Ruprecht Polenz spricht im Deutschen Bundestag zur Lage in Syrien
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Ruprecht Polenz(CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte auf ein Thema zu sprechen kommen, das ‑ die Bundeskanzlerin hat in ihrer Regierungserklärung darauf hingewiesen ‑ im Mittelpunkt des G-8-Gipfels gestanden hat: die Situation in Syrien. Wir alle setzen nun unsere Hoffnungen auf die Konferenz in Genf. Wir wissen allerdings noch nicht, ob sie stattfinden wird.
Die Situation in Syrien kann man nur mit dem Begriff „humanitäre Katastrophe“ beschreiben. Es gibt mehr als 90 000 Tote, 400 000 Verletzte, die Krankenhäuser sind überlastet, die Trinkwasserversorgung wird schlechter, es brechen Epidemien aus.
Von den 20 Millionen Syrern ist jeder Vierte auf der Flucht. Täglich fliehen 8 000 Syrer über die Grenze: Frauen, kleine Kinder, alte Menschen, junge Menschen. In Jordanien halten sich bisher 478 000 Flüchtlinge auf, in der Türkei sind 387 000 in Lagern und weitere 200 000 verteilt über das Land. Die Türkei wendet bisher über 600 Millionen US-Dollar für diese Flüchtlinge auf. Im Libanon gibt es 546 000 registrierte Flüchtlinge. Angesichts der 4,2 Millionen Einwohner bedeutet das: Mindestens 15 Prozent der Bevölkerung bestehen aus Flüchtlingen. Die Zahl ist wahrscheinlich höher, weil es im Libanon sehr viele nichtregistrierte Flüchtlinge gibt.
Es ist deshalb richtig, dass Deutschland seine Mittel für die Flüchtlinge mit zusätzlichen 200 Millionen Euro mehr als verdoppeln wird. Wir sind nach den USA der zweitgrößte Geber, der sich hier engagiert.
Es ist auch richtig, Herr Innenminister, dass Deutschland jetzt 5 000 Flüchtlinge aus Syrien zusätzlich zu denen, die schon über Asylverfahren ins Land gekommen sind, aufnehmen will. Leider schließt sich außer Schweden in der Europäischen Union bisher kein Land diesem Schritt an, syrische Flüchtlinge in größerem Umfang aufzunehmen. Es gehört für mich auch zum Herzen Europas und zum Gefühl für unsere Verantwortung in Europa, dass sich das ändert.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich möchte die Regierung bitten, bei ihren Gesprächen in Brüssel darauf hinzuwirken, dass sich hier auch die Europäische Union stärker engagiert. Das ist gerade deshalb so wichtig, weil wir von außen wenig tun können, um den Bürgerkrieg zu beenden. Umso mehr sind wir humanitär in besonderer Weise verpflichtet, zu helfen.
Ich finde es gut, dass jetzt auch die Möglichkeit geschaffen wird, dass die etwa 40 000 bis 50 000 Syrer, die in Deutschland leben, ihre Verwandten, die sich ins Ausland haben retten können, zu sich nehmen können, wenn sie das wollen und die Möglichkeit dazu haben. Daher geht der Appell an die Bundesländer, über die Zuweisung nach dem Königsteiner Schlüssel hinaus die Erlaubnis hierzu zu erteilen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Hoffnungen auf die Genfer Konferenz sind deshalb so dringlich, weil die Gefahr besteht, dass Syrien zerfällt. Wenn Syrien zerfällt, dann droht die ganze Ordnung, die nach dem Ersten Weltkrieg ausgehend vom Sykes-Picot-Abkommen in der Region entstanden ist, zu zerfallen, weil auch der Irak seine staatliche Einheit noch nicht wiedergefunden hat, weil der Libanon fragil ist und weil Jordanien ebenfalls unter Druck ist.
Was es bedeuten würde, das aufzufangen, sehen wir an der Entwicklung im Balkan, wo wir bis heute damit zu tun haben - wir werden gleich noch etwas zu Serbien und Kosovo hören -, mit den Folgen des Zerfalls des ehemaligen Jugoslawiens fertig zu werden. Aber das, was sich in der Region zwischen Mittelmeer und dem Irak abspielen könnte, ist in der Dimension viel gewaltiger als das, was wir auf dem Balkan erlebt haben. Deshalb ist es so wichtig, dass die Genfer Konferenz zu einem Erfolg geführt wird.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, dies ist jetzt nach 19 Jahren im Bundestag meine letzte Rede. Ich bedanke mich bei Ihnen allen für die kollegiale Zusammenarbeit, als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses vor allen Dingen bei den Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss, und bei den Außenministern Herrn Westerwelle und Herrn Steinmeier, den ich hier einschließen möchte, für die gute Zusammenarbeit. Ihnen allen wünsche ich für die Zukunft eine glückliche Hand, Gottes Segen und Glück auf.
(Beifall im ganzen Hause)