Rede von Ruprecht Polenz im Deutschen Bundestag am 12. Februar 2004 im Rahmen der Aussprache „Technikfolgenabschätzung. Militärische Nutzung des Weltraums und Möglichkeiten der Rüstungskontrolle im Weltraum – Sachstandsbericht“.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Ich bin kein Multitalent wie der Kollege Tauss. Ich spreche zu der Vorlage über die militärische Nutzung des Weltraums und die Möglichkeiten der Rüstungskontrolle im Weltraum, also zu dem Bericht, für den ich Ihren Ausschuss loben und für den ich mich bedanken wollte. Es war etwas voreilig, Ihr Multitalent, Herr Kollege Tauss, auch anderen zu unterstellen.
(Jörg Tauss [SPD]: Ich bin so fasziniert!)
Ich bedanke mich für die umfassende Darstellung über den gegenwärtigen Stand und die weiteren Entwicklungstendenzen und die damit verbundenen erheblichen Probleme, nämlich die Gefahr eines ungebremsten Rüstungswettlaufs im Weltraum. Der Bericht kommt zu sehr realistischen Einschätzungen der leider nicht sehr großen Chancen, die vorhandenen Lücken in den Rüstungskontrollregimen für den Weltraum zu schließen und das drohende Wettrüsten zu vermeiden. Er macht einige konkrete Vorschläge, wo angesetzt werden könnte, um wenigstens die Diskussion über eine Begrenzung und Kontrolle der Weltraumrüstung wieder in Gang zu bringen.
Wir müssen nüchtern – vielleicht: ernüchtert – feststellen: Ein militarisierter Weltraum ist schon lange eine Tatsache. Zwar ist derzeit die Stationierung von Nuklear- und anderen Massenvernichtungswaffen im Weltraum verboten – auch die Einrichtung von militärischen Stützpunkten oder die Erprobung von Waffen –, aber es bleiben große Lücken, die genutzt wurden und werden. So gibt es Satelliten zur Aufklärung, Navigation und Kommunikation mit der Absicht, die Effizienz militärischer Operationen auf der Erde zu steigern. Zwar befinden sich noch keine Waffensysteme im Weltraum, mit denen unmittelbar auf andere Ziele im Weltraum oder auf der Erde eingewirkt werden könnte, aber an der Entwicklung solcher Weltraumwaffen wird gearbeitet, vor allem in den USA, aber auch in Russland und China.
Das ist das Besorgnis Erregende. Weder die Entwicklung dieser Weltraumwaffen noch eine spätere Stationierung im Weltraum sind bisher durch irgendwelche rüstungsbeschränkenden Vereinbarungen untersagt. Auch wenn derzeit nur ein kleiner Kreis von Staaten technologisch und ökonomisch in der Lage ist, derartige Waffensysteme zu entwickeln, droht ohne Vereinbarungen zur Rüstungsbeschränkung und Rüstungskontrolle mittel- bis längerfristig ein allgemeines Wettrüsten im Weltraum mit heute nicht vorhersehbaren Auswirkungen für die Stabilität des internationalen Staatensystems und die globale Sicherheit.
Seitens der USA besteht eine technologische und ökonomische Überlegenheit über praktisch alle anderen Staaten. Amerika strebt nach der von ihm so genannten Space Control, um Bedrohungen auf der Erde und aus dem Weltraum abzuwehren, auch im Zusammenhang mit den Überlegungen zu einer Raketenabwehr vor dem Hintergrund von Failed States, ballistischen Raketen, Massenvernichtungswaffen und Terroristen.
(Jörg Tauss [SPD]: Was halten Sie davon?)
Ich habe Verständnis für diese Bemühungen, Herr Kollege Tauss. Ich bin mir sicher, dass wir uns ähnlich verhalten würden, wenn wir die technologischen Möglichkeiten hätten, um uns zu schützen. Allerdings – jetzt kommt die Einschränkung – werden diese Anstrengungen längerfristig wenig erfolgreich sein, wenn sie nicht durch Rüstungskontrollvereinbarungen flankiert werden. Denn andere Länder werden nichts unversucht lassen, um sich eigene militärische Potenziale im Weltraum aufzubauen. Das mag zwar länger dauern, es ist ihnen aber – das ist der springende Punkt – ohne Rüstungskontrollvereinbarungen nicht zu verwehren. Es liegt also auch im Interesse der USA, diese Entwicklung zu verhindern.
Es bleibt unrealistisch, anzunehmen, der Weltraum werde jemals wieder ohne militärische Bedeutung sein. Deshalb sollte die Raketenabwehr zumindest zunächst von Rüstungskontrollüberlegungen ausgenommen werden, nicht zuletzt deshalb, weil wir ein eigenes Interesse an solchen Raketenabwehrsystemen haben. Die bisherigen Rüstungskontroll- oder Abrüstungsvereinbarungen kamen – das macht das Problem aus – entweder zwischen gleichstarken Gegnern im Kalten Krieg oder als Vereinbarungen zwischen Staaten, denen sich Schwächere angeschlossen haben – wie im Atomwaffensperrvertrag – zustande. Jetzt geht es darum, dass stärkere Staaten – insbesondere die USA, aber auch Russland und China – auf Möglichkeiten zur Entwicklung und Stationierung von Weltraumwaffen verzichten sollen, über die derzeit nur sie verfügen, die aber auf längere Sicht nicht so exklusiv bleiben werden.
Was kann getan werden? Seit der zweiten Hälfte der 90er-Jahre ist die Genfer Abrüstungskonferenz nicht zuletzt wegen eines Streites über diese Fragen blockiert. Bis dahin hatte die Konferenz jedes Jahr wenigstens ein Ad-hoc-Komitee zur Verhinderung eines Wettrüstens im Weltraum eingerichtet. Seit 1995 wollen viele Staaten dieses Komitee wieder einrichten, damit wenigstens wieder Gespräche über diese Thematik möglich sind. Dies zu erreichen ist die dringendste politische Aufgabe. Anschließend könnte man sich der schwierigen Aufgabe zuwenden, die bestehenden Definitionsschwierigkeiten zu klären, die es bei verschiedenen weltraumrechtlichen Begriffe und Sachverhalten noch gibt. Diese Klärung ist eine zwingende Voraussetzung dafür, dass man in einem nächsten Schritt präzise Verbotstatbestände angehen kann.
Angesichts der aktuellen nuklearen Proliferationsgefahr, die sich an Staaten wie Pakistan festmacht, und der Diskussion um die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen auf der Erde mag die Diskussion über eine Kontrolle und Begrenzung der Weltraumrüstung als eher nachrangig erscheinen. Aber das wäre eine gravierende Fehleinschätzung. Die Bundesregierung sollte deshalb alles in ihren Kräften Stehende tun, um die internationale Arbeit zugunsten der Rüstungsbegrenzung und Rüstungskontrolle im Weltraum wieder in Gang zu bringen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.