In einer „aktuellen Stunde“ des Bundestages sagte Ruprecht Polenz am 10. Dezember 2003 zur Haltung der Bundesregierung zu einem geplanten Verkauf der Hanauer Plutoniumanlage an die Volksrepublik China:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Es ist nicht nur die Nuklearpolitik der rot-grünen Bundesregierung beim Chinabesuch des Bundeskanzlers unter die Räder gekommen. Ich verstehe den Ärger vor allen Dingen der Grünen über ihr Führungspersonal, das nicht gemuckst und, um im Bild zu bleiben, auch nicht gemoxt hat. Es ist noch ein zweites Herzensanliegen der rot-grünen Koalition beim Chinabesuch des Kanzlers gleich mit über Bord geworfen worden. Sie haben sich im Jahre 2000 mit den neuen Rüstungsexportgrundsätzen sehr stolz uns gegenüber präsentiert und gesagt: Keine Rüstungsexporte in Länder, die in schwerwiegender Form die Menschenrechte verletzen, keine Rüstungsexporte in Krisengebiete. – Sie wollten alles viel restriktiver handhaben als die Vorgängerregierung.
Jetzt verspricht Bundeskanzler Schröder dem chinesischen Staatspräsidenten, dass er sich dafür einsetzen will, dass das Waffenembargo der Europäischen Union gegen China aufgehoben wird. Nun haben Sie vorhin in der Fragestunde und in einigen Beiträgen alles versucht, um klarzumachen, dass das Waffenembargo mit unseren Rüstungsexportrichtlinien nichts zu tun habe und unsere Politik davon völlig unberührt bleibe. Wer soll das glauben, meine Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition? Was macht es für einen Sinn, sich für die Aufhebung des Waffenembargos einzusetzen, wenn man selber keine Geschäfte vorhat? Der Außenminister hat vorhin auf meine entsprechende Frage, wie ich fand, sehr ausweichend geantwortet.
Als ob wir ein Interesse daran hätten, dass China weiter aufrüstet! China wird nicht bedroht. China hat mit circa 2,5 Millionen Soldaten die größte Armee der Welt. Dazu kommen 1,1 Millionen bewaffnete Volkspolizisten. Der Verteidigungsetat Chinas steigt jährlich um mehr als 17 Prozent.
Im Jahresabrüstungsbericht 2002 – die Bundesregierung hätte wenigstens ihren eigenen Bericht lesen können – heißt es: „Die schon heute weit fortgeschrittenen Entwicklungsprogramme zur Verbesserung der verfügbaren Nuklearwaffen und ihrer Trägermittel werden weiter fortgesetzt … Biologische und chemische Waffen gehören ebenfalls zum chinesischen Inventar.“
Auf der anderen Seite ist China der größte Empfänger deutscher Entwicklungshilfe. Seit 1985 sind Finanzierungszusagen mit einem Volumen von 2,15 Milliarden Euro erfolgt. In diesem Jahr werden 80 Millionen Euro für die finanzielle Zusammenarbeit und 20 Millionen Euro für die technische Zusammenarbeit gewährt.
Ich frage Sie: Haben wir ein Interesse daran, dass China statt in seine Entwicklung – wir fördern mit unserer Hilfe in diesem Bereich sinnvolle Projekte – in seine Rüstung investiert? Wenn das nicht der Fall ist, frage ich Sie, warum die Forderung nach einer Aufhebung des Waffenembargos erhoben wird.
Was hat sich eigentlich seit der Verhängung des EU-Embargos im Hinblick auf die Menschenrechtslage geändert? Amnesty International stellt in seinem Jahresbericht 2003 fest: „Es waren erneut schwere Menschenrechtsverletzungen zu verzeichnen. In gewissen Bereichen verschlechterte sich die Menschenrechtslage im Vergleich zu den Vorjahren. Nach wie vor wurden zehntausende Personen willkürlich festgenommen oder inhaftiert, weil sie in friedlicher Weise ihre Rechte auf freie Meinungsäußerung, Religions- oder Vereinigungsfreiheit wahrgenommen hatten.“ Auf der Homepage des Auswärtigen Amtes heißt es in einer etwas geglätteten Fassung, die Menschenrechtslage in China bleibe weiterhin ein „Reibungsfaktor“ in den bilateralen Beziehungen.
Was den zweiten Grundsatz angeht, keine Rüstungsexporte in Krisen- oder Spannungsgebiete durchzuführen, hat der Kollege Volmer vorhin zu Recht darauf hingewiesen, dass es in Asien – ich nenne als Beispiele Indien, Japan, China und Indonesien – sehr viele historisch begründete Spannungen wie auch aktuelle Streitigkeiten um den Verlauf von Grenzen gibt. Es gibt ferner Streitigkeiten um Inseln im Chinesischen Meer. Dabei geht es auch um Öl. Diese Rivalitäten haben zu einem heftigen Wettrüsten in der Region geführt. Der Kollege Volmer hätte diese Fakten seiner Regierung vortragen sollen. Es ist durchaus richtig, dass es in dieser Region Tendenzen zur Nuklearisierung gibt. Es gibt vor allen Dingen keine wirksamen Rüstungskontrollregime.
Ich nenne ferner den Fall Taiwan. Der Bundeskanzler ist deutlich über das Festhalten an der Ein-China-Politik hinausgegangen. Er hat die Teilung Deutschlands in einen argumentativen Zusammenhang mit der Teilung Chinas gestellt. Die Deutschen wüssten, hat er festgestellt, was die Teilung eines Landes bedeutet und er verstehe die chinesischen Gefühle gegen Taiwan. Damit hat er sich den Standpunkt Pekings zu Eigen gemacht, Taiwan sei der eigentliche Verursacher der Krise. Dabei ist Taiwan – der Kollege Klose hat darauf hingewiesen – eine Demokratie und wir können uns eine Ein-China-Politik bzw. die Vereinigung Chinas mit Taiwan nur auf friedliche Weise vorstellen. Die massive chinesische Aufrüstung in der Taiwan direkt gegenüberliegenden Provinz passt nicht dazu. Eine Vereinigung mit Taiwan kommt doch nur dann infrage, wenn sich China zu einem Rechtsstaat und zu einer Demokratie entwickelt. An dieser Stelle schließt sich der Kreis; denn nur in dem Fall wird Taiwan die Vereinigung freiwillig vollziehen.
Es gibt in dieser Frage keinen Gegensatz zwischen Moral und Interesse. Ich halte diese Gegenüberstellung für falsch. Denn langfristig wird China nur dann ein berechenbarer Partner sein – übrigens auch für Wirtschaftskontakte –, wenn es sich zu einem Rechtsstaat und zu einer Demokratie entwickelt.
Lassen Sie mich mit einem Zitat des früheren Fraktionsvorsitzenden der Grünen schließen, das auf die Reise des Bundeskanzlers passt: „Sie müssen sich vorwerfen lassen, dass die Bundesregierung beim Besuch des Bundeskanzlers in China im Umgang mit der chinesischen Führung den Eindruck erweckt hat, dass sie zwar an den Prinzipien der Menschenrechte festhält, dass sie diese aber im Zusammenhang mit der Geschäftsentwicklung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und China weit in den Hintergrund rückt.“ - So weit Fischers Feststellung damals. Er hätte damit auch den jetzigen Bundeskanzler meinen können.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.