Ruprecht Polenz (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch die Unionsfraktion fand, dass gestern, als die Nachricht über das Einlenken der iranischen Regierung kam, ein guter Tag war. Wir sehen das als einen ersten wichtigen Schritt an, der zu Hoffnungen berechtigt. Ich hoffe – ich glaube, das tun wir alle –, dass man im Rückblick das, was gestern gelungen ist, als einen entscheidenden Durchbruch bezeichnen wird. Auch wir zollen der Leistung unserer Diplomaten und des Außenministers Anerkennung.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Gernot Erler [SPD]: Sehr gut! Weiter so, Herr Kollege!)
Es gibt aber auch ein Jubiläum. Fast auf den Tag genau vor 20 Jahren, am 22. Oktober 1983, hat die große Demonstration gegen die Nachrüstung und gegen den NATO-Doppelbeschluss auf den Bonner Hofgartenwiesen stattgefunden.
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wohl wahr! – Gernot Erler [SPD]: Da war ich dabei! – Gegenruf des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU]: Aber auf der falschen Seite!)
Damals gab es einen tiefen Konflikt darüber, ob Abrüstung einseitig oder gleichgewichtig und kontrolliert erfolgen solle. Unsere Position – Frieden schaffen mit immer weniger Waffen – erschien damals vielen Demonstranten als unglaubwürdig und illusionär; das weiß ich noch genau. Heute wird in dem von der Bundesregierung vorgelegten Jahresabrüstungsbericht 2002 der Moskauer Vertrag, der im Jahre 2002 zur strategischen Abrüstung zwischen den USA und Russland geschlossen wurde und der eine Reduzierung der Zahl der nuklearen Offensivwaffen um zwei Drittel bis zum Jahre 2010 vorsieht, richtigerweise als Erfolg verbucht. Heute könnte also die Formel „Frieden schaffen mit immer weniger Waffen“ unser aller gemeinsames Ziel beschreiben. Grundsätzlich gibt es ja eine große Übereinstimmung im Unterausschuss „Abrüstung und Rüstungskontrolle“.
Im Antrag der Koalitionsfraktionen wird festgestellt, dass sich die Rüstungskontrolle in einer Krise befindet. Ich stimme dieser Feststellung ausdrücklich zu. Es gibt einen neuen Rüstungswettlauf in Asien und im Nahen Osten. Besonders besorgniserregend ist dabei, dass er auch eine nukleare Dimension hat; denn Nordkorea und Iran streben – vermutlich oder tatsächlich – nach Atomwaffen.
Welches sind die Ursachen für die Krise der Rüstungskontrolle? Erstens. Die bestehenden Mechanismen der Rüstungskontrolle wurden für den Ost-West-Konflikt entwickelt. Man hat auf eine gleichwertige gegenseitige Abrüstung und gegenseitige Kontrolle gesetzt. Man ging außerdem von der Grundprämisse einer gegenseitigen Abschreckung aus. Man unterstellte sich damit gegenseitig ein kalkulierbares und rationales Verhalten.
Zweitens. Die Mechanismen, die wir bisher kennen, wurden im Hinblick auf die Rüstung von Staaten entwickelt. Man hat gemeinsam bestimmte Kategorien von Massenvernichtungswaffen und Trägersystemen verboten. Man hat multilaterale Abkommen geschlossen, multilaterale Überprüfungen festgelegt und gemeinsame Institutionen wie etwa die IAEO zur Überwachung und Kontrolle geschaffen. Aber heute – das macht die veränderte Lage aus – gibt es zusätzliche oder veränderte Konfliktlagen und Bedrohungswahrnehmungen. Innerstaatliche Kriege, also Bürgerkriege, werden von den bisher bestehenden Rüstungskontrollregimen gar nicht erfasst. Die Privatisierung des Krieges wird davon nicht erfasst. Wir haben das Problem von Terrorismus und Failed States, also zerfallenen Staaten, sowie das Problem der Verbindung von Terrorismus und Staaten, die uns Sorgen machen, die von den Amerikanern „Rough States“ genannt werden.
Wenn man über die Krise der Rüstungskontrollbemühungen spricht, muss man sich natürlich auch mit den Ursachen für die Hochrüstung und für die zunehmenden Rüstungsanstrengungen auseinander setzen. Es sind im Wesentlichen fünf Ursachen:
Erstens: die jeweilige Bedrohungswahrnehmung.
Zweitens: das Streben nach Vormacht, nach Einfluss, nach Prestige.
Drittens: innenpolitischer Machterhalt. Denken wir nur daran, dass Saddam Hussein nicht nur die eigenen Streitkräfte zur Absicherung der diktatorischen Herrschaft gedient haben; er hat sogar die Massenvernichtungswaffen unter diesem Aspekt eingesetzt.
Viertens: Unternehmer in Sachen Gewalt, die Rüstung als lukratives Geschäft betreiben. Denken wir zum Beispiel an die Situation der Warlords in Afghanistan.
Fünftens: terroristische Ziele einschließlich des Strebens nach Massenvernichtungswaffen.
Ich komme zu einem sehr schwierigen Punkt, der aus meiner Sicht ebenfalls eine Ursache für Rüstung sein kann, wahrscheinlich auch schon ist. Ich meine die Nebenwirkungen – so will ich es einmal nennen – unserer Sicherheitsstrategien. Wenn die Streitkräfte von klassischer Landesverteidigung auf Interventionsfähigkeit umgestellt werden, wenn wir aus humanitären Gründen intervenieren – aus unserer Sicht völlig berechtigt; wir haben es auch gemeinsam beschlossen –, dann bedeutet das in der Wahrnehmung mancher Dritte-Welt-Staaten – wie man verkürzt sagen könnte – natürlich eine latente Bedrohung und führt zu zusätzlichen Rüstungsanstrengungen.
Auch die Erforschung so genannter Mini-Nukes, durch die die Schwelle eines Atomwaffeneinsatzes gesenkt wird – jetzt nur auf der Forschungsebene, aber es besteht die Gefahr, dass das dann auch operativ umgesetzt wird –, ist sicherlich eher rüstungstreibend als rüstungsbegrenzend. Natürlich gehört in diesen Kontext auch die Diskussion über Prävention und Präemption.
Der Koalitionsantrag stellt also zu Recht fest, dass sich die Rüstungskontrolle in einer Krise befindet und deshalb neuer Impulse bedarf. Er umfasst 21 Punkte und – ich habe es gezählt – 13 Unterpunkte. Das zeigt auf der einen Seite, dass Sie ganz fleißig waren, und auf der anderen Seite zeigt es natürlich auch die Dichte des bisherigen Regelwerks. Im Grunde lauten die Vorschläge, die Sie zur Weiterentwicklung machen, in aller Regel: mehr von demselben, dasselbe noch etwas besser. Das sage ich gar nicht kritisch. In die Richtung geht es im Wesentlichen.
Dass Sie die Bundesregierung ausdrücklich auffordern, finanzielle Zusagen auch einzuhalten – das habe ich mit etwas Schmunzeln gesehen –, versteht in diesem Hause angesichts der finanzpolitischen Unzuverlässigkeit der Bundesregierung nun wirklich jedermann.
(Uta Zapf [SPD]: Wir wollten Ihnen doch etwas zum Schmunzeln geben!)
– Klar, aber es kommt noch mehr.
Sie haben in Ihrem Antrag eine Strategie, die präemptive Militärschläge zulässt, ausdrücklich abgelehnt. Das ist angesichts der Diskussion um das Solana-Papier eine, glaube ich, voreilige Festlegung. In dem Papier steht immerhin, dass man in Europa eine strategische Kultur entwickeln soll, die ein frühzeitiges, rasches und, wenn nötig, robustes Eingreifen begünstigt. In dem Solana- Papier heißt es auch: Für eine normgestützte Weltordnung gilt, dass die Gesetze mit den Entwicklungen wie Proliferation, Terrorismus und globale Erwärmung Schritt halten müssen. Auch in einem anderen Punkt haben Sie sich meines Erachtens falsch festgelegt. Sie fordern Beschlüsse des UN-Sicherheitsrats als zwingende Voraussetzung für die Verhängung von Sanktionen. Das geht weit über das gegenwärtige Völkerrecht hinaus. Das gegenwärtige Völkerrecht lässt Sanktionen auch ohne Beschluss des UN-Sicherheitsrats zu. Ich weiß nicht, ob es klug ist, dass sich die Europäische Union beispielsweise eines solchen Instruments begibt, so wie Sie das in Ihrem Antrag fordern.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Um zu Abrüstungserfolgen zu kommen, müssen auch die neuen Konflikte angegangen werden. Im Hinblick auf Failed States ist Nation Building erforderlich. Gefordert ist eine Antiproliferationpolitik mit Exportkontrollen, aber auch dem Abfangen von Lieferungen von Massenvernichtungswaffen zum Beispiel auf hoher See. Da sind Sie schon an einem Punkt, an dem das Völkerrecht weiterentwickelt werden muss.
Auch bei der Terrorismusbekämpfung werden Sie ohne den Gedanken der Prävention nicht weiterkommen. Dort ist eine Weiterentwicklung des Völkerrechts erforderlich. In der Präventionsdebatte geht es nämlich vor allen Dingen um die letzten beiden Punkte: Antiproliferation und Terrorismusbekämpfung. Natürlich muss jede gefundene Regelung – an diesem Punkt sind wir uns sicherlich einig – allgemein gelten, also auch für Indien und Pakistan, und sie darf nicht konflikteskalierend wirken.
Um zu erreichen, dass weitere Staaten, die miteinander im Konflikt stehen, abrüsten, dürfte es darauf ankommen, ob und wieweit es gelingt, den Grundgedanken durchzusetzen, dass man Sicherheit nicht gegen oder vor einem anderen Staat gewinnen kann, sondern nur miteinander.
Nun komme ich auf den Nahen Osten zurück. Man sollte die Bundesregierung auffordern, sich für nahöstliche Rüstungskontrollgespräche stark zu machen. Es hat sie nach der Nahostkonferenz von Madrid von 1992 bis 1995 schon gegeben. Die Veränderungen, die im Irak zuletzt stattgefunden haben, und auch die Veränderungen, die sich im Iran hoffentlich abzeichnen, könnten ein Momentum für solche Gespräche darstellen.
(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)
Ich mache mir keine Illusionen: Ein Abkommen zur Abrüstung ist im Nahen Osten vorläufig nicht zu erreichen; aber ein Forum könnte dazu dienen, Bedrohungswahrnehmungen der beteiligten Staaten auf den Tisch zu bringen. Syrien könnte, anders als damals, bereit sein, teilzunehmen. Es hat nämlich selbst vorgeschlagen, die amerikanischen Vorwürfe, man habe Massenvernichtungswaffen, nicht bilateral mit den Amerikanern, sondern im internationalen Rahmen zu behandeln. Natürlich müssten, anders als damals, auch der Iran und der Irak – notfalls die dortige Übergangsregierung – dazu eingeladen werden.
Solche nahöstlichen Rüstungskontrollgespräche wären auch eine Chance für die USA und den Iran. Es gibt aus unterschiedlichen Gründen für beide Regierungen bisher keine offiziellen Möglichkeiten, sich in bilateralen Gesprächen auszutauschen; aber im multilateralen Rahmen könnte man Positionen gegenseitigen Interesses klären.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ruprecht Polenz (CDU/CSU): Ich komme zum Schluss. Letztlich wäre eine solche Initiative – an ihr müssten Europäer und Amerikaner nämlich in jedem Fall teilnehmen – auch ein Signal, dass Frieden und Sicherheit im Nahen Osten ein gemeinsames transatlantisches Interesse ist. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)