Ruprecht Polenz

Polenz: Annan-Plan offenbar gescheitert

Ruprecht Polenz im Gespräch mit Bettina Klein im Deutschlandfunk, vom 10. April 2012. Nachzuhören hier

UN-Ultimatum für Waffenruhe in Syrien ist abgelaufen

Der CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz sagt, dass der syrische Machthaber Assad offenbar glaubt, sich noch an der Macht halten zu können. Sollte die geplante Waffenruhe nicht eintreten, müsse man das Regime über Druck durch Sanktionen zur Aufgabe bringen, so Polenz weiter.


Bettina Klein: Wenig gute Nachrichten bietet dieser Morgen heute beim Blick nach Syrien. Die Frist zur Waffenruhe für das Assad-Regime ist verstrichen, die Gewalt geht offenbar weiter.
Am Telefon begrüße ich Ruprecht Polenz (CDU), Vorsitzender im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages. Guten Morgen, Herr Polenz.

Ruprecht Polenz: Guten Morgen, Frau Klein!

Klein: Zu wie viel Hoffnung berechtigt das Geschehen in Syrien heute, heute Morgen, am 10. April, am Tag also, an dem die Frist für eine Waffenruhe für das Assad-Regime abläuft, offenbar ohne, dass sich etwas Entsprechendes tut?

Polenz: Ich glaube, die letzten Tage seit Verkündung des Annan-Plans haben schon gezeigt, dass Assad zwar zunächst gesagt hat, ich will das akzeptieren, dann aber sich entsprechend anders verhalten hat. Er hat die Gewalt nicht eingestellt, er ist mit immer neuen Forderungen gekommen und die Lage ist jetzt weiter eskaliert - dadurch, dass kriegerische Handlungen jetzt auch über die Grenzen Syriens hinweg auf das Territorium der Türkei ein Stück weit getragen worden sind. Also die Lage hat sich deutlich verschlechtert.

Klein: Und man muss ganz klar sagen: Assad hat die Vereinbarungen durchbrochen.

Polenz: Ja. Er hat vor allen Dingen nicht verstanden oder nicht verstehen wollen, dass zunächst er die Gewalt einstellen muss, seine Truppen anweisen muss, mit der Gewalt aufzuhören, ehe ein weiterer Prozess in Gang gesetzt werden kann, und es sieht nicht danach aus, als würde er heute im Laufe des Tages dann doch noch diesen Befehl geben.

Klein: Er hat ja auch einfach neue Forderungen, neue Bedingungen nachträglich einfügen wollen in dieses Abkommen, in diese Vereinbarung. Ist das jetzt eigentlich unverfroren, oder war das von vornherein einkalkuliert als ein Teil seiner Strategie?

Polenz: Ich glaube, Assad hat immer noch nicht erkannt, dass seine Möglichkeiten, Syrien zu regieren, nicht mehr bestehen in der Zukunft, dass das Maximum, was er erreichen kann, noch eine Lösung ist, wie für Ben Ali oder für den Präsidenten des Jemen gefunden wurde, also mit seiner engsten Umgebung Asyl in irgendeinem Land, das ihn dann aufnimmt. Er glaubt immer noch, dass er sich an der Macht halten kann.

Klein: Er scheint sich ja relativ sicher zu fühlen, also die Abkommen scheinen, ihn nicht zu interessieren. Das heißt, er fühlt sich stark und sicher und auch nicht bedroht von der Weltgemeinschaft, um einzulenken?

Polenz: Ja, das ist meine Einschätzung auch, dass er es so sieht. Allerdings hat sich jetzt doch etwas verändert: Die Chinesen und die Russen, die bisher sehr zurückhaltend waren mit der Ausübung von Druck gegenüber Assad, wollen, dass er sich dem Annan-Plan anschließt. Sie müssen jetzt auch reagieren und aus der Tatsache, dass Assad sich anders verhält, Konsequenzen ziehen, beispielsweise im UN-Sicherheitsrat.

Klein: Dazu vielleicht gleich noch. Zunächst noch mal zu dem zweiten Teil dieser Vereinbarung, die ja auch vorsieht eine Waffenruhe der Oppositionellen, der Rebellen. Da bleibt es noch abzuwarten, ob die in den nächsten 45 Stunden sich daran halten werden. Aber gleichzeitig gab es ja da auch Unstimmigkeiten, zum Beispiel, dass man eben nicht schriftlich geben will, dass Waffen aus anderen Staaten kommen. Also wie viel Verantwortung trägt die Opposition im Augenblick in der Situation?

Polenz: Ich glaube, zunehmend trägt auch die Opposition Verantwortung dafür, dass es nicht zu einem Waffenstillstand kommt. Aber ich will noch mal sagen: Die Hauptverantwortung liegt beim Regime. Aber es ist richtig: Es gibt auch Nachrichten, dass die Opposition immer mehr der Meinung sei, wir können das militärisch gewinnen, weil wir Unterstützung bekommen etwa aus Katar, aus anderen arabischen Ländern, wir werden uns bewaffnen und dann gibt es eben einen Bürgerkrieg und wir werden gewinnen. Diese Haltung nimmt bei Gruppen der Opposition sicherlich zu.

Klein: Sie haben die Rolle der UNO, auch die Rolle Russlands und Chinas angesprochen. Was kann, was muss die Staatengemeinschaft in den nächsten Tagen jetzt tun?

Polenz: Ich denke, man muss im Sicherheitsrat die Lage beraten und es wird dann die Frage sein, zu welcher Entschließung finden sich Russland und China bereit, sind sie bereit, Assad eindeutig die Schuld dafür zuzuweisen, dass der Annan-Plan, den ja auch Russland und China unterstützt haben, wohl gescheitert ist. Ich sehe nicht, dass er noch in die Tat umgesetzt werden könnte, gerade nach den Eskalationsnachrichten der letzten 24 Stunden.

Klein: Und Sie sehen durchaus Bewegung bei Russland und China? Heißt das, an denen hängt jetzt eigentlich alles, dass sie sich Schrittchen für Schrittchen weiter fortbewegen und in den internationalen Druck auf Assad einstimmen?

Polenz: Ja, wobei man natürlich jetzt auch sehen muss: Der Sicherheitsrat wird nicht etwas Ähnliches beschließen, wie er es seinerzeit für Libyen getan hat. Das wäre auch nicht der richtige Weg. Ich glaube nicht, dass eine Eskalation etwa über Waffenlieferungen und zusätzliche bewaffnete Kräfte helfen kann. Man muss weiter darauf setzen, den Bürgerkrieg doch noch zu vermeiden, zur Deeskalation zu kommen, aber es wird von Tag zu Tag schwieriger.

Klein: Und die Frage ist natürlich: Wird sich das ohne die Drohkulisse einer eben doch militärisch untermauerten Maßnahme eindämmen lassen?

Polenz: Ja, das ist eine schwierige Frage. Es ist nur so, dass Syrien im Schnittpunkt so vieler Interessen auch von Nachbarländern und in der Region liegt, dass ich mir schwer vorstellen kann, wie man sich auf eine militärische gemeinsame Intervention auf der Basis eines Sicherheitsratsbeschlusses verständigen will. Ich sehe das nicht. Ich sehe maximal, dass es eine Eindämmungspolitik geben kann, die verhindert erstens, dass der Konflikt auf Nachbarländer übergreift - die Gefahr besteht wachsend -, etwa auf die Türkei oder auf den Libanon oder auch wieder auf den Irak, da muss man aufpassen, und dass man eben doch versucht, über den Druck der Sanktionen das Regime zum Aufgeben zu bringen.

Klein: Alle Optionen liegen auf dem Tisch. Dieser Satz leitet uns zum anderen Konfliktherd, nämlich dem Iran. Die Aussage der Vereinigten Staaten, wir wollen keinen Militärschlag, aber natürlich wird diese Drohkulisse da weiter aufgebaut, durchaus wird das auch kritisiert in anderen Staaten. Am Wochenende findet ja noch einmal eine neue Runde der Atomgespräche zum Iran statt. Was sind da für Sie die entscheidenden Punkte?

Polenz: Es geht ja darum, dass die Weltgemeinschaft objektive Garantien des Iran dafür braucht, dass das Programm dauerhaft friedlich ist. Dazu gehört beispielsweise der Verzicht auf hoch angereichertes Uran, also auf die Prozesse, die Uran höher anreichern als zum Stromverbrauch notwendig. Das sind 3,5 Prozent. Der Iran hat jetzt über eine Anlage auf 20 Prozent angereichert mit der Begründung, das brauche er für den Forschungsreaktor in Teheran. Das wird der erste Schritt sein, hierüber zu verhandeln, dass diese Hochanreicherung auf 20 Prozent eingestellt wird. Es gibt ganz ermutigende erste Signale, sowohl aus Washington wie aus Teheran, dass man über diese Frage verhandeln will, aber es ist im Moment schwer einzuschätzen, was ist jetzt das Graben der Verhandlungspositionen, bevor es losgeht, was ist ernst gemeint, wie wird es dann letztlich ablaufen. Wichtig ist, dass ab 13. April ein neuer Verhandlungsprozess zwischen USA, Russland, China, Großbritannien, Frankreich, Deutschland auf der einen Seite und dem Iran auf der anderen Seite stattfindet. Sie werden in Istanbul stattfinden, darum hat es auch lange Streit gegeben. Und das ist jedenfalls eine Chance, dass die Diplomatie doch noch zu einer Lösung findet.

Klein: Aber, Herr Polenz, im Grunde drehen sich auch in dieser Frage alle im Kreis, ohne nennenswerte Fortschritte bisher. Ist das auch für Samstag so zu erwarten?

Polenz: Ich denke, nein. Die Lage hat sich insofern verändert, als die Sanktionen ja dramatisch verschärft worden sind. Der Iran spürt sie auch, sie haben ihn auch an den Verhandlungstisch zurückgebracht, und es besteht jetzt schon die Chance, auch weil letztlich keiner eine militärische Auseinandersetzung will, dass man zur Vernunft kommt in Teheran, dass man einlenkt, dass man über ein ziviles Nuklearprogramm verhandelt mit entsprechend dichter Kontrolle der Internationalen Atomenergiebehörde. Das ist das Ziel. Aber ob man es erreichen kann, das werden die nächsten Wochen zeigen, wenn man dann tatsächlich Nachrichten bekommt, gibt es Fortschritte am Verhandlungstisch ja oder nein.

Klein: Herr Polenz, Sie haben die Debatten nach den Äußerungen von Günter Grass sicherlich verfolgt. Nach seiner Meinung und nach Meinung derer, die ihm zustimmen, geht ja die eigentliche Gefahr für den Weltfrieden von Israel aus und nicht vom Iran. Müssten demzufolge also eigentlich Atomgespräche mit Israel geführt werden und nicht mit Teheran?

Polenz: Teheran ist Gegenstand von mehreren Resolutionen des Weltsicherheitsrats gewesen, weil der Weltsicherheitsrat die begründete Sorge hat, dass Teheran die regionale und internationale Sicherheit durch sein Nuklearprogramm bedroht und gefährdet. Grass hat mit seinem sogenannten Gedicht hier die Dinge auf den Kopf gestellt. Iran ist das Land, was der Welt im Augenblick die Sorgen macht. Eine andere Frage ist - und auch das ist im Sicherheitsrat verschiedentlich angesprochen worden -, will man nicht das Ziel verfolgen, zu einem massenvernichtungswaffenfreien Nahen Osten zu kommen. Das setzt aber umfangreiche Verhandlungen voraus, die dann sicherlich auch die Frage betreffen, wie Israel in einem solchen massenvernichtungswaffenfreien Nahen Osten mit seinen Nuklearwaffen - Israel sagt ja nicht, dass es welche hätte, es dementiert das aber auch nicht - sich dann darin verhalten würde. Aber das ist ein anderes Thema.

Klein: Sie denken schon, dass in Zukunft Israel da durchaus einbezogen werden sollte in solche Gespräche?

Polenz: Es gibt solche Gespräche und Israel ist da auch einbezogen. Aber meine persönliche Erwartung ist, Israel wird erst dann bereit sein, über eine solche Frage wirklich zu verhandeln, wenn es jahrzehntelang mit seinen Nachbarn in Frieden und Sicherheit lebt. Es versteht diese Möglichkeit, gegebenenfalls zur letzten Verteidigung auch Atomwaffen einsetzen zu können, als ein Abschreckungsinstrument, als sozusagen letzten Sicherheitsanker, und auf den würde Israel nach meiner Einschätzung wenn überhaupt erst dann verzichten, wenn es wirklich ganz sicher wäre, dem Land droht keine Gefahr mehr, und das kann man ja angesichts der Situation im Nahen Osten im Augenblick wirklich nicht sagen.

Klein: Die Meinung des CDU-Außenpolitikers Ruprecht Polenz heute Morgen im Deutschlandfunk. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Polenz und einen schönen Tag.

Polenz: Bitte schön!