Ruprecht Polenz spricht im Deutschen Bundestag zum neuen Gestaltungsmächtekonzept
Rede als Video ansehen
Ruprecht Polenz (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Mützenich, es geht nicht in erster Linie um Antworten auf aktuelle Krisen oder Fragen, die wir dauernd im Auswärtigen Ausschuss und anderswo diskutieren; es geht um unsere Rolle in der Welt und darum, welche Verantwortung wir haben; es geht um die strategische Orientierung der deutschen Außenpolitik in der multipolaren Welt des 21. Jahrhunderts, in der 1,3 Milliarden Chinesen und 1,2 Milliarden Inder leben und in der Brasilien, Südafrika, Mexiko, die USA und, wie wir durch das Veto im Sicherheitsrat gemerkt haben, natürlich auch Russland, das sich immer noch als Großmacht fühlt, eine wichtige Rolle spielen. Diese Welt ist unübersichtlicher als die geteilte, bipolare Welt des Kalten Krieges. Angesichts dessen ist es schon richtig, dass die Bundesregierung den Kompass justiert. Ich möchte Außenminister Westerwelle sehr dafür danken, dass wir diese Debatte über die strategische Orientierung der deutschen Außenpolitik auf der Grundlage eines breit angelegten Positionspapiers der Bundesregierung diskutieren können.
Ich finde, es ist ein Verdienst dieses Papiers, dass mit dem irreführenden Begriff des Schwellenlandes aufgeräumt wird. Es ist falsch, Länder wie China, Indien, Brasilien oder Mexiko als Schwellenländer zu bezeichnen und so zu tun, als ob sie knapp über dem Niveau eines Entwicklungslandes wären. Das Positionspapier der Bundesregierung nimmt das regionale und internationale Gestaltungspotenzial und vor allen Dingen den Gestaltungsanspruch dieser Länder in den Blick und versucht, Schlussfolgerungen für die deutsche Außenpolitik zu ziehen. Das ist ein Verdienst dieses Papiers.
Wie verhindern wir Blockademacht? Wie fördern wir verantwortliche Mitgestaltung? Wo liegen die Möglichkeiten einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit, und wo liegen die Grenzen? Dazu verhält sich das Papier. Insofern ist ein Teil der Kritik ein bisschen preiswert, weil wohlfeil. Dem einen fehlt etwas, dem anderen ist an einer Stelle etwas zu viel. Das war keine besonders faire Kritik, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD.
(Erich G. Fritz (CDU/CSU): War auch nicht beabsichtigt!)
Die Bundesregierung formuliert als anspruchsvolles Ziel:
Die Bundesregierung will mit Partnern zusammenarbeiten, um die globalisierte, interdependente und multipolare Welt durch eine regelbasierte sowie multilateral und global ausgerichtete Ordnungspolitik über legitime und effektive internationale Institutionen zu prägen.
Das klingt nicht nur anspruchsvoll, das ist anspruchsvoll.
(Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): So, dass das keiner versteht!)
Man kann es auf folgende Kurzformel ‑ das steht auch im Konzept ‑ bringen: Es geht um eine faire Globalisierung. Wenn Sie John Rawls gelesen haben, dann wissen Sie, dass Gerechtigkeit als Fairness eine philosophische Grundhaltung ist, und das steht in diesem Papier.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP ‑ Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Eijeijei!))
Allein wären wir sicher hoffnungslos überfordert, dieses Ziel zu erreichen. Deshalb wird in diesem Papier richtigerweise die Frage gestellt, wie Deutschland in dieser veränderten Welt seine Interessen am besten durchsetzen kann und wie wir unseren Werten Geltung verschaffen können. Dazu gibt es einen Schlüsselsatz in diesem Konzept: „Deutschland wirkt mit und durch Europa.“ Über die Europäische Union hebeln wir unser politisches Gewicht. Das ist wie in der Physik. Die Europäische Union ist ein politischer Kraftwandler, übrigens nicht nur für Deutschland, sondern für alle 27 EU-Mitglieder. Wir alle verstärken unsere politische Kraft. Voraussetzung ist allerdings, dass alle ihre Hebel gleichgerichtet ansetzen, etwa wie beim Rudern; denn sonst dreht man sich im Kreis, kommt nicht vom Fleck und wirkt auch noch relativ komisch dabei.
(Ulrich Kelber (SPD): Aber beim Rudern schaut man zurück!)
‑ Aber man kommt vorwärts.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Dass das politische Gewicht Deutschlands ganz wesentlich von diesem Wirken in der und durch die Europäische Union abhängt, zeigt ein Vergleich mit Japan. Japan ist vom Potenzial her durchaus mit Deutschland vergleichbar, verfügt aber international über weitaus weniger Mitgestaltungsmöglichkeiten als wir, die wir in der Europäischen Union verankert sind.
Das entspricht im Übrigen auch unserer Wahrnehmung von außen. Als Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses haben wir viele Delegationen als Gesprächspartner zu Gast, die Berlin besuchen. Ganz oft fällt dabei der Satz: „Ihr seid das stärkste Land in der EU“, und dann werden Erwartungen und Wünsche formuliert. Das Konzeptionspapier beinhaltet also keine abgehobene Theorie, auch wenn es natürlich generalisierende Formulierungen beinhalten muss, sondern es ist außerordentlich praktisch und relevant. Denken Sie beispielsweise an unsere Diskussionen über die Staatsschuldenkrise. Wir dürfen eben nicht in erster Linie fragen: Was kostet uns Europa?“, sondern: „Was ist uns Europa wert?“. Hier haben wir dann auch entsprechende Erwartungen.
An die Adresse derjenigen, Herr Mützenich und Herr Gehrcke, die hier Dominanzstreben kritisiert haben, sage ich: Was erwarten denn die anderen von uns? Ich erinnere an die Rede des polnischen Außenministers Radoslaw Sikorski, der hier in Berlin gesagt hat:
Sie
‑ damit meinte er Deutschland ‑
sind Europas unverzichtbare Nation geworden. Sie dürfen bei der Führung nicht versagen. Nicht dominieren, sondern bei Reformen führen.
Wenn wir dieser Bitte nicht entsprechen, werden wir unserer Verantwortung nicht gerecht.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Die Bundeskanzlerin, der Finanzminister und der Außenminister zeigen jeden Tag ‑ gerade jetzt, in dieser schwierigen Phase der europäischen Geschichte ‑, dass sie mit einer klugen Einbindung anderer und gemeinsam mit Frankreich diesem Führungsanspruch, den andere an uns haben, gerecht werden.
Das Risiko dieser Krise für Europa und die Europäische Union als politisches Projekt dürfen wir nicht unterschätzen. Manchmal hat man den Eindruck und glaubt, etwas Stagnation und ein paar Rückschritte bei der Integration seien nicht so schlimm. Europa ist aber keine Insel. Andere Akteure in der multipolaren Welt werden handeln, ohne auf Europa zu warten. Europa hat in dieser multipolaren Welt nur die Wahl, entweder als Mitspieler zu agieren oder Spielfeld zu sein, das sich die anderen untereinander aufteilen. Ein wachsender chinesischer Einfluss auf einzelne EU-Mitglieder im Zuge der jetzigen Staatsschuldenkrise kann beispielsweise dazu führen, dass damit die Forderung verbunden wird, bei Menschenrechtsverletzungen demnächst ein Auge zuzudrücken, und Russland ist ja immer dabei, die Energiepolitik auch als politischen Einflusshebel zu nutzen, um die Europäische Union ein Stück auseinanderzutreiben.
(Dr. Rolf Mützenich (SPD): Aber das befördern wir doch mit dem Papier!)
Ich darf noch einmal den polnischen Außenminister zitieren. Er hat in seiner Rede gesagt:
Wenn wir unsere jetzige Malaise überwinden, dann haben wir die nötigen Fähigkeiten und die Kraft, um die uns die Welt beneidet. Wir haben nicht nur die größte Wirtschaftsmacht, Europa steht wie keine andere Region dieser Welt für Frieden, Demokratie und Menschenrechte. Für unsere Nachbarn im Osten und Süden sind wir eine Inspiration.
Das sagt ein Pole, der die Europäische Union natürlich noch nicht als selbstverständlich wahrnimmt und deshalb vielleicht auch den Wert etwas mehr schätzt als der eine oder andere von uns.
Never again, never alone: Mit diesem alten außenpolitischen Grundsatz sind wir gut gefahren. In dem Konzept der deutschen Bundesregierung heißt es: „In der globalisierten Welt wirkt Deutschland mit und durch Europa.“ ‑ Das ist der gleiche Inhalt, nur anders formuliert.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)