Ruprecht Polenz

Polenz im SWR-Interview vom 25.3.2008 zur Absage des Deutschen Olympischen Sportbundes an einen Olympia-Boykott

Der CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz (CDU) kritisiert die gestrige Zusage des Deutschen Olympischen Sport-Bundes, die Spiele in Peking auf keinen Fall zu boykottieren. Im Südwestrundfunk (SWR) sagte Polenz, wegen der derzeitigen „Eskalation“ der Lage in Tibet halte er es für „klüger“, die Teilnahme noch offen zu lassen und damit eine Absage „eben auch nicht auszuschließen“. Abgesehen von einem Sportler-Boykott sei allerdings auch eine Art politischer Demonstration bei der Olympia-Zeremonie denkbar. Falls Peking so „militant“ handeln sollte wie es zur Zeit rede, könne er sich nicht vorstellen, dass deutsche Politiker „zur Eröffnungsfeier oder zur Schlussfeier fahren würden“, sagte Polenz.
Wortlaut des Live-Gesprächs:

Rudolf Geissler: Der Deutsche Olympische Sport-Bund hat sich festgelegt, trotz der Vorgänge in Tibet kein Boykott der Spiele in China. Für wie angebracht halten Sie so eine Zusage vier Monate vor dem offiziellen Beginn?

Ruprecht Polenz: Nun, ich hoffe, dass es nicht verfrüht ist. Denn wir wissen ja nicht, wie sich die Dinge in China und in Tibet weiter entwickeln. Ich hielte es für klüger, im Augenblick zur Boykottfrage gar nichts zu sagen, es damit aber eben auch nicht auszuschließen, dass man nicht nach China fährt.

Rudolf Geissler: Nun kann sich der Deutsche Olympische Sport-Bund allerdings mit seiner Haltung darauf berufen, dass ja IOC-Präsident Rogge ausdrücklich, wie er gestern noch einmal gesagt hat, auf stille Diplomatie setzt und dabei betont, die Lage der Menschenrechte habe sich in China aufs Ganze gesehen verbessert seit der Vergabe der Spiele vor sieben Jahren. Hätten Sie von Rogge eine andere Erklärung erwartet?

Ruprecht Polenz: Nun, ich bin nicht so sicher, ob die Einsichten von Herrn Rogge mit den Erkenntnissen von Menschenrechtsorganisationen übereinstimmen. In jedem Fall sehen wir jetzt aber eine Eskalation der Lage in Tibet. Und besonders schlimm finde ich, dass China sich völlig abschottet von jeder objektiven Berichterstattung durch Dritte. Journalisten haben keinen Zutritt, und das, obwohl China ja zugesagt hat, das Land auch der Presseberichterstattung zu öffnen. Es war freilich eine Zusage gemeint sicherlich in erster Linie nur für die Olympischen Spiele selbst. Aber ich würde es sehr begrüßen, wenn Herr Rogge jetzt auch den Zugang für Journalisten fordern würde, nicht zuletzt wenn der Fackellauf auch durch Tibet geht.

Rudolf Geissler: Nun kann sich allerdings das IOC wiederum auf die Amerikaner berufen, auf die Bush-Administration, die ja Anfang des Monats China von ihrer schwarzen Liste der schlimmsten Menschenrechtsverletzer gestrichen hatte. War das nicht eine Steilvorlage für alle, die jegliche Boykotterwägung von sich weisen?

Ruprecht Polenz: Nun, ich gehöre zu denen, die diese Entscheidung der Amerikaner nicht ohne weiteres nachvollziehen konnten. Ich habe mich gefragt, auf Grund welcher Faktenlage diese Entwicklung erfolgt ist. Nun muss man sehen, die Amerikaner führen solche Listen. Ich bin mir nicht so sicher, ob jetzt objektive Kriterien tatsächlich eine Veränderung der Bewertung Chinas gerechtfertigt hätten zum damaligen Zeitpunkt. Jetzt, nach dem Vorgehen in Tibet bin ich mir ziemlich sicher, dass es verfrüht war, was die Amerikaner da gemacht haben.

Rudolf Geissler: Um das jetzt noch einmal klar zu machen: die Möglichkeit eines Boykotts von Olympia ist für Sie noch nicht ausgeschlossen?

Ruprecht Polenz: Ich denke, man kann jetzt darüber noch nicht entscheiden. Aber man sollte Ernst damit machen, was seinerzeit zur Beruhigung gesagt wurde, als die Spiele nach Peking vergeben wurden. Man hat ja gesagt, wir wissen, die Menschenrechtslage in China ist nicht so, wie sie sein sollte. Aber die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit, so viele Journalisten, das wird dazu beitragen, dass China sich öffnet, dass China sich positiv verändert. Nun muss man das auch zum Thema machen und darf nicht wegsehen.

Rudolf Geissler: Nun gäbe es ja neben einem Sportlerboykott als schärfstem Mittel auch noch die Möglichkeit des politisch demonstrativen Boykotts, indem beispielsweise Staatschefs der Eröffnungsfeier fern bleiben. In Frankreich hat eine Mehrheit der Bevölkerung in Umfragen am Wochenende genau diese Erwartung an Präsident Sarkozy. Sollten auch deutsche Politiker so viel Courage aufbringen?

Ruprecht Polenz: Ich glaube, das wird sich ganz automatisch ergeben, je nach Entwicklung der Lage in China insgesamt. Wenn sich die Dinge weiter verschlechtern sollten, wenn die chinesische Führung weiterhin, so wie sie jetzt spricht, nämlich sehr militant, sehr drakonisch, sehr wenig verständnisvoll, wenn sich das auch in der Politik gegenüber Tibet weiter so manifestieren sollte, dann kann ich mir kaum vorstellen, dass es prominente deutsche Politiker geben würde, die dann zur Eröffnungsfeier oder zur Schlussfeier fahren würden.

Rudolf Geissler: Zur Entschärfung der Lage, heißt es immer, wäre ideal, wenn Peking mit dem Dalai Lama direkt spreche. Das wird aber von der chinesischen Führung offensichtlich ignoriert. Obwohl Vergleich immer hinken: das Ganze erinnert ja an die Verhältnisse zwischen Israel und der Hamas, die derzeit direkte Gespräche geradezu undenkbar erscheinen lassen. Könnte zwischen China und dem Dalai Lama möglicherweise Deutschland vermittelnd helfen und damit den aktuellen Konflikt entschärfen?

Ruprecht Polenz: Ich weiß nicht, ob es da über Vermittlung leichter fallen würde. Es geht ja grundsätzlich um eine sachlich begründete Forderung, nämlich die, dass man in Tibet durch die Gewährung von kultureller und religiöser Autonomie die Freiheiten gewährt, die dem Volk der Tibeter, als Mitglied im chinesischen Staatsverband natürlich - es redet niemand von Separatismus - zustehen. Und der Dalai Lama wäre eigentlich für die chinesische Führung so etwas wie ein Gottesgeschenk - wenn ich das mal so ausdrücken darf - weil er genau nur diese Forderung erhebt. Er spricht nicht von einem unabhängigen Tibet und er ist für Gewaltlosigkeit. Also insofern ganz anders als bei Hamas, der Dalai Lama eigentlich der ideale Gesprächspartner für die chinesische Führung. Ob und wie man dann Gesprächsfäden anknüpft, wenn man es will, dann finden die Chinesen auch einen Weg. Im Augenblick wollen sie es nicht.

Quelle: SWR