Polenz: Es gibt für diese Angriffe keine Rechtfertigung
Ruprecht Polenz im Hörfunkinterview mit Jürgen Zurheide in den Informationen am Morgen vom 15.09.2012 im DLF.
Ruprecht Polenz (CDU) vom Auswärtigen Ausschuss des Bundestags mahnt zu gegenseitiger RücksichtnahmeWir müssten bedenken, wie das, was wir tun, woanders wirke, das sei unsere "politische Verantwortung", findet der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses Ruprecht Polenz im Zusammenhang mit der Veröffentlichung des Mohammed-Films auf der Internetseite von Pro Deutschland. Das sei absolut unverantwortlich, so Polenz.
Frage: Zunächst einmal: Was verlangen Sie von der Regierung in Khartum?
Antwort: Sie muss in jedem Fall die Vorfälle aufklären, die Angreifer identifizieren, vor Gericht stellen und einer gerechten Bestrafung zuführen. Denn es gibt für diese Angriffe keine Rechtfertigung, auch keine Entschuldigung. Sie muss zweitens für die Sicherheit der diplomatischen Vertretungen - jetzt in diesem Falle der deutschen - dadurch sorgen, dass genügend Sicherheitskräfte in solchen Fällen bereitstehen, um sie zu schützen.
Frage: Warum eigentlich der Sudan? Es gibt ja Hinweise - und wir haben vorhin mit dem Vertreter der Friedrich-Ebert-Stiftung gesprochen -, dass möglicherweise Vorgänge in Deutschland, ein Urteil in Berlin bezogen auf Mohammed-Karikaturen, dass das gezielt genutzt worden ist, um den Mob anzustacheln. Was heißt das eigentlich?
Antwort: Das heißt, dass wir erkennen müssen, dass Ereignisse, die bei uns ja auch für eine gewisse Aufmerksamkeit gesorgt haben, möglicherweise Wochen später in anderen Teilen der Welt zu solchen Vorkommnissen genutzt werden. Und dass das dann dort diese Wirkung entfacht, liegt meines Erachtens daran, dass wir - ich will es so formulieren - in einer Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen leben. Wir leben im 21. Jahrhundert, andere Gesellschaften leben ein, zwei Jahrhunderte früher, aber trotzdem leben wir gemeinsam im Jahr 2012.
Und über Internet, über Youtube, über Nachrichten wird eine gemeinsame Öffentlichkeit hergestellt, und das sorgt in jedem Fall schon mal für zusätzliche Spannungen und Reibungen, die es früher so nicht gab. Und wenn dann Ereignisse aus Deutschland berichtet werden, die religiöse Gefühle beispielsweise verletzen, dann reagieren Menschen, die etwa kulturell noch ein, zwei Jahrhunderte vorleben anders, als etwa die Muslime in Deutschland reagiert haben.
Frage: Da gibt es das Video, über das wir gar nicht lange reden müssen, aber da gibt es natürlich auch die Bereitschaft, diese Gewalt in den Westen sofort explodieren zu lassen. Was erschreckt Sie mehr?
Antwort: Ich will einen Satz zu dem Video sagen, ich glaube, hier muss man noch einen zweiten Punkt berücksichtigen: In der arabischen Welt sind die Menschen in Diktaturen geboren worden, haben Jahrzehnte in Diktaturen gelebt und haben einfach erfahren, dass die Regierung alles kontrolliert, was in ihren Staaten passiert. Kein Film beispielsweise konnte in der arabischen Welt gedreht werden, der nicht durch die Zensur gehen musste und nicht von der Regierung freigegeben.
Diese Menschen können sich einfach schwer vorstellen, dass ein solches Video nicht mit Genehmigung der deutschen Regierung gedreht und ins Internet gestellt worden ist. Und von daher machen sie dann für ein Ergebnis Deutschland verantwortlich, weil sie das nicht unterscheiden können. Und das wird natürlich von anderen, die das sehr wohl möglicherweise können, gezielt ausgenutzt, um extremistische Strömungen dann auch in dem Land zu stärken, wo solche Unruhen stattfinden...
Frage: Auf der anderen Seite fragt man sich schon: Muss der deutsche Außenminister sich dafür ein Video, was irgendwo in Amerika von Idioten gedreht wird, vielleicht auch gezielt benutzt wird, müssen wir uns dafür entschuldigen?
Antwort: Es ist jetzt wohl auch auf der Website von Pro Deutschland eingestellt worden... Und das erhöht erst mal objektiv nach dem, was wir gerade besprochen haben, die Gefährdung deutscher Einrichtungen, auch von Deutschen im Ausland. Und deshalb ist das absolut unverantwortlich. Auch in Deutschland gilt die Meinungsfreiheit nicht schrankenlos... Ich würde gerne sehen, dass die Staatsanwaltschaft, die Polizei prüft, ob dieser Film nicht diesen Tatbestand (im Paragraf 166 Strafgesetzbuch) erfüllt.
Frage: Wobei, dass wir uns da auf ein heikles Gebiet bewegen, das werden Sie wohl zugeben, wenn wir jetzt mal an die Vorgänge in Moskau denken: Da ist auch in einer Kirche etwas passiert, wo man ja drüber streiten kann!
Antwort: Ja, wir begeben uns da auf ein heikles Gebiet. Aber wir müssen politisch auch erkennen, dass durch diese gemeinsame Öffentlichkeit alles, was wir tun, eine größere Reichweite bekommt... Wir haben jetzt praktisch eine weltweite Gleichzeitigkeit und Öffentlichkeit, und ein bisschen das mit zu bedenken, wie wirkt das, was wir tun, wie wir hier miteinander leben, woanders, das ist schon, finde ich jedenfalls, politische Verantwortung.
Freiheit heißt auch immer verantwortete Freiheit. Damit will ich nicht das Wort reden, dass man hier unsere Möglichkeiten, frei per Kunst etwa sich auch kritisch, auch satirisch mit Religion auseinanderzusetzen, infrage stellt. Aber das tut dieser Film ja nicht. Er ist ein reines Hass-Video gegen Islam und gegen Muslime.
Frage: Zeigt der Arabische Frühling gerade seine hässliche Fratze?
Antwort: Wissen Sie, der Sudan, Ägypten, Libyen sind große Länder. Es waren viele Menschen auf der Straße. Aber es waren nicht die Sudanesen, nicht die Ägypter. Und es waren vor allen Dingen wohl auch, gerade was Ägypten angeht, andere als die, die die Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz, die Revolution geführt haben. Wir sollten hier sehr genau von Land zu Land differenzieren, und wir sollten erkennen, dass der Arabische Frühling, die Regierungen nach wie vor unsere Unterstützung verdienen.
Denn ich komme zurück auf das, was ich vorhin zu den Auswirkungen der Diktatur gesagt habe: Wenn wir dahin kommen wollen, dass die Menschen in diesen Ländern besser verstehen, was Freiheit heißt, und dass das auch heißt, dass solche Ereignisse nicht jeweils immer allen zugerechnet werden können, weil der Staat eben nicht alles im Griff hat, dann geht gar kein Weg daran vorbei, dass auch die arabischen Länder sich weiter demokratisieren müssen.