Polenz spricht im Plenum des Deutschen Bundestags zu Europa und Syrien
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"Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Recht steht die Staatsschulden- und Euro-Krise im Mittelpunkt der heutigen Haushaltsdebatte. Sie gehört auch in unsere Debatte über die deutsche Außenpolitik, die ja europäisch eingebettet ist, um Wirkung zu entfalten.
Die Instabilität der Währungsunion schwächt die Mitwirkungs- und die Mitgestaltungskraft Europas in der Welt. Wir sind mit uns selbst beschäftigt, während die Welt von der Sorge beherrscht wird, dass die Euro-Krise auf andere ausstrahlt. Der Euro ist neben dem Dollar die wichtigste Reservewährung auf der Welt, und jeder Staat, der Währungsreserven in Euro angelegt hat, hat ein massives Interesse daran, dass der Euro erhalten bleibt und dass der Euro stabil bleibt. International gibt es aber nicht nur diese Sorge im engeren Sinne, sondern Europa wird auch als internationaler Akteur gebraucht.
Ein aktives, ein handlungsfähiges Europa wird beispielsweise in Asien als weiterer Akteur neben China und den USA gebraucht; das hören wir von den ASEAN-Staaten immer wieder. Vor allem wird Europa natürlich in Nordafrika und im Nahen Osten gebraucht.
In Gesprächen, die wir als Außenpolitiker immer wieder mit Politikern, Delegationen oder Botschaftern aus dieser Region führen, erfahren wir, welch große Erwartungen in dieser Region mit Europa und einem Handeln Europas verbunden werden.
Alle haben die Hoffnung, dass wir Europäer es schaffen, den Euro zu erhalten, den Zusammenhalt der Europäischen Union zu wahren und gemeinsam und geschlossen nach außen aufzutreten. Wir werden ‑ auch das wissen wir Außenpolitiker aus vielen Gesprächen; das erfahren wir auch auf unseren Reisen ‑ international für den europäischen Einigungsprozess bewundert. In gewisser Weise wird er nicht als Modell, aber doch als Vorbild betrachtet.
Deshalb geht es bei der Bewältigung der Euro-Krise auch darum, unter Beweis zu stellen, dass ein Zusammenschluss von Staaten mit gemeinsamer Ausübung von Teilen nationalstaatlicher Souveränität kein gescheitertes, sondern ein zukunftsträchtiges Modell ist. Das ist das, was Europa der Welt anbieten kann.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ein Scheitern würde übrigens auch den Gegnern von friedenstiftenden Integrationsbestrebungen in anderen Regionen der Welt Auftrieb geben: in Lateinamerika, in Afrika oder in der ASEAN-Region.
Es ist verschiedentlich angesprochen worden ‑ auch ich will etwas dazu sagen ‑, dass die Nachrichten, die uns aus Syrien erreichen, von Tag zu Tag schlechter und dramatischer werden. In weiten Teilen des Landes herrscht Bürgerkrieg. Inzwischen gibt es über 50 000 Tote, und täglich werden es mehr. 2,5 Millionen Menschen sind auf der Flucht, davon 250 000 in anderen Ländern. Wir müssen ein Übergreifen des Konflikts auf andere Länder befürchten, vor allen Dingen auf den Libanon, aber auch auf die Türkei, da die PKK die Kämpfe in Südostanatolien wieder entfacht hat. Wenn man sich das genau anschaut, erkennt man, dass sich der Konflikt inzwischen auch auf Deutschland auswirkt; denn aus meiner Sicht lassen sich die Ereignisse in Mannheim nicht anders erklären. Man muss den Bogen bis dahin schlagen.
Wir erleben eine Einmischung anderer Länder in diesen Konflikt: des Iran, von Saudi-Arabien, von Katar. Auf der anderen Seite sehen wir ‑ das ist hier zu Recht beschrieben worden ‑, dass der UN-Sicherheitsrat wegen der Haltung von Russland und China blockiert ist. Wir erzeugen dadurch weniger Druck als notwendig und möglich wäre, um Assad dazu zu bewegen, den Weg für Verhandlungen und für ein Ende der Gewalt dadurch freizumachen, dass er zurücktritt. Unsere Möglichkeiten: Sanktionen, humanitäre Hilfe, politische Hilfe und Hilfe für die Opposition, damit sich ihr Wunsch, sich zu einigen, erfüllt. Das ist alles, was wir im Augenblick tun können. Das ist aber offensichtlich nicht genug.
Herr Minister, es war richtig, syrische Politiker unter der Überschrift „The Day After“ nach Deutschland einzuladen. Wir haben aber leider noch „many days before“. Auch das ist ein Problem, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen.
Diesbezüglich gibt es eine Diskussion darüber, ob man vielleicht doch nur über eine militärische Auseinandersetzung zu einem Ende kommen kann, sei es über Interventionen, über Flugverbotszonen oder die Bewaffnung der Aufständischen. Ich glaube, das ist nicht der richtige Weg. Weshalb hat sich die Situation so entwickelt? Erinnern wir uns: Wir hatten am Anfang sehr lange nur friedliche Demonstrationen. Assad wusste, wenn er 500 000 oder mehr Demonstranten häufiger in Damaskus auf der Straße hätte, dann wäre sein Rücktritt nur eine Frage der Zeit. Also hatte er ein Interesse dran, die friedlichen Demonstrationen zu beenden. Er hat das auf zweierlei Weise getan: Er hat selbst massiv Gewalt angewendet, und er hat ‑ das wissen wir von syrischen Oppositionellen ‑ dafür gesorgt, dass teilweise auch von Demonstranten Gegengewalt ausgeübt wurde. Er hat ein Interesse daran gehabt, auf diese Weise zur Eskalation beizutragen. Wenn das so richtig ist, dann liegt dieser Strategie die Einschätzung Assads zugrunde: Militärisch bin ich stärker; militärisch gewinne ich. ‑ Dann sind wir aber doch falsch beraten, wenn wir sagen: „Das sehen wir aber anders“ und wie in Libyen verfahren, die Rebellen bewaffnen und denken, das werde schon irgendwie klappen.
Ich halte es nach wie vor für aussichtsreicher, den Druck auf Russland zu erhöhen. Das wird allerdings nur gelingen, wenn man nicht nur die russischen Interessen wie Hafen, Wirtschaftsbeziehungen und Einfluss in den Blick nimmt, sondern mit Russland auch über andere Fragen russischen Interesses redet. Das können nach Lage der Dinge nur die Amerikaner. Das werden sie aber vor den Wahlen im November nicht tun; das ist das Problem. Aber auch wir Europäer haben die Möglichkeit, Druck auszuüben, wenn wir gegenüber Russland in dieser Frage einig und gemeinsam auftreten. Auch hier ist ein starkes, ein einiges Europa gefordert.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. ‑ Wir müssen die Krise überwinden. Rückblickend ‑ das ist meine feste Erwartung ‑ wird der heutige Tag mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Kombination mit den Entscheidungen der Europäischen Zentralbank in der letzten Woche als der Tag angesehen werden, an dem die Krise im Prinzip überwunden war, nicht in dem Sinne, dass wir über den Berg waren, sondern in dem Sinne, dass die Weichen so gestellt worden sind, dass wir über den Berg kommen. Natürlich liegt noch viel Wegstrecke vor uns, was Reformen usw. angeht. Aber ich glaube, es war heute ein guter Tag für Deutschland und für Europa."
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)