Ruprecht Polenz

Polenz warnt vor Aufrechnung der Toten unter NATO-Staaten

Interview im Deutschlandfunk

Moderation: Christian Schütte

Der CDU-Politiker Ruprecht Polenz weist Kritik am deutschen Afghanistan-Engagement zurück. "Wenn alle so viel tun würden wie Deutschland, hätten wir 10.000 NATO-Soldaten mehr in Afghanistan", sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages. "Ohne Frieden in Afghanistan gibt es auch keine Sicherheit für uns", begründete er den Einsatz.
Christian Schütte: Welche Rolle sollen deutsche Soldaten künftig in Afghanistan spielen? Ein Großteil der Deutschen sagt: am besten gar keine. Man sollte die Truppen lieber sofort nach Hause holen. Selbst der Status quo, also rund 3300 Soldaten im nicht ganz so gefährlichen Norden, selbst dies findet im Wählervolk derzeit keine Mehrheit, und das obwohl die Bundeswehrsoldaten für das, was sie bisher geleistet haben, international gute Noten bekommen haben.

Über die Rolle der Deutschen in Afghanistan spreche ich nun mit Ruprecht Polenz von der CDU. Er ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. Guten Morgen, Herr Polenz!

Ruprecht Polenz: Guten Morgen, Herr Schütte!

Schütte: Herr Polenz, warum hat der Einsatz der deutschen Bundeswehr in Afghanistan hierzulande dieses katastrophale Image?

Polenz: Ich kenne die Meinungsumfragen in Deutschland, wonach etwa 60, je nachdem wie gefragt wird, bis 80 Prozent der Bevölkerung sagen, die Soldaten sollen lieber heute als morgen zurückgeholt werden. Auf der anderen Seite gibt es in Afghanistan Meinungsumfragen: Danach sagen 80 Prozent der afghanischen Bevölkerung, sie sollen bitte bleiben, weil wir sie brauchen, weil sonst unsere Sicherheit gefährdet ist, die Taliban wiederkommen, El Kaida wiederkommt. Und das ist auch genau der Grund, den wir unserer Bevölkerung besser erklären müssen. Die deutschen Soldaten sind in Afghanistan, um Sicherheit in Deutschland besser gewährleisten zu können, denn wenn sie nicht den Afghanen helfen würden, das Land in den Griff zu bekommen, aufzubauen, dann hätten wir hier mit mehr Anschlägen von El Kaida zu rechnen. Das muss verhindert werden.

Schütte: Akzeptanz in Afghanistan, fehlende Akzeptanz hier. Das Problem ist nur, dass hier auch die Legitimation gewissermaßen stattfindet. Wenn über 60 Prozent der Deutschen sagen, wir sollten da raus, dann spricht dies nicht dafür, dass dieser Einsatz als sinnvoll angesehen wird. Was setzen Sie da konkret gegen?

Polenz: Ich glaube, wenn man sich noch mal daran erinnert, warum deutsche Soldaten in Afghanistan sind, dann liegt ja der Grund im 11. September und in der Feststellung, dass bei aller Unterschiedlichkeit der Attentäter alle eines gemeinsam hatten: Sie waren für Wochen und Monate in Trainingscamps der El Kaida in Afghanistan gewesen. Und wenn wir zulassen, dass Afghanistan in diesen Zustand zurückfällt, dann würde dort wieder ein sicherer Rückzugsraum für El Kaida entstehen, und wir wissen doch seit dem 11. September 2001, dass es Anschläge gegeben hat in Madrid, in London, dass es versuchte Anschläge auch in Deutschland gegeben hat von El Kaida, und dem müssen wir entgegentreten. Man kann es auf die Formel bringen: ohne Frieden in Afghanistan gibt es auch keine Sicherheit für uns.

Schütte: Warum scheinen das die meisten Deutschen nicht zu wissen?

Polenz: Ich glaube, wir haben in den Erklärungen zu stark uns nur noch auf die Seite des Wiederaufbaus konzentriert ,und da steht dann natürlich die Frage, ja es gibt viele arme Länder auf der Welt; warum denn gerade in Afghanistan so viel machen? Wir müssen den engen Zusammenhang unseres Afghanistan-Einsatzes mit der Sicherheit in Deutschland, in Europa, den müssen wir in den Mittelpunkt unserer Argumentation stellen. Wir müssen sicherlich auch größere Anstrengungen unternehmen, da meine ich das Parlament, aber auch die Bundesregierung, die deutsche Bevölkerung von der Notwendigkeit des Einsatzes zu überzeugen.

Schütte: Sie haben das Stichwort "Wiederaufbau" genannt. Hat die Politik zu Beginn des Afghanistan-Einsatzes den Fehler gemacht, den Einsatz zu verharmlosen?

Polenz: Das denke ich nicht. Wenn Sie sich die Parlamentsdebatten anschauen, dann ist doch immer sehr deutlich auch über die Risiken gesprochen worden, die mit diesem Einsatz verbunden sind - und zwar in ganz Afghanistan verbunden sind. Jeder der mal bei einer Verabschiedung von deutschen Soldaten nach Afghanistan dabei war, weiß, dass man natürlich Soldaten in einen Einsatz schickt, wo wir alle hoffen, dass sie gesund und wohlbehalten zurückkommen, wo man dafür aber keine Garantie geben kann. Dieses Risiko einzugehen, ist aber auch nur dann vertretbar, wenn es zum Schutz der eigenen deutschen Bevölkerung eingegangen wird - und das ist der Fall.

Schütte: Kommen wir auf die künftige Rolle der Bundeswehr in Afghanistan zu sprechen. Wäre es nicht ehrlicher, wenn Herr Jung oder auch die Kanzlerin einmal deutlich sagten, als wichtiger Bündnispartner der NATO übernimmt Deutschland Verantwortung, und deshalb kämpfen wir mit in Afghanistan?

Polenz: Der Minister spricht ja natürlich davon, auch die Bundeskanzlerin, dass im Zweifel auch gekämpft werden muss, nämlich wenn es darum geht, Angriffe von Aufständischen, bewaffneten Aufständischen abzuwehren, Projekte zu schützen, sich zur Wehr zu setzen bei Angriffen. Aber ich will hinzufügen: Wir müssen Acht geben, dass wir die Debatte nicht nur auf das Militärische verengen. Auch Generale sagen mir, das Militär kann nur etwa 20 Prozent zu dem Aufbau Afghanistans, zu den Zielen, die wir erreichen wollen, beitragen. Der Rest, etwa Polizeiaufbau, Verwaltung, Justiz, Korruptionsbekämpfung, Bekämpfung des Drogenanbaus, das ist genauso wichtig und noch wichtiger, wenn wir Erfolg haben wollen.

Schütte: Gekämpft wird - das ist klar -, aber es geht konkret um Kampf-Einsätze.

Polenz: Die ISAF-Soldaten haben einen Auftrag zu helfen, Sicherheit zu gewährleisten. Das schließt auch Kampf ein, wenn das erforderlich ist. Es ist immer eine falsche Wahrnehmung gewesen, als seien sie so etwas wie bewaffnete Entwicklungshelfer und nur zum Brunnenbohren nach Afghanistan gefahren. Nein: Sie sollen Sicherheit gewährleisten, und wir wissen, auch im Norden hat das gelegentlich auch die Notwendigkeit, die Waffen einzusetzen.

Schütte: Worin besteht dann das Problem, auch deutsche Soldaten dauerhaft in den Süden zu schicken?

Polenz: Wir haben im Norden Afghanistans keinen einzigen Soldaten zu viel. Es wäre deshalb ein Fehler, vom Norden aus dauerhaft Kräfte abzuziehen, um sie in den Süden zu schicken. Die Frage, ob wir zusätzliche Kräfte nach Afghanistan schicken können, muss vor dem Hintergrund des gesamten deutschen Engagements im Ausland beurteilt werden und da, würde ich Ihnen als Außenpolitiker sagen, müssen wir gerade jetzt in diesen Wochen auch sehr aufmerksam auf die Entwicklung auf dem Balkan schauen, wo ja mit den Veränderungen, die sich um das Kosovo ergeben werden, hoffentlich alles gut gehen wird. Das wünschen wir uns, aber wir können nicht sicher sein, und deshalb muss man auch solche Regionen, wo die Bundeswehr wie im Kosovo, wie in Bosnien-Herzegowina, sehr stark engagiert ist, mit im Auge behalten. Das muss vor der Frage "Wie leistungsfähig können wir uns an solchen Einsätzen beteiligen?" mit berücksichtigt werden.

Schütte: Also Sie schließen eine Truppenerhöhung in Afghanistan aus?

Polenz: Nein, sondern wir haben vor drei Monaten ein Mandat beschlossen mit einer Obergrenze von 3500 Soldaten für Afghanistan. Das Mandat ist auf ein Jahr befristet, und wenn wir im Herbst erneut zu debattieren haben, wird es Sache der Bundesregierung sein, eine Lagebewertung vorzunehmen, festzustellen, wie weit sind wir gekommen, was ist erforderlich, und dann dem Bundestag Vorschläge zu unterbreiten, Anträge zu stellen, mit wie vielen Soldaten dann das Mandat verlängert werden soll.

Schütte: Der US-Verteidigungsminister Robert Gates warnt vor einer gespaltenen NATO, wenn nicht alle kämpfen wollen. Damit ist gemeint, wenn nicht alle auch in dem umkämpfteren Süden beispielsweise sich engagieren. Zitat: "In der NATO dürfen einige Alliierte nicht den Luxus haben, ausschließlich auf zivile und stabilisierende Operationen zu setzen."

Polenz: Das ist richtig, und diesen Luxus gönnt sich auch keine Nation in Afghanistan.

Schütte: Auch nicht Deutschland?

Polenz: Nein, natürlich nicht, denn zum einen ist auch, wie wir besprochen haben, der Einsatz im Norden risikoreich und gefährlich, und zum anderen haben wir auch im Mandat für den Bundeswehreinsatz eine Solidaritätsklausel, die den Einsatz von deutschen Soldaten im Süden ermöglicht, wenn dies für die Hilfe und für die Erfüllung des ISAF-Einsatzes erforderlich und unabweisbar ist. Die Tornados, die Deutschland nach Afghanistan schickt, machen auch Aufklärungsflüge im Süden. Wir haben Fernmelder in Kandahar, also auch außerhalb des Nordbereiches, und wir sind verstärkt bei Transporteinsätzen auch im Süden unterwegs.

Schütte: Robert Gates beurteilt das offensichtlich ein bisschen anders. Er sagt, die anderen Alliierten werden gezwungen, einen unangemessenen Anteil am Kämpfen und am Sterben zu übernehmen. Eine solche Entwicklung mit all ihren Konsequenzen würde die NATO zerstören. Wann, um bei der Formulierung zu bleiben, übernimmt Deutschland seinen Anteil am Kämpfen und am Sterben?

Polenz: Ich halte nichts von einer Diskussion über den Afghanistan-Einsatz unter diesen Überschriften. Ich habe mal einen britischen Kollegen gefragt, ob diese Anfragen an Deutschland auch dann kämen, wenn aus welchen Gründen auch immer Deutschland mehr Todesopfer im Norden zu beklagen hätte, und darauf habe ich betretenes Schweigen geerntet. Es kann doch nicht richtig sein, dass man sich jetzt sozusagen gegenseitig Tote vorrechnet und dass man anhand dieser Frage die Afghanistan-Debatte führt. Wir müssen sie führen an dem Ziel, in ganz Afghanistan erfolgreich zu sein. Wir müssen darüber reden, wie wir das am besten gewährleisten können. Und da gibt es ein Konzept vernetzter Sicherheit, das sowohl auf die Bekämpfung der Aufständischen setzt, aber eben auch auf den zivilen Wiederaufbau. Dieses Konzept muss überall in Afghanistan angewandt werden.

Schütte: Dennoch, es gibt eine Krise. Es gibt Unstimmigkeiten innerhalb der NATO. Wie kann man diesen Konflikt beilegen? Welche Zugeständnisse will Berlin dann doch an die NATO machen? Oder hofft man, dass man die Sache aussitzen kann?

Polenz: Es geht nicht ums Aussitzen. Deutschland ist drittgrößter Truppensteller in Afghanistan und viertgrößter Geber von Entwicklungshilfe. Wenn man sich auf die Frage, wie viele Soldaten stellt welches NATO-Land in Afghanistan, konzentriert, wenn alle so viel tun würden wie Deutschland, hätten wir 10.000 NATO-Soldaten mehr in Afghanistan. Wir sollten uns Schuhe, die irgendwo hingestellt werden, nicht anziehen.

Schütte: Wer tut denn da zu wenig?

Polenz: Ich will hier kein einzelnes NATO-Land nennen. Ich habe nur generell darauf hingewiesen, dass Deutschland einen außerordentlich hohen Beitrag für die Stabilisierung in Afghanistan leistet. Wir tun dies aus eigenem deutschen Interesse, aus europäischem Interesse und auch aus Bündnisinteresse.

Schütte: Ruprecht Polenz von der CDU, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. Ich danke, dass Sie Zeit hatten, hier ins Studio zu kommen.

Polenz: Danke, Herr Schütte.

(Interview im Deutschlandfunk am 12.02.2008)