Die Aufregung war groß. Eine hitzige Debatte gespickt mit Vorurteilen auf allen Seiten brandete in Deutschland auf. Der türkische Ministerpräsident Erdogan hatte mit seiner Rede in Köln erneut einen Streit um die Integration von Einwanderern ausgelöst. Die Gemüter haben sich inzwischen wieder etwas beruhigt. Eine Versachlichung der Frage, wie viel Anpassung und Entgegenkommen eine erfolgreiche Integration erfordert, ist geboten.
Die Heftigkeit der Auseinandersetzung zeigt vor allem eines: Auf beiden Seiten besteht eine Bereitschaft zum Misstrauen. Es ist diese „Unkultur des Verdachts“, die das Zusammenleben der verschiedenen Nationen und Kulturen in Deutschland so schwierig macht. Ausgehend vom Grundgesetz als normativer Grundlage unseres Zusammenlebens müssen wir Deutsche ausländischen Mitbürgern aber so lange eine verfassungskonforme Loyalität unterstellen, bis sich das Gegenteil konkret herausstellt.
Deutsche und Einwanderer tragen bestimmte – meist negativ besetzte – Stereotype der jeweils anderen Gruppen mit sich. Wahrgenommen werden stets nur die Signale der Gegenseite, die diese Stereotype bedienen. Was wir brauchen, ist ein größeres Verständnis dafür, wie Formulierungen bei unserem jeweiligen Gegenüber aufgenommen werden. Von Nöten ist aber auch Offenheit und Sensibilität für positive Signale. Dazu gehört die Bereitschaft zuzuhören, dazuzulernen und unterschiedliche Überzeugungen wechselseitig zu respektieren.
Dass es daran mangelt, zeigte sich an der unpassenden Formulierung in der Rede Erdogans über „Assimilierung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. In Deutschland erwartet niemand von Zugewanderten Assimilation. Für das von ihm mit Zwang und Gewalt verbundene Verständnis von Assimilation gibt es bei uns keinen Platz. Das weiß auch der türkische Ministerpräsident. Er hat mit dieser Formulierung einen Pappkameraden aufgebaut.
In der Aufregung über diese Äußerung ging aber der Teil seiner Rede völlig unter, in der er zur Integration Stellung nahm. Erdogan erklärte: „Jedoch würden Sie, wenn Sie die Sprache des Landes erlernen, in dem Sie leben, (…) in jeder Hinsicht davon profitieren. (Es würde) für Sie und für Ihre Kinder in jeder Hinsicht vorteilhaft sein, wenn Sie Möglichkeiten maximal ausschöpfen, die das hiesige gute Schulsystem Ihnen bietet.“ Der türkische Regierungschef wies darauf hin, dass andernfalls „unweigerlich eine Situation der Benachteiligung“ eintrete.
Wie stark eine Bindung an die ursprüngliche Heimat, deren Traditionen und Kultur bleibt, diese Entscheidung muss jeder selbst treffen. Um neue Wurzeln schlagen zu können, muss man die alten kappen. Man kann jedoch in einem Land keine Wurzeln schlagen und sich dort wohlfühlen, wenn man die Sprache nicht beherrscht und die Regeln des Zusammenlebens nicht versteht. Wer an dem gesellschaftlichen und kulturellen Lebens des Landes, in dem er lebt, nicht teilhaben kann, der wird sich dort stets fremd fühlen.
So entsteht in unserer Gesellschaft ein „Wir“ und „die Anderen“. Dies zu überwinden, dazu rief Ministerpräsident Erdogan auf. Er sagte: „Sie können sich heute, in der heutigen Welt, nicht mehr als ‚der Andere’, als derjenige, der nur vorübergehend hier ist, betrachten. Sie dürfen sich nicht so betrachten.“
Ein „Wir“ als Ergebnis eines erfolgreichen Integrationsprozesses erreichen wir nur:
• bei gleichen Chancen auf Teilhabe.
• mit dem beiderseitigen Willen zur Integration und der Bereitschaft, die damit verbundenen Anstrengungen schultern zu wollen.
• durch die Bereitschaft der Einwanderer, unsere Sprache zu lernen und die Bildungsangebote auch anzunehmen, die wir ihnen und ihren Kindern machen sowie in unserem Land ankommen zu wollen und sich nicht darauf einzurichten, dauerhaft in der Fremde zu leben.
• mit der Gewissheit, in der neuen Heimat willkommen zu sein und sich angenommen zu fühlen
• indem wir Einwanderern und ihren Leistungen Respekt entgegenbringen. Nur dann kann Integration erwartet werden.
Für beide Seiten bleibt noch viel zu tun. Einwanderer wie auch die deutsche Mehrheitsgesellschaft haben eine Bringschuld. Schaffen können wir Integration nur gemeinsam und nur, wenn sie gewollt ist – auf beiden Seiten.