Ruprecht Polenz

Standpunkt von Ruprecht Polenz in der Diskussion um einen möglichen Boykott der Olympischen Spiele in Peking

Zu meinen öffentlichen Stellungnahmen wegen eines möglichen Boykotts der Olympischen Spiele in Peking hat mich eine Vielzahl von Zuschriften erreicht, für die ich mich herzlich bedanke. Daher möchte ich an dieser Stelle noch einmal ausführlich meinen Standpunkt zu diesem Thema darlegen.

1. Ich habe mich nicht für einen Boykott der Olympischen Spiele ausgesprochen.

2. Die Festlegung des Nationalen Olympischen Sportbundes, in jedem Fall an den Olympischen Spielen teilzunehmen, habe ich als „verfrüht“ kritisiert, weil m. E. leider nicht mit Sicherheit auszuschließen ist, dass die chinesischen Unterdrückungsmaßnahmen in Tibet und anderswo weiter eskalieren. Die militante Sprache der chinesischen Führung – Aufruf zum „Volkskrieg“, „ausmerzen“, „Kampf auf Leben und Tod“ – lassen eine solche Entwicklung jedenfalls nicht ausgeschlossen erscheinen.

3. 1989 erfolgte die blutige Niederschlagung der Studentenunruhen auf dem Tienamen-Platz in Peking. Die chinesische Volksbefreiungsarmee ging mit Panzern gegen Demonstranten vor. Es gab zahlreiche Tote. Ich denke, niemand käme bei ähnlichen Entwicklungen im Jahr 2008 auf die Idee, gleichzeitig Olympische Spiele in Peking abzuhalten.

4. Ich habe mich deshalb dafür ausgesprochen, zurzeit zur Frage eines Olympiaboykotts gar nichts zu sagen, d.h. ihn „ausdrücklich auch nicht auszuschließen“.

5. Stattdessen sollten wir in der Sache von China fordern:
- Ungehinderter Zugang für Journalisten nach China und Tibet, damit sich die Weltöffentlichkeit ein umfassendes Bild von der Realität machen kann
- Respektierung der Menschenrechte
- Anerkennung des Rechts auf kulturelle und religiöse Autonomie und Selbstbestimmung der Tibeter statt Zwangsassimilierung
- Lösung der Probleme durch Dialog statt durch Unterdrückung
- Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und Mäßigung beim Umgang mit Demonstrationen, selbst wenn es von Seiten der Demonstranten zu gewaltsamen Übergriffen kommt.

6. Bei der Entscheidung über die Vergabe der Olympischen Spiele an Peking standen sich 2001 zwei „Denkschulen“, so Thomas Bach, Vizepräsident des IOC und Präsident des Nationalen Olympischen Sportbundes, gegenüber. Eine Auffassung ging dahin, Olympische Spiele nur in Länder zu vergeben, in denen die grundlegenden Menschenrechte geachtet werden. Durchgesetzt hat sich die zweite Denkschule, wonach die Olympischen Spiele selbst einen positiven Einfluss auf die Respektierung der Menschenrechte im Gastgeberland haben würden.

7. Angesichts der gegenwärtigen Lage der Menschenrechte in China und der Vorkommnisse in Tibet erscheint mindestens zweifelhaft, ob sich die Erwartungen der „zweiten Denkschule“ im IOC bisher erfüllt haben.

8. Seit 1936 wissen wir, dass Diktaturen Olympische Spiele zu Propagandazwecken zu missbrauchen suchen. Die Popularität des Sports, die Friedlichkeit der Wettkämpfe, die Gastgeberrolle gegenüber Sportlern und Gästen aus aller Welt soll zu Imagegewinnen und zur Errichtung einer Fassade genutzt werden, hinter der die Brutalität der Diktatur versteckt werden kann.

9. Das Internationale Olympische Komitee will Sport und Politik trennen. Deshalb muss das IOC alles tun, damit ein Missbrauch der Olympischen Spiele zu Propagandazwecken nicht möglich ist.

10. Dem soll u.a. die Forderung des IOC auf ungehinderte Berichterstattung durch Journalisten dienen. die sich nicht bei der chinesischer Regierung, sondern direkt beim IOC akkreditieren müssen.

11. Im Sinn der „zweiten Denkschule“ kommt es jetzt darauf an, dass das IOC die Forderung nach ungehinderter Berichterstattung nicht nur im Hinblick auf die 16 Tage der Olympischen Spiele und die sportlichen Wettkämpfe im engeren Sinn versteht, sondern auch auf Wochen vor und nach der Olympiade und eine Berichterstattung über das Gastgeberland selbst erstreckt. Ich kann nur hoffen, dass das IOC diese journalistische Selbstverständlichkeit in den Vergabeverträgen an Peking festgeschrieben hat.

12. Wie wichtig diese Forderung ist, zeigt der olympische Fackellauf: Bekanntlich hat die chinesische Regierung durchaus im Sinn einer politischen Demonstration entschieden, dass das olympische Feuer über den Mount Everest durch Tibet nach Peking getragen wird. Wenn man davon weltweit nur die Bilder des chinesischen Staatsfernsehens sehen könnte, wenn es keine Möglichkeit für eine unabhängige Vor- und Nachberichterstattung aus Tibet gäbe, dann hätte das IOC in der Tat die politischen Propagandamöglichkeiten geboten, die mit einer Trennung von Sport und Politik unvereinbar wären.

13. Den Sport, also das IOC, trifft die in Ziff. 8 beschriebene Verpflichtung. Insoweit finden Olympische Spiele eben nicht im politikfreien Raum statt.

14. Die Politik, nicht der Sport, muss darauf hinwirken, die unter Ziff. 5 genannten Forderungen durchzusetzen. Wirtschaftssanktionen halte ich dabei für kein geeignetes Mittel. Ich sehe im Gegenteil in wirtschaftlichen Austauschbeziehungen auch einen Weg, politischen Wandel zu fördern. (Das setzt allerdings voraus, dass man nicht mit Rücksicht auf wirtschaftliche Geschäfte aufhört, die Einhaltung der Menschenrechte einzufordern).

15. Im Sinn der „zweiten Denkschule“, die sich bei der Vergabe der Olympischen Spiele an Peking durchgesetzt hat, fordere ich nicht mehr, aber auch nicht weniger, als dass sich jetzt der Scheinwerfer der Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit, der sich wegen der Olympiade auf Peking richtet, auch auf die Fragen und Probleme im Gastgeberland richten kann, die sonst hinter einer Propagandafassade verschwinden würden. Weil China durchaus an seinem Ansehen in der Welt gelegen ist, verbinde ich damit die Hoffnung, dass die Olympischen Spiele tatsächlich einen positiven Einfluss auf die Respektierung der Menschenrechte haben können.

16. Wenn man, wie der Nationale Olympische Sportbund angesichts der Lage in Tibet, beschließt: Egal was noch alles passiert, wir nehmen in jedem Fall an den Spielen teil, könnte dies die Hardliner in der chinesischen Führung bestärken. Deshalb habe ich diese Entscheidung als „verfrüht“ kritisiert.


Mit freundlichen Grüßen

Ihr Ruprecht Polenz