Die Schülerin Verena Ommer aus Münster hat am parlamentarischen Paternschaftsprogramm teilgenommen und ihre Erfahrung für die Homepage von Ruprecht Polenz geschildert: "Ein Jahr außerhalb der eigenen Landesgrenzen zu verbringen, bedeutet eine Menge neuer Lernerfahrungen und damit eine große Herausforderung. Dies habe ich selber in vielen Situationen gespürt. Zunächst möchte ich einen Einblick in die verschiedenen Bereiche meines amerikanischen Alltags vermitteln, bevor ich zu einem persönlichen Rückblick auf mein Austauschjahr kommen werde."
Das harmonische Leben und Einleben bei meiner Gastfamilie sehe ich als den entscheidenden Faktor für das Gelingen meines Aufenthalts. Ich wurde überaus warmherzig bei den Rannals empfangen: Neben meinen Gasteltern Lisa und Alan hatte ich drei jüngere Gastbrüder (Alan, Austin, Aidan) und sogar Gastoma Ann wohnte mit im Haus. Von vornherein wurde ich in alle Familienaktivitäten mit einbezogen: Sowohl zu Baseballtournieren meiner jüngeren Gastbrüder, als auch zu diversen Partys, Shopping oder Gemeindeaktionen. All das vereinfachte mir die Integration in Damascus, Maryland. Die ersten Monate waren voll von gemeinsamen Unternehmungen – so z. B. ins nahe gelegene Washington D. C., nach Gettysburg und nach Ocean City am Atlantik – wodurch mir die Anfangszeit besonders erleichtert wurde. Ab einem bestimmten Zeitpunkt, etwa im November, fühlte ich mich jedoch zunehmend selbst dafür verantwortlich – es lag nun an mir, mit wem ich befreundet sein, mit was ich meine freie Zeit verbringen wollte. Mein gewöhnliches Leben dort praktisch neu aufzubauen war für mich sicher ein Schritt zu mehr Selbstständigkeit. Im Laufe der Zeit fiel mir allerdings auf, dass ich weitaus länger brauchte, um persönliche Beziehungen aufzubauen, als ich zuvor angenommen hatte.
Die regelmäßige Betreuung durch die Partnerorganisation CIEE bzw. YFU war durchgehend gut und immer auf sehr persönlicher Ebene. Obwohl ich von anderen gelegentlich Beschwerden hörte, kann ich selbst nur meine Zufriedenheit beteuern. Insbesondere zu meiner „örtlichen Koordinatorin“ Barbara Ward, die nur zwanzig Minuten entfernt wohnte, habe ich ein sehr vertrauensvolles Verhältnis aufgebaut. Nicht nur als ständig helfende Ratgeberin, sondern auch als Freundin war sie für uns Austauschschüler da. Darüber hinaus organisierte Barbara zahlreiche gemeinsame Ausflüge, war gleichzeitig aber immer um das Wohl jedes einzelnen ihrer Austauschschüler bemüht.
Natürlich verlief das Jahr nicht immer problemlos: Zum Beispiel, habe ich bemerkt, kann das Umgehen mit Großzügigkeit mitunter zur Herausforderung werden: Die Gradwanderung zwischen höflichem Ablehnen und dankbarem Annehmen ohne den Eindruck des „Ausnutzens“ bei der Familie zu hinterlassen, bedarf einer Menge Feingefühl. Des Weiteren fiel es mir mitunter schwer die amerikanische Esskultur zu akzeptieren. Nicht immer habe ich mich völlig anpassen wollen, besonders an das frühe Dinner konnte ich mich nie richtig gewöhnen. Auch habe ich mich dazu entschieden, nach einigen Monaten auf den Fleischverzehr zu verzichten. Dies hat zwar nie zu Streit, aber doch zu Diskussionen und Unstimmigkeiten geführt.
So wichtig auch die Gastfamilie für mein Austauschjahr war, letztlich hat die Schule den Alltag bestimmt. Dabei war es mir von vornherein wichtig, aktiv am Schulleben teilzunehmen. Nach den Qualifikationen für die Volleyballmannschaft, die noch vor Schulbeginn stattfanden, wurde ich schließlich ins Varsity Team meiner High School aufgenommen. Meine Gastfamilie war von dieser Tatsache noch begeisterter als ich selber… Die amerikanische Philosophie im Sport ist ein Erlebnis für sich: Der Sieg steht als oberstes Ziel; Drill und Kampfgeist sind dementsprechend stärker ausgeprägt, als ich es aus Deutschland gewöhnt war. Sicher ist diese Empfindung relativ zu sehen, da das Spezialgebiet in Damascus eindeutig beim Sport (Football) lag.
Nach Ende der Herbstsport-Saison fand ich anschließend die Zeit für gelegentliche Besuche im Kunst Club. In dessen lockerer Atmosphäre fühlte ich mich von Beginn an wohl und integriert. Bereits im Januar setzten allerdings die Proben für den Drama Club ein, bei denen ich mit etwas Glück für eine Hauptrolle im Musical Cabaret ausgesucht wurde. Konkret bedeutete dies lange Nachmittage im Auditorium, zum Teil hielt man sich bis in den frühen Abend im Schulgebäude auf. In dieser Situation konnte ich durchgehend konnte ich auf die Unterstützung meiner Gastfamilie zählen, etwa in Form von endlosen Autofahrten zwischen Schule und Zuhause; für mich eine große Erleichterung.
Unsere Regisseurin brachte jahrelange „echte“ Theatererfahrung mit; von ihrer Professionalität konnte ich daher viel abgewinnen. Die Möglichkeit an einer Theaterproduktion auf solch hohem Niveau mitzuwirken begriff ich als einmalige Chance. Das Theaterspielen stellte sich als eine der besten und emotionalsten Erfahrungen während meiner zehn Monate heraus: Meine dramaturgischen und menschlichen Fähigkeiten konnte ich dabei merklich ausbauen.
Dem ganz anders strukturierten Schulunterricht in den USA bin ich mit reichlich Neugier begegnet: Die täglich einheitlichen sieben „Periods“ habe ich beispielsweise mit Gitarrenunterricht, Soziologie und Psychologie ausgefüllt – Fächer, von denen ich vorher nur eine vage Vorstellung hatte. Gerade das ungewöhnlich breite Fächerangebot habe ich als Bereicherung empfunden. Allerdings gibt es meiner Meinung nach so manche Nachteile im amerikanischen Schulsystem: Mündliche Mitarbeit sowie Klassendiskussionen spielen so gut wie keine Rolle für die Bewertung der Schüler, Tests und regelmäßige Arbeiten gibt es fast nicht – nur die Examen am Ende jeden Halbjahrs. Der Stoff wird hauptsächlich erzählt und abgeschrieben, anstatt ihn selbstständig zu er-arbeiten… Trotz dieser Kritik muss ich feststellen, dass ich die fast schon freundschaftlichen Beziehungen zu meinen amerikanischen Lehrern als sehr angenehm und positiv für den Unterricht empfunden habe. Zu einigen stehe ich noch immer in Kontakt.
Ebenfalls die Institution Kirche funktioniert anders in den Vereinigten Staaten: Die Existenz einer Kirche wird meines Wissens nur durch private Spenden und ehrenamtliches Engagement ermöglicht. Daher erklärt sich der häufig starke Zusammenhalt und Einsatz im Bereich des Gemeindelebens. Mit meiner Gastfamilie besuchte ich die St. Luke’s Lutheran Church in Derwood. Es handelte sich um eine sehr kleine, evangelische Gemeinde, wo ich mich jederzeit aufgehoben und geborgen fühlen durfte. Die Herzlichkeit und Offenheit der Menschen dort haben mich immer wieder berührt. U. a. besuchte ich die sonntägliche Bible School. Innerhalb dieser Jugendgruppe haben wir mit unseren ehrenamtlichen „Lehrern“ über Bibelinhalte anhand unseres Alltagslebens diskutiert. In dieser kleinen Runde fiel es mir am leichtesten gute Freunde zu finden. Die Lebendigkeit von Kirche in den USA empfand ich als eines der positivsten Erlebnisse im gesamten Jahr.
Freunde zu finden ist die eine Sache, sie zu halten eine andere. Auch mit dieser Tatsache musste ich umgehen lernen, vor allem, da ich keinem festen Freundeskreis angehörte. Im Austauschjahr hatte mich das nie gestört; die Situation war in Ordnung so, wie sie sich ergeben hatte. Ob in der Nachbarschaft, der Gemeinde, beim Sport, im Drama Club oder im Unterricht – über die Zeit machte ich in vielen Lebensbereichen Bekanntschaften, woraus sich manchmal Freundschaften entwickelten. Im Nachhinein fällt es mir allerdings schwerer als erwartet, den Kontakt zu all den breit verstreuten Bekannten zu pflegen. Zu wem werde ich auf Dauer die Verbindung halten – oder halten wollen? Das sind mitunter Entscheidungen, die sich erst nach der Heimkehr ergeben haben.
Insgesamt hat mich dieses Jahr auf vielfache Weise geprägt – letztlich waren es aber weder die USA noch die englische Sprache, über die ich am meisten gelernt habe: Vor allen Dingen konnte ich Wertvolles von mir selbst und von meinem Land begreifen. Durch die räumliche und geistige Distanz zu allem Vertrauten habe ich für mich einen ganz neuen Begriff von „Deutschland“ entwickelt.
Für mich steht an dieser Stelle vor allem eins fest: Das Austauschjahr in den USA war mir der Anstoß für eine tolerantere Art des Denkens. Für das Differenzieren meiner Sichtweisen. Für ein Akzeptieren des Anderen vor dem (Be)werten. Insofern bin ich dankbar. Für jede Erfahrung des vergangenen Jahres und möchte in Zukunft dazu beitragen, dass auch andere die Vielseitigkeit und Faszination der Vereinigten Staaten erleben.