Ruprecht Polenz

"Das hat mit Demokratie wenig zu tun"

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz, hat die Präsidentenwahl in Russland kritisiert. Der scheidende Präsident Wladimir Putin habe vor der Abstimmung schon eine Vorentscheidung getroffen, sagte der CDU-Politiker.über die russische Präsidentenwahl

CDU-Politiker Polenz am 3.3.2008 im Interview mit Deutschlandradio Kultur über die russische Präsidentenwahl
Moderation: Jörg Degenhardt

Jörg Degenhardt: Der künftige Herr im Kreml mag es gern etwas härter, allerdings nur, wenn es um die Musik geht. Dimitri Medwedew gilt als Fan der Hartrockkapelle Deep Purple, als Fan von Wladimir Putin sowieso. Jetzt darf er ihn beerben. Immerhin, im Wahlkampf hatte er sich zur Freude des Westens als eine liberale Variante des bisherigen Kreml-Chefs verkauft. Was bedeutet sein Sieg für Europa, speziell natürlich auch für das deutsch-russische Verhältnis? Ruprecht Polenz ist mein Gesprächspartner. Der CDU-Politiker ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages. Guten Morgen, Herr Polenz!

Ruprecht Polenz: Guten Morgen, Herr Degenhardt!

Degenhardt: Zunächst ein Satz zur Abstimmung. Wahlen ohne wirkliche Wahl, der Ausgang stand ja schon vorher fest. War der gestrige Tag hilfreich für die weitere demokratische Entwicklung in Russland?

Polenz: Nein, das würde ich so nicht sehen. Denn Demokratie zeichnet sich ja dadurch aus, dass man einen Machtübergang friedlich organisieren kann und dass das Volk darüber entscheidet, wer die Macht dann übernehmen soll. Es war eine Abstimmung. Putin hatte die Vorentscheidung getroffen. Das Volk hatte keine Auswahl. Das hat mit Demokratie wenig zu tun.

Degenhardt: Nun könnte man doch auch aber sagen, Demokratie hin, autoritäre Herrschaft her, Hauptsache, das Land wird zusammengehalten und bricht nicht auseinander?

Polenz: Das könnte man sagen. Aber, wie gesagt, dann spricht man von einem autoritär geführten Russland. Das kommt der Wirklichkeit schon näher. Und die Überschrift über diesen ganzen Wechsel, die man ja dem russischen Volk immer wieder vor Augen geführt hat und die wir auch ernst nehmen sollten, heißt Kontinuität. Ich sehe nicht, dass sich allzu viel ändern wird.

Degenhardt: Schauen wir mal auf die andere Seite, auf die der Opposition. Da ist ja nicht viel. Da sind die Kommunisten und die Nationalisten und kleinere Splittergruppen. Wer soll eigentlich die Demokratisierung in Russland vorantreiben?

Polenz: Ich glaube, das ist das Gefährliche an diesem Prozess, dass wir den Eindruck haben, das sei nun die einzige Opposition, die es in Russland gibt. Man muss dazu sagen, das sind die Einzigen, die kandidieren durften. Andere, die mehr Chancen gehabt hätten, hat man erst gar nicht zugelassen. Man hat sie behindert beim Sammeln von Unterschriften. Man hat Unterschriften nicht anerkannt. Und es ist auf der einen Seite richtig, dass auch wegen der Situation der Presse und der Medien in Russland es für Oppositionen schwierig ist, Resonanz zu finden. Aber daraus zu schlussfolgern, alle wären mit Putin und dem System in der Weise zufrieden, wie es jetzt das Abstimmungsergebnis signalisiert, das halte ich für eine Fehleinschätzung.

Degenhardt: Trotzdem, Herr Polenz, müssen Sie den Sieger ernst nehmen. Was erwarten Sie denn von Putins Nachfolger, dass er innen- wie außenpolitisch auf dessen Linie bleibt oder dass er vielleicht, um mit der Innenpolitik zu beginnen, ein wenig liberaler und sozialer wird?

Polenz: Ich glaube, die spannende Frage ist ja, wie wir uns das Bild von dem Tandem vorzustellen haben, was immer wieder jetzt ins Gespräch gebracht wird. Ein Tandem ist ein Fahrrad, wo zwei in die Pedale treten, aber nur einer sitzt am Lenker. Und die Frage ist, wer wird in Russland künftig am Lenker sitzen. Ich glaube, es spricht nach wie vor recht viel dafür, dass Putin den Lenker nicht aus der Hand geben wird. Aber man wird sehen, ob das verfassungsmäßig ja herausgehobene Amt des Präsidenten dann nicht doch seine eigene Dynamik entwickelt. Aber im Augenblick rechne ich damit, dass die Entscheidungen nach wie vor bei Putin zusammenlaufen. Dafür spricht der ganze Werdegang des jetzigen Präsidenten. Dafür spricht die Art, wie der Wahlkampf geführt wurde. Er war ja immer zusammen mit Putin im Grunde auch plakatiert. Es wurde auch dem Volk immer deutlich gemacht, wer eigentlich sozusagen auch die Zügel in der Hand behalten wird. Ich rechne damit, dass der Einfluss von Putin nach wie vor der bestimmende sein wird. Damit kann man umgehen, aber das muss man nicht gut finden.

Degenhardt: Was heißt das dann innenpolitisch? Das heißt zum Beispiel, dass es nur dem Schein nach liberaler zugeht, oder erwarten Sie auch wirklich wenigstens Reformansätze von Medwedew?

Polenz: Das ist das Interessante. Medwedew hat ja in seinen Reisen durch Russland immer wieder für mehr Freiheit, mehr Rechtsstaat, mehr Zivilgesellschaft sich ausgesprochen. Er hat gesagt, dass er sich für Russland unabhängige Richter und unabhängige und einflussreiche Medien auch fordern würde. Ich finde, man kann ihm dafür jetzt kein Vertrauensvorschuss geben, denn schließlich war er Bestandteil des Systems, was all das bisher nicht gewährleistet hat. Aber es ist immerhin so, dass man ihn an seinen Worten messen können wird. Und das sollten wir tun. Es ist dann kein fremder Maßstab, den man an Russland anlegt, das sage ich mal hier an die vielen Russlandversteher in Deutschland gerichtet, sondern es ist der Maßstab, den der jetzige gewählte Präsident selber gegen sich gelten lassen will. Also wir werden schauen, ob es denn nun mehr Freiheit, mehr Rechtsstaat und mehr Zivilgesellschaft in Russland gibt in Zukunft.

Degenhardt: Und wie sieht es außenpolitisch aus? Da gab es ja eine Reihe von Interessenskonflikten zwischen Moskau und Brüssel. Ich nenne mal nur das Kosovo oder auch die Fragen der Energiesicherheit oder auch die Iranfrage. Glauben Sie, dass man da jetzt näher zusammenkommt?

Polenz: Nein, er hat ja in seinen ersten Stellungnahmen, nachdem das Abstimmungsergebnis feststand, gesagt, er sei jetzt für Außenpolitik zuständig nach der Verfassung, was stimmt und dass er das in Kontinuität und zur Wahrung der russischen Interessen überall auf der Welt tun wolle. Letzteres ist im Grunde eine Selbstverständlichkeit. Nur die Frage ist, wie man diese Interessen definiert. Wenn er es im Kosovo weiter so tut, wie Putin das vor allen Dingen in der letzten Zeit gesehen hat, dann bleibt es schwierig. Beim Iran haben wir eine ganz gute Kooperation mit Russland. Wenn er die fortsetzt, ist es gut. Und wir werden dann sehen, wie er sich in den übrigen Problemfeldern, etwa im Nahen Osten verhält. Also ich rechne hier unter der großen Überschrift Kontinuität mit keinen großen Veränderungen.

Degenhardt: Sie haben jetzt ein Feld zufällig oder bewusst ausgeklammert, das ist das der Energiepolitik. Da ist ja Russland für die europäische Energiesicherheit unverzichtbar?

Polenz: Das ist richtig. Und umgekehrt ist auch der Euro für den russischen Staatshaushalt besonders wichtig, mit dem wir unsere Energierechnungen bezahlen. Ich meine, es wird wahrscheinlich auch hier in Dollar fakturiert, aber im Grunde wird ja in Europa das Bruttosozialprodukt in Euro erwirtschaftet. Jedenfalls ist auch Russland auf diese Einnahmen aus Europa von einem verlässlichen Zahler angewiesen. Hier gibt es in der Tat so etwas auch wie gegenseitige Abhängigkeiten. Nur, wir haben ein Problem mit der russischen Energiepolitik. Russland versucht alles, gerade im Südosten, um uns Europäer daran zu hindern, auch von woanders her beispielsweise Gas über Pipelines nach Europa zu bekommen, die nicht über russisches Territorium führen, Stichwort Nabucco-Pipeline. Hier rechne ich damit, dass auch diese Politik fortgesetzt wird.

Degenhardt: Nach der gestrigen Präsidentenwahl in Russland am Telefon von Deutschlandradio Kultur war der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages. Herr Polenz, vielen Dank für das Gespräch!

Polenz: Herr Degenhardt, auf Wiederhören!


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