Ruprecht Polenz

Polenz spricht im Bundestag zur Lage in Pakistan

In der Plenardebatte vom 10. April 2008 "Für eine umfassende Strategie zur demokratieverträglichen und zivilgesellschaftlichen Stabilisierung Pakistans" erklärte der CDU-Abgeordnete und Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses Ruprecht Polenz: "Es ist gut, dass wir uns heute auf der Grundlage von zwei Anträgen der Fraktion BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN mit Pakistan beschäftigen und mit der Frage wie wir diesen für uns wichtigen strategischen Schlüsselstaat dauerhaft stabilisieren können. Der ständige Zustrom von militanten Aufständischen und wohl auch von Al-Qaida-Terroristen aus Pakistan nach Afghanistan gehört zu den wichtigsten Sicherheitsproblemen, denen sich Afghanistan und die 40.000 ISAF-Soldaten sowie die Tausende von zivilen Aufbauhelfern aus vielen Länder dieser Welt in Afghanistan gegenüber sehen. Ein strategischer Schlüsselstaat ist Pakistan auch im Hinblick auf den internationalen Terrorismus geworden, wie die Ausbildungslager zeigen, in denen immer häufiger auch Deutsche gesehen werden. Und nicht zuletzt: Pakistan ist ein Atomwaffen-Staat.
Mit ihrem Antrag „Für eine umfassende Strategie zur demokratieverträglichen und zivilgesellschaftlichen Stabilisierung Pakistans“ unternimmt die Fraktion BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN eine wie ich finde zutreffende Beschreibung der Lage. Auch die vorgeschlagenen Einzelmaßnahmen, die von der Bundesregierung eingefordert werden, finden im Großen und Ganzen meine Zustimmung. Schließlich entsprechen sie weitgehend der bisherigen Politik, die allerdings durchaus weiter verstärkt werden muss, wie auch den Empfehlungen der International Crisis Group.

Andererseits sollten wir uns immer bewusst bleiben, dass Pakistan von außen nur schwer zu beeinflussen ist. Und hier habe ich eine kritische Anmerkung zu dem Antrag: Er erwartet eine national deutsche Pakistanstrategie, die gleichwohl umfassend genannt wird. Aber wirklich „umfassend“ wäre nur eine gemeinsame EU/NATO-Strategie, die möglichst viele auch der anderen ISAF-Truppenstellerländer „umfassen“ müsste. Denn nur wenn Pakistan von möglichst vielen von außerhalb die gleiche Signale empfängt, besteht die Aussicht, dass Einfluss genommen werden kann. Ansätze zu einem gemeinsamen europäischen Vorgehen sind ja in der EU-Entwicklungshilfepolitik gegenüber Pakistan vorhanden. Diese ist erfreulicherweise in den letzen Jahren auch verstärkt worden. In jedem Fall brauchen wir für eine „umfassende“ Pakistanstrategie eine enge Abstimmung zwischen der Europäischen Union und den USA.

Einen wichtigen Faktor dürfen wir dabei nicht übersehen: Die Rolle Chinas. China ist seit jeher ein wichtiger Verbündeter Pakistans und wir wissen, dass China in seiner Außenpolitik durchaus eigene Ziele verfolgt. Leider gehört zu diesen Zielen nicht das, was uns gerade im Falle Pakistans besonders wichtig ist: Zivilgesellschaft, Rechtstaat, Demokratie.

Lassen sie mich noch einen Hinweis auf Verbindungen geben, die sich für eine Pakistanstrategie vielleicht mehr als bisher nutzen lassen. Pakistan unterhält ein ausgesprochen enges Verhältnis zu den Vereinigten Arabischen Emiraten und vor allem: Pakistan und die Türkei sind eng und freundschaftlich miteinander verbunden. Warum machen wir uns diese Verbindung nicht stärker zu nutze als bisher?


Pakistan hat 165 Millionen Einwohner. Pakistan ist damit der sechstgrößte Staat auf dieser Welt. Pakistan ist seit sechzig Jahren unabhängig, gegründet als „Staat für Muslime“. Überall sonst auf der Welt gelegen wäre Pakistan mit diesen Voraussetzungen heute eine bedeutende Regionalmacht, also ein Staat, auf den sich kleinere Nachbarn in ihrer Politik beziehen und die Pakistan mit seiner Politik beeinflussen könnte. Aber das „geografische Schicksal“ hat es so gefügt, dass Pakistan mit Indien und China zwei Milliardenvölker zum Nachbarn hat und mit Iran ebenfalls einen Staat mit regionalem Machtanspruch. Das Verhältnis zu Afghanistan ist zwiespältig, belastet durch eine koloniale Grenzziehung, die von beiden nicht anerkannt wird. Aus seiner Stellung in der Region kann Pakistan also Positives für seine Identität zielen.

Aus dem „Staat für Muslime“, als das Pakistan gegründet wurde, ist heute ein Staat geworden, der sich dezidiert als islamischer Staat versteht. Weil das in sich ein Widerspruch ist - der Islam definiert sich gerade nicht im nationalstaatlichen Grenzen sondern versteht sich als UMMA umfassend für alle Muslime auf der Welt - hat Pakistan ein gravierendes Identitätsproblem. Es hat sich hauptsächlich eine Art „Anti“ Identität entwickelt: gegen Indien, gegen den Westen, insbesondere gegen die USA. Und das Islamverständnis ist vor allen Dingen auf dem radikalen Flügel der pakistanischen Gesellschaft immer mehr vom Dschihad, also einem kämpferischen Islam geprägt. Die Fixierung gegenüber Indien - man hat mehrfach Krieg gegeneinander geführt - hat schließlich zur nuklearen Aufrüstung beider Seiten geführt und in Pakistan die dominierende Rolle der Armee bis heute immer wieder befestigt.

Warum erwähne ich das alles? Ich glaube, wenn wir über eine umfassende Pakistanstrategie nachdenken, müssen wir auch überlegen, ob es für Pakistan so etwas wie eine konstruktive regionale Rolle geben könnte. Es könnte unter bestimmten Voraussetzungen sinnvoll sein, die Verbindungen zwischen Pakistan und den zentralasiatischen Staaten zu stärken. Auch das Pipeline-Projekt zwischen Iran, Pakistan und Indien gehört in einen solchen Kontext, der allerdings sicherlich weit in die Zukunft weist.


Lassen sie mich zum Abschluss noch einige Anmerkungen zu dem zweiten Antrag machen: „Keine U-Boot-Lieferungen an Pakistan“. Im Sinne unserer restriktiven Richtlinien für den Export von Rüstungsgütern wird Pakistan als „Sonstiges Land“ außerhalb von EU und NATO und diesen gleichgestellten Ländern bezeichnet. Bei Rüstungsexporten in diese Länder ist in besonderer Weise sowohl die innere Lage, die Menschenrechtsituation, die regionale Stabilität und die Gefahr der Polifaration in die Abwägungsentscheidung einzubeziehen, ob überhaupt Rüstungsgüter geliefert werden können. Was nun die U-Boote anbetrifft, so gibt es bisher eine positiv entschiedene Voranfrage. Über einen endgültigen Liefervertrag ist bisher noch nicht entschieden. Aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage der FDP geht allerdings hervor, dass es bisher praktisch noch nicht vorgekommen ist, dass nach einer positiv entschiedenen Voranfrage das endgültige Ausfuhrgeschäft nicht genehmigt wurde. Im Zusammenhang mit den möglichen U-Boot-Exporten ist wichtig, dass die Bundesregierung definitiv erklärt hat, dass sie keine Genehmigung für Waffensysteme erteilt, die nuklear bewaffnet werden könnten. Trotzdem halte ich den Export dieser U-Boote für außerordentlich problematisch. Zur Begründung verweise ich auf das vorher Gesagte und auch auf die in den Anträgen wie ich finde weitgehend zutreffend beschriebene Analyse der Lage im Land und in der Region. Nach der Ausrufung des Notstands durch Präsident Musharaf hatten wir am 8. November 2007 im Deutschen Bundestag eine Pakistan-Debatte, in der ich mich für ein Moratorium für Militärhilfe an Pakistan ausgesprochen habe, dass solange eingehalten werden sollte, bis man deutlich erkennen kann, in welche Richtung Pakistan sich entwickelt. Daran möchte ich auch im Hinblick auf den U-Boot-Export festgehalten wissen.

Eine Bemerkung zum Tenor des Antrags kann ich mir zum Abschluss nicht verkneifen: Wenn man den Antrag der GRÜNEN liest, könnte man zu dem Eindruck kommen, es habe zu Zeiten der Rot-Grünen-Bundesregierung überhaupt keine Rüstungsexporte an Pakistan gegeben. Denn viele der Gründe, die jetzt gegen den U-Boot-Export angeführt werden, gab es auch schon vor 2005 und sie hätten; nimmt man sie so apodiktisch, wie sie in dem Antrag formuliert sind; dazu führen müssen, dass jeder Exportantrag für Rüstungsgüter hätte abgelehnt werden müssen. Aber so war es nicht. 2003 wurden aus Deutschland Rüstungsgüter im Wert von 900.000 € nach Pakistan ausgeführt, 2004 betrug der Wert schon 32,7 Mio. € und 2005 knapp 100 Mio €. Soviel zur Übereinstimmung von Rhetorik und tatsächlichem Handeln bei unseren GRÜNEN Kolleginnen und Kollegen.