Ruprecht Polenz

Rede im Deutschen Bundestag zur Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der Internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo (KFOR)

"So wie es aussieht, geht von dieser Parlamentsdebatte ein sehr klares Signal an die internationale Öffentlichkeit und auch an unsere Soldatinnen und Soldaten im Kosovo aus: Die weit überwiegende Mehrheit dieses Hauses, auch die CDU/CSU-Fraktion, unterstützt den Antrag der Bundesregierung. Gerade weil die Situation im Augenblick schwierig ist – der Herr Staatsminister hat auf die Beratungen im Sicherheitsrat hingewiesen –, halte ich nichts davon, alle möglichen hypothetischen Fragen und hypothetischen Antworten hier mit der Emphase zu erörtern, wie das mein Vorredner getan hat."
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Dr. Rainer Stinner [FDP]: Wir sind halt engagiert!)

Wir sollten klar Position zu dem beziehen, was anliegt. Es ist wichtig, sich an die Anfänge zu erinnern.

Als der Einsatz deutscher Streitkräfte im Kosovo begann, gab es kein Mandat der Vereinten Nationen. Diesem Einsatz ging eine schwere Entscheidung voraus. Ich erinnere an die Aussage des damaligen Außenministers Fischer – ich zitiere –:

„Ich habe nicht nur gelernt: Nie wieder Krieg. Ich habe auch gelernt: Nie wieder Auschwitz.“

Ich halte von solchen historischen Vergleichen nicht so viel. Ich schließe mich im Rückblick mehr der Bewertung von Wolfgang Schäuble an, der damals gesagt hat:

„Worum es geht, ist, Morden zu verhindern und zu helfen, daß der Friede so rasch wie möglich überall in Europa, auch in Jugoslawien und vor allem im Kosovo, wiederhergestellt wird … daß eine Tragödie für Hunderttausende von Menschen so rasch wie möglich beendet wird. Darum … geht es.“

Den Terror, das Leid, die Massengräber, die Vergewaltigungen, die über eine Million Flüchtlinge – dieses Elend hat der KFOR-Einsatz im Kosovo beendet. Das sollten wir als Erstes festhalten.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn man eine Mandatsverlängerung beschließt, muss man auch eine Zwischenbilanz ziehen und fragen: Wie weit sind wir jetzt gekommen? Die Europäische Union hat eine solche Bilanz gezogen. Sie beschreibt die Sicherheitslage als ruhig, aber nicht stabil. Es gibt Fortschritte bei der Aufgabenübertragung auf die Institutionen der Selbstverwaltung. Allerdings wird auch kritisch angemerkt, die Verwaltung sei überbesetzt und wenig leistungsfähig, Nepotismus herrsche vor, die Justiz sei nicht unabhängig, die Zahl unbearbeiteter Fälle wachse, es gebe große Defizite bei der Korruptionsbekämpfung, und das Verhältnis zwischen Kosovo-Albanern und Kosovo-Serben sei nach wie vor spannungsgeladen. – Diese Defizite beim Wiederaufbau sind nach meiner festen Überzeugung allerdings auch – nicht nur, aber auch – Folge der ungeklärten Statusfrage.

Nehmen Sie das Beispiel der Flüchtlingsrückkehr! Der Bürgermeister einer Gemeinde entscheidet sich, mit Zuschüssen der internationalen Gemeinschaft 50 Häuser für rückkehrwillige Serben zu bauen, und setzt das um. Die Serben kommen dann aber nicht, weil sie sich noch unsicher fühlen oder aus welchen Gründen auch immer. Die Häuser stehen leer. Der Geldgeber fragt: Was ist jetzt eigentlich mit unserem Geld? Die Albaner fragen: Können nicht wir jetzt in diese Häuser einziehen? – Da haben Sie nur einen kleinen Eindruck von den Problemen, die die ungeklärte Statusfrage aufwirft.

Ein anderer Fall: Bei einer Investitionsförderung für neue Arbeitsplätze, etwa auch für rückkehrwillige Serben, kann der gleiche Effekt entstehen. Es wird die Ansiedlung einer Hühnerfarm gefördert, und die serbischen Arbeitskräfte, für die sie eigentlich gebaut wird, bleiben aus.

Also: Vieles hängt von der Statusfrage ab. Erst wenn die geklärt ist, weiß jeder, woran er in Zukunft sein wird.

Nicht zuletzt hängen natürlich auch all die Investitionen des Auslandes, die das Land dringend braucht, sehr stark von der Klarheit in der Statusfrage ab. Deshalb wird eine Entscheidung über den Status auch bei der weiteren Verbesserung der politischen und demokratischen Standards helfen.

Der Herr Staatsminister hat die Vorschläge des UN-Sondervermittlers Ahtisaari bereits skizziert. Es ist im Grunde die Politik als Kunst des Möglichen, die diesen Vorschlägen zugrunde liegt. Ideallösungen gibt es nicht. Man kann sich nur – das muss man nüchtern anerkennen – über schlechte und weniger schlechte Lösungen unterhalten.

Jetzt sollten wir als Bundestag schon klar sagen, dass der Weg zu einer Statusänderung über den UN-Sicherheitsrat führen muss.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das ist die gemeinsame Position der Europäischen Union.

Wir sind jetzt mit einer Weigerung Russlands konfrontiert. Russland sagt: Wir stimmen nur einer Lösung zu, die zwischen den Serben und den Kosovo-Albanern einvernehmlich verhandelt ist, der also beide Seiten zustimmen. – Weil die serbische Seite der Unabhängigkeit nie zustimmen wird und Priština weniger als der Unabhängigkeit die Unterschrift nicht geben wird, bedeutet die russische Position eine dauerhafte Verfestigung des Status quo. Das ist nicht akzeptabel. Das müssen wir auch den russischen Partnern klarmachen.

Die Art und Weise, wie Russland sich bei diesem Problem verhält, hat zwingend Rückschlüsse darauf zur Folge, wie Russland sein Verhältnis zur Europäischen Union sieht. Daran können wir nicht vorbei.

Die USA engagieren sich mit uns bei KFOR als Hauptpartner. Auch von ihnen erwarten wir, dass sie keine einseitigen Schritte unternehmen und dass sie diese Gemeinschaft nicht aufkündigen. Wir erwarten ein entsprechendes Einwirken der Bundesregierung auf unsere amerikanischen Partner.

Last, but not least: Priština bleibt auch nach einer Statusänderung ganz entscheidend auf die Hilfe der Europäischen Union angewiesen. Deshalb erwarten wir von den Verantwortlichen in Priština, dass sie einseitige Schritte unterlassen; denn diese würden die Lage schlechter und komplizierter machen. Das könnte sich wie der Funke an einem Pulverfass auswirken. Auch dieser Appell an Priština muss von unserer Debatte heute hier ausgehen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Natürlich bleibt die KFOR-Präsenz in dieser sensiblen und kritischen Phase unabdingbar. Die jetzige Rechtsgrundlage – völkerrechtlich einwandfrei – ist die Sicherheitsratsresolution 1244. Es ist klar, dass bei einer Veränderung eine rechtzeitige neue Befassung des Bundestages erfolgen muss. Es ist genauso klar, dass der Bundeswehreinsatz in jedem Fall und zu jedem Zeitpunkt eine eindeutige rechtliche Grundlage haben muss.

All das sicherzustellen, ist die Aufgabe der Bundesregierung. Ich bin überzeugt, dass das gelingen kann, und danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)