die Welt des 21. Jahrhunderts nicht wider. Es fehlen Afrika und Asien. Wenn man dem UN-Sicherheitsrat mehr Legitimität geben will, muss man die heutigen Realitäten durch eine Reform dort besser abbilden.
Das war es dann wohl mit dem ständigen deutschen Sitz im Sicherheitsrat. Ruprecht Polenz: Ich halte diese Frage für zweitrangig. Wichtiger wäre, dass wir als Europäer gemeinsam eine Stimme im Sicherheitsrat erheben, entweder koordiniert oder mit einem gemeinsamen Sitz. Bei einer moderaten Erweiterung des Sicherheitsrates, wie sie derzeit diskutiert wird, könnte sich Deutschland im Übrigen weiterhin durchaus Chancen auf einen Sitz ausrechnen.
Apropos Sicherheitsrat: Zeigt das Veto von China und Russland zu einer Syrien-Resolution nicht, dass es mit den neuen Gestaltungsmächten in der Welt noch keine gemeinsame Wertebasis gibt? Ruprecht Polenz: Es geht in dem neuen außenpolitischen Konzept ja auch genau um die Frage, ob es gelingt, eine Weltrechtsordnung herauszubilden oder ob es wieder zurück geht in eine Welt, wo der Stärkere das Recht diktiert. Da haben wir Europäer zusammen mit den Nordamerikanern, Japanern, Australiern und auch den Lateinamerikanern eine breite gemeinsame Wertebasis, während uns von Russen und Chinesen in der Tat noch eine Menge trennt.
Neuen globalen Rechten für die Schwelleländer müssten auch neue globale Pflichten entgegenstehen. Beim Klimaschutz merkt man von Mitverantwortung von dieser Seite aber ebenfalls wenig. Ruprecht Polenz: Es bleibt eine große Aufgabe, alle Staaten davon zu überzeugen, dass wir gemeinsam handeln müssen, wenn wir uns gemeinsam retten wollen. Ich benutze diesen Begriff absichtlich. Denn wenn wir es nicht schaffen, den Temperaturanstieg auf maximal zwei Grad zu begrenzen, dann sind katastrophale Folgen unabweisbar. Und dann hilft es wenig, wenn Industrie- und Schwellenländer gegenseitig die Verantwortung hin- und herschieben.
Beitrag vom: 07.02.2012, 15:59