Ruprecht Polenz

Sieben Jahre Rot-Grün: Chaos in der Regierung, Enttäuschung bei den Menschen - Der Kommentar von Ruprecht Polenz

Die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland lahmt, obwohl die Weltwirtschaft dynamisch wächst, die Staatsverschuldung nimmt beständig zu und der Abbau von sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen kommt nicht zum Stillstand. Täglich gibt es neue Belegschaften, die damit zurechtkommen müssen, dass Stellenstreichungen, die Verlagerung von Betriebsteilen oder gar die Insolvenz des Unternehmens drohen. Täglich erleben die Arbeitslosen, dass die Bundesagentur für Arbeit immer noch nicht die Vermittlungsarbeit leistet, die von ihr gefordert ist. Und regelmäßige Meldungen über neue Lücken in den Sozialversicherungen verunsichern diejenigen, die auf solidarische Hilfe hoffen und darauf auch einen Anspruch haben.
In sieben Jahren rot-grüner Regierungsverantwortung ist keines der Probleme gelöst worden. Im Gegenteil, die Lage hat sich fast in jeder Hinsicht verschlechtert: Das Wachstum hat sich von durchschnittlich 2,2% (1990-1998) auf 1,2% (1999-2005) fast halbiert, Deutschland ist das wachstumsschwächste Land in Europa geworden. Die offene und verdeckte Arbeitslosigkeit liegt bei über 6 Millionen, die von der Bundesagentur für Arbeit registrierte Arbeitslosigkeit hat auch nach alter Zählweise gegenüber 1998 um rund 400.000 zugenommen. Die jährliche Neuverschuldung des Bundes hat sich von 29 Mrd. Euro auf knapp 40 Mrd. Euro erhöht, die Investitionen des Bundes sind hingegen um 30% zurückgegangen. Soziale Marktwirtschaft sieht anders aus.

Nach diesen sieben Jahren Misserfolg erklärt der Bundeskanzler die Lage nun damit, das "eigentliche Problem" sei, dass die Kombination Rot-Grün zur "gesellschaftlichen Situation", in der sich die Bundesrepublik seit geraumer Zeit befinde, gar nicht wirklich passe. Es hätte zunehmend mehr Kraft gekostet, das zusammenzuhalten, was "quer stand zu den Bedürfnissen der Republik." (ZEIT, 9.6.2005).

Das bedeutet dann wohl: Schröder hat wider besseren Wissens mit einer untauglichen Koalition die Macht errungen, sich dann an ihr festgeklammert und obendrein die Menschen mit dem Herausstellen des Duos Schröder-Fischer getäuscht. Schröder gesteht ein, dass der wahre Zustand des Landes in den zurückliegenden Jahren grundsätzlich andere Antworten erfordert hätte und dass seine rot-grüne Regierung diese Antworten für die Zukunft erst recht nicht bieten kann. Deutlicher kann man ein Scheitern kaum formulieren.

Im siebenten Jahr bringt Rot-Grün offensichtlich auch nicht mehr die Kraft auf, noch einen Haushalt vorzulegen. Bundesfinanzminister Eichel will zwei Wochen vor der betreffenden Kabinettssitzung nicht sagen, ob überhaupt noch etwas beschlossen und in den Bundestag eingebracht werden soll: "Was in diesen Wochen noch passiert, weiß ich nicht." (SZ 13.6.2005). Eine Bundesregierung, die sich weigert, einen Haushalt einzubringen, signalisiert, dass sie den Willen zur politischen Gestaltung vollständig aufgegeben hat.

Die kurz vor dem Durchbruch stehende Föderalismusreform ist von SPD-Chef Müntefering ohne Not abgesetzt worden. Die vom Bundeskanzler angekündigte Senkung der Körperschaftsteuer auf ein international wettbewerbsfähiges Niveau kann nur noch mit Hilfe der Rücktrittsdrohung des Wirtschaftsministers in den Bundestag eingebracht werden. Für die Verabschiedung wird wohl nicht einmal mehr eine Rücktrittsdrohung des Bundeskanzlers reichen. Dieser Politikstopp ist unverantwortlich, denn die Welt um uns herum bleibt nicht stehen. So verliert Deutschland weiter an Substanz.

Ablenkungsmanöver Lohndebatte: Als Ablenkungsmanöver und unter dem Druck des neuen Linksbündnisses haben jetzt Schröder, Eichel und Clement die Forderung nach massiven Bruttolohnerhöhungen erhoben. Bis zur Ankündigung von Neuwahlen wurden die Tarifpartner vom Kanzler und Wirtschaftsminister bei maßvollen Abschlüssen für ihre Bereitschaft zur Rücksichtnahme auf die Beschäftigungslage gelobt, die Lafontaine-Linie hingegen heftig kritisiert. Jetzt soll es anders herum gerade richtig sein. Das ist das Gegenteil eines geraden und verlässlichen Kurses, wie ihn Schröder für sich in Anspruch nimmt.

Vor allem aber geht der SPD-Vorstoß am Kern der Sache vorbei: Differenzierte Lösungen je nach Branche und Betrieb sind der Königsweg. Wir müssen so viel besser sein, wie wir mehr verdienen wollen. Wo das gelingt, ist eine Teilhabe der Arbeitnehmer am Erfolg des Unternehmens richtig und geboten. Entscheidend für die Union ist: Die Tarifpolitik ist Sache der Tarifpartner, der Belegschaften und Unternehmensführungen. Aufgabe der Politik ist es, die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass den Menschen mehr Netto verbleibt, die Arbeitskosten für die Unternehmen aber sinken. Genau dies ist die Zielrichtung der Strukturreformen bei Steuer und Sozialversicherungen, die die Union anstrebt.

Eine Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung weist nach: Der Reallohn in Deutschland ist in den letzten zehn Jahren gefallen, in Ländern wie Schweden, Großbritannien, Dänemark oder Niederlande aber um 10% bis 25% gestiegen. Das zeigt: Mehr Wohlstand, mehr Arbeitsplätze und mehr Kaufkraft sind in Europa auch unter den Bedingungen der Globalisierung möglich, es muss nur die richtige Politik gemacht werden.

Missachtung der Institutionen: Der Umgang der SPD mit dem Bundespräsidenten sagt viel über den Politikstil der SPD aus. Zuerst verkündet Regierungssprecher Anda tagelang die Unwahrheit über den Zeitpunkt, zu dem der Bundeskanzler den Bundespräsidenten über das Neuwahl-Vorhaben unterrichtet hat. Dann beschimpfen hochrangige Vertreter der SPD-Bundestagsfraktion den Bundespräsidenten, obwohl ihr Zorn vermutlich dem Bundeskanzler gilt, weil der damit zitiert wird, er könne wegen des "erhöhten Erpressungspotentials" in den eigenen Reihen nicht mehr weitermachen. Der SPD-Chef Müntefering ruft vergeblich zur Mäßigung auf und gesteht anschließend eine Schädigung seiner Autorität ein.

Im Untersuchungsausschuss setzt die rot-grüne Geschäftsordnungsmehrheit einen Abbruch der Beweisaufnahme durch, um die Zeugenvernehmung des Innenministers zu verhindern. Ohne diesen ist aber eine Klärung der politischen Verantwortlichkeit für den Schleusermissbrauch nicht vollständig möglich. Für einen gestrafften Abschlußbericht wäre im Falle einer Parlamentsauflösung im Sommer noch genügend Zeit. Vor diesem Hintergrund hat die CDU/CSU-Fraktion das Bundesverfassungsgericht angerufen, um die Minderheitenrechte der Opposition bei Willkür der Regierungsmehrheit zu klären.

Europa am Scheideweg: Nach den gescheiterten Verfassungsreferenden in Frankreich und den Niederlanden braucht die EU eine kritische Bestandsaufnahme und einen neuen Anlauf aus der Krise heraus. Für die Union ist von zentraler Bedeutung:
Wir müssen die Sorgen und Ängste der EU-Bürger sehr ernst nehmen. Ein einfaches Weiter-so in den europäischen Angelegenheiten wird der Lage nicht gerecht.
Europa braucht eine politische Ordnung mit weniger Bürokratie, mehr Subsidiarität sowie transparenten und demokratisch besser legitimierten Entscheidungswegen. Die Bürger wollen ein Zeichen sehen, dass die EU-Ebene dort, wo es geboten ist, auch wieder substantielle Kompetenzen nach unten abzugeben bereit ist.
Die EU muss sich jetzt über ihre Grenzen klar werden. Die Beitritte von Rumänien und Bulgarien können nur erfolgen, wenn die Kriterien zur Beitrittsfähigkeit vollständig erfüllt werden.
Europa braucht dringend mehr Wachstum und mehr Arbeit. Es muss deshalb seine Politiken viel stärker auf Innovation und Wettbewerbsfähigkeit ausrichten. Der Lissabon-Prozess muss mit mehr Ehrgeiz und Konsequenz auf der europäischen Ebene wie in den Mitgliedstaaten vorangetrieben werden.
Europa braucht einen gerechten und stabilen Finanzrahmen. Mit einfach mehr Geld für alte Strukturen werden wir die Akzeptanz der EU bei den Bürgern nicht stärken. CDU und CSU verlangen eine belastungsneutrale Lösung für Deutschland auf dem EU-Gipfel in Brüssel.

SPD versinkt im Chaos: Die deutsche Sozialdemokratie zeigt seit der Ankündigung der Vertrauensfrage durch Bundeskanzler Gerhard Schröder Anzeichen von Zerrüttung und Hilflosigkeit:
Die Angriffe führender Sozialdemokraten auf den Bundespräsidenten konnten selbst vom SPD-Partei- und Fraktionsvorsitzenden nicht eingedämmt werden. Schröder musste sein ursprüngliches Vorhaben, bis kurz vor der Vertrauensfrage über deren nähere Umstände zu schweigen, revidieren. Hier zeigt sich der weitreichende Autoritätsverlust der SPD-Führung.
Trotz aller vordergründigen Bekenntnisse zum Kanzler und seiner Politik fordert die SPD-Linke eine faktische Abkehr von der �Agenda 2010�. Ein vielstimmiger sozialdemokratischer Chor fordert mit wechselnder Auswahl grundlegende Änderungen an den Hartz-Gesetzen, die Erhöhung der Erbschaftssteuer, einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn, Die Verschärfung der Mindestbesteuerung für Unternehmen, die Einführung einer neuen Steuer für Vermögende, die Ausbildungsplatzabgabe und regelmäßig die Einführung der Bürgerzwangsversicherung bei Krankheit und Pflege.

Grüne: "Wir sind es nicht gewesen".
- Die Grünen wollen sich den schwarzen Peter der Koalitionsaufkündigung nicht zuschieben lassen. Volker Beck, parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen, fasst die Situation so zusammen: "Da wir die Frage und das Verfahren nicht kennen, ist der Ablauf noch nicht geklärt, aber unser Vertrauen in den Bundeskanzler ist unerschütterlich." (dpa 1.6.2006)
- Tatsächlich glauben die Grünen nicht mehr an die Fortsetzung der Koalition im Herbst. Fraktionschefin Katrin Göring-Eckhardt meint: "Wenn man ehrlich ist, wird die SPD nach heutigem Stand am Wahlabend nicht genügend in die Wagschale werfen können, um Rot-Grün fortzusetzen." (FTD 9.6.2005)
- Entsprechend lautet die Devise für die letzten Wochen der Koalition von Frau Göring-Eckhardt, man wolle die gemeinsame Regierungsarbeit "geordnet und ohne Chaos zu Ende bringen" (AP 31.5.2005). Es wäre allerdings wirklich überraschend, wenn nach sechseinhalb Jahren Zank, Verwirrung und mangelhafter Regierungsarbeit wenigstens das Abtreten ordentlich über die Bühne ginge.

Grüner Streit über Spitzenkandidaten. Der Grünen-Politiker Hans Christian Ströbele hat einen Streit über eine mögliche zweite Spitzenkandidatin der Partei neben Joschka Fischer zur Bundestagswahl ausgelöst. Der Alt-Linke meint: "Ich fände es sehr gut, wenn außer Fischer eine profilierte weibliche Person als Spitzenkandidatin dabei wäre." (Netzeitung 2.6.2005) Verbraucherschutzministerin Renate Künast betont, sie stehe dafür nicht zur Verfügung und weist die Forderung nach einer grünen Doppelspitze im Bundestagswahlkampf zurück. "Ich bin über diese Debatte verärgert." (Sächsische Zeitung 2.6.2005)

Rot-Grüner Wirklichkeitsverlust: "Wir bieten ihnen [den Bürgern] eine ehrliche Zwischenbilanz, ein klares Ziel und einen soliden politischen Kurs, eine soziale und demokratische Perspektive für die kommende Zeit. " Gerhard Schröder und Franz Müntefering (in ihrem Brief vom 31. Mai 2005 an die SPD-Mitglieder zur Begründung der Neuwahl-Entscheidung.)

Rot-Grüner Abgesang:

- "Es gibt keine Rot-Grüne Regierung mehr." Daniel Cohn-Bendit (tageszeitung 6.6.2005)
- "Die SPD ist in Auflösung begriffen und derzeit nicht mehr fähig zu regieren." Antje Hermenau, Mitglied im Parteirat der Grünen. (BamS 12.6.2005)
- "Schwerer handwerklicher Fehler." Verteidigungsminister Peter Struck über die Neuwahlankündigung des Bundeskanzlers. (Die Welt 7.6.2005)
- "Schröder treibt seine Partei in den Ruin." Heinz-Werner Schuster, AfA-Landesvorstand NRW. (Freie Presse Chemnitz 7.6.2005)
- "Putschversuch vom 22. Mai." Der ehemalige SPD-BaWü-Vorsitzende Ulrich Mauer über die Neuwahlankündigung des Bundeskanzlers. (Thüringer Allgemeine 7.6.2005)
- "Wir machen euch die Kassen leer." Bundesfinanzminister Hans Eichel zu Roland Koch. (Leipziger Volkszeitung 7.6.2005)