Der CDU-Außenexperte Ruprecht Polenz hat den russischen Militäreinsatz in Georgien kritisiert und eine langfristige Lösung des Konflikts gefordert. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages sagte im Deutschlandfunk, das Vorgehen erinnere an jenes in Tschetschenien. Russland wolle Georgien offenbar klarmachen, dass es im Einflussbereich von Moskau bleiben müsse und dort zu fragen habe, was es außenpolitisch tun dürfe.
Moderation: Steffen Heinlein
Heinlein: Keine Waffenruhe, kein Frieden. Russland schafft militärische Fakten. Süd-Ossetien ist weitgehend unter Kontrolle der russischen Armee. Der Widerstand der georgischen Truppen scheint weitgehend gebrochen. Doch das Angebot einer Waffenruhe aus Tiflis wird vom Kreml bisher ebenso ignoriert wie die westlichen Verhandlungsappelle.
Am Telefon begrüße ich jetzt den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz (CDU). Guten Morgen, Herr Polenz.
Polenz: Guten Morgen, Herr Heinlein!
Heinlein: Will der Kreml eine militärische Entscheidung dieses Krieges?
Polenz: Er will sich, wie er sagt, Respekt verschaffen und er tut das in einer Weise, die an sein Vorgehen in Tschetschenien erinnert, wenn man die Bilder aus Gori, aus anderen Dörfern und Städten der Region sieht.
Heinlein: Haben Sie Verständnis für dieses harte Vorgehen?
Polenz: Nein. Ich finde, Russland reagiert ebenso unverhältnismäßig wie seinerzeit in Tschetschenien und das muss in die Analyse des Verhältnisses zu Russland auch von Seiten der Europäischen Union in Zukunft stärker mit eingehen.
Heinlein: Was muss dieser Analyse folgen? Welche Maßnahmen kann die Europäische Union, kann Deutschland ergreifen, um einen Frieden am Kaukasus zu erreichen?
Polenz: Nun, die Forderungen, die gestellt werden (von Europa, von den Amerikanern), sind klar: sofortiger Waffenstillstand, Rückzug aller Streitkräfte auf die Linien, die vor Ausbruch der Kampfhandlungen eingenommen worden waren, und dann Rückkehr an den Verhandlungstisch, wobei sich dann ja die Frage stellen wird, wie will man mit diesem Konflikt, den es ja seit der Unabhängigkeit Georgiens im Grunde mit den abtrünnigen Provinzen gibt, dann dauerhaft lösen. Will man ihn weiterhin nur einfrieren, also ihn wieder zu einem "frozen conflict" machen, nachdem er im Augenblick ja ein explodierender Konflikt geworden ist? Oder will man versuchen, eine dauerhafte Lösung zu erreichen? Das geht wiederum sicherlich auch nur unter Einbeziehung Russlands. Also eine sehr schwierige Aufgabe.
Heinlein: Moskau, Herr Polenz, ignoriert ja bisher diese Appelle, diese Angebote des Westens, genauso wie das Angebot einer Waffenruhe aus Tiflis. Stimmt der Eindruck, dass der Kreml der georgischen Seite die Bedingungen für einen Frieden diktieren will?
Polenz: Russland will auf alle Fälle Georgien klar machen, dass es in seinem Einflussbereich, also im Einflussbereich Moskaus zu bleiben hat. Das ist die russische Politik. Die Unabhängigkeit Georgiens, die eigenständige Orientierung zur Europäischen Union und auch auf die NATO hin ist Russland ein Dorn im Auge. Das will Russland in Zukunft stärker kontrollieren. Georgien soll - so sieht es, glaube ich, der Kreml - in Moskau fragen müssen, wie es sich außenpolitisch in Zukunft bewegen kann.
Heinlein: Will Russland an Georgien ein Exempel statuieren? So hat sich Ihr Parteifreund Eckart von Klaeden geäußert.
Polenz: Den Eindruck macht das russische Vorgehen. Auch die Wortwahl, man müsse sich Respekt verschaffen, man müsse den Georgiern eine Lektion erteilen, deutet darauf hin. Und natürlich auch die objektive russische Interessenlage, die darauf ausgerichtet ist, Energieflüsse aus Zentralasien nur über russisches oder eben von Russland maßgeblich kontrolliertes Territorium in den Westen gelangen zu lassen.
Heinlein: Wie groß sind denn jetzt überhaupt noch die politischen Einflussmöglichkeiten der Europäer auf die russische Führung? Putin und Medwedew scheinen ja weitgehend diese Appelle dauerhaft zu ignorieren.
Polenz: Im Augenblick ist es sicherlich so, dass der aktuelle Konflikt wenig von den Europäern und von anderen beeinflusst werden kann. Auf mittlere Sicht allerdings muss sich Russland sehr gut überlegen, ob es seinen eigenen Interessen nicht massiv schadet, wenn es weiter mit dieser Härte und Unnachgiebigkeit vorgeht, denn die russische Wirtschaft ist sehr wohl auf eine Kooperation, auch auf Investitionen aus Europa, aus dem westlichen Ausland angewiesen. Und die Meldung, die wir heute lesen können, vom Einbruch an der Moskauer Börse, auch wegen des Krieges im Kaukasus, zeigt ja, dass die Investitionsneigung von ausländischen Firmen in Russland bereits dabei ist, zurückzugehen.
Heinlein: Rächt es sich nun, Herr Polenz, dass die NATO und auch die Europäer so lange diese russischen Bedenken, die Sie erwähnt haben, gegen einen möglichen NATO-Beitritt Georgiens bei Seite geschoben haben?
Polenz: Die NATO bedroht ja Russland nicht, und das weiß Russland im Grunde auch, dass die NATO des Jahres 2008 nicht mehr die ist des Jahres 1988, die als Verteidigungsbündnis gegen die Sowjetunion gerichtet war. Die NATO verlangt von allen Mitgliedern, dass sie stabile Demokratien sind, Rechtsstaaten sind, dass sie Konflikte deeskalieren und nicht mutwillig vom Zaun brechen. Und im Grunde sind die besten Grenzen, die Russland hat, die zu NATO-Ländern, wenn man sich das Riesen Reich und die vielen Außengrenzen Russlands anschaut.
Auf der anderen Seite ist richtig: dieses Bild der NATO ist in Russland noch nicht überall angekommen. Auch der NATO-Russland-Rat hat das nicht zu ändern vermocht, dass Russland die NATO immer noch ähnlich sieht wie zur Zeit des Kalten Krieges.
Heinlein: Aber Russland dürfte auch in diesem Punkt gewonnen haben. Die georgischen NATO-Ambitionen dürften doch nun auf lange Sicht auf Eis gelegt sein.
Polenz: Ich fände es richtig, dass wir die Beschlüsse von Bukarest jetzt nicht überstürzt in Frage stellen. In Bukarest hat die NATO sowohl Georgien wie der Ukraine gesagt ja, ihr könnt NATO-Mitglied werden. Wann das der Fall sein wird, welche Voraussetzungen die beiden Länder noch zu erfüllen haben, das wird mit beiden zu besprechen sein. Es ist sicherlich keine Frage von heute und morgen, aber wir können das Prinzip, dass die NATO ein offenes Bündnis ist für Demokratien, die sich ihr anschließen wollen, und dass zweitens jeder souveräne Staat auch das grundsätzliche Recht hat, sein Bündnis frei zu wählen, nicht aufgeben. Die Frage ist nur: Kann man es klug einbetten in eine Strategie, die Russland dann tatsächlich auch davon überzeugt, dass von der NATO für Russland keine Bedrohung ausgeht.
Heinlein: Aber wäre Georgien, Herr Polenz, jetzt schon in der NATO, müsste das Bündnis Tiflis ja militärisch unterstützen. Will man sich dieser Gefahr in Zukunft aussetzen?
Polenz: Nein. Es war natürlich bei der Frage in Bukarest auch ein Argument, neben Teilen der inneren Verfasstheit Georgiens, was rechtsstaatliche Defizite angeht, dass die ungelösten, damals haben wir sie noch "frozen conflicts", genannt die Sicherheitslage der NATO negativ tangiert hätten und dass das eben auch ein Punkt war - allerdings eben einer, der Russland immer die Möglichkeit gab - und Russland hat das ja auch in der Vergangenheit schon genutzt - den NATO-Ambitionen Georgiens durch das Offenhalten dieser Konflikte einen Riegel vorzuschieben.
Heinlein: Kann denn die EU, können die Europäer, kann Deutschland akzeptieren, dass Russland ohne ein UN-Mandat einen Krieg gegen Georgien führt und sich Süd-Ossetien einverleibt? Das ist ja eine Region, die rechtmäßig noch zu Georgien gehört.
Polenz: Die Völkerrechtslage ist klar. Georgiens territoriale Integrität ist eine der wesentlichen Positionen, die die Europäische Union, die Amerikaner, die auch die Vereinten Nationen einnehmen müssen, wenn es eine dauerhafte Lösung geben soll. Allerdings wird man, wenn man wieder am Verhandlungstisch sitzt und wenn man sich fragt, wie kann denn der Konflikt in Zukunft auf Dauer gelöst werden, zwei Dinge stärker angehen müssen. Das eine ist das Problem der Flüchtlinge, der georgischen Flüchtlinge aus Süd-Ossetien, die natürlich fragen: Was wird aus uns, wenn wir vielleicht dauerhaft nicht mehr in unsere alte Heimat zurückkehren können sollten? Und zweitens: Man muss auch sehen, dass die stalinsche Nationalitätenpolitik das Volk der Osseten ja geteilt hat. Der Norden kam zur russischen Republik innerhalb der Sowjetunion; der Süden zu Georgien. Und dass die Osseten als Volk immer stärker auch nach Moskau geblickt haben, das ist ein Faktum, mit dem man auch umgehen muss, wenn man zu einer dauerhaften Lösung kommen will. Aber davon sind wir im Augenblick noch ein ganzes Stück entfernt.
Heinlein: Also die Zugehörigkeit der abtrünnigen Region Süd-Ossetien und auch Aprasien zu Georgien muss aus Sicht der EU nicht unter allen Umständen gewahrt werden? Es gibt da noch Zwischenlösungen.
Polenz: Wir haben ja Prozesse in Europa erlebt, die glücklicherweise so etwas wie eine friedliche Scheidung im Ergebnis hatten. Das Referendum in Montenegro ist ein Beispiel dafür und auch die Trennung der Tschechoslowakei. Solche Prozesse sind grundsätzlich natürlich auch in anderen Teilen der Welt vorstellbar, aber sie basieren eben auf Konsens, auf Übereinstimmung aller Beteiligten. Bisher ist nicht zuletzt auch wegen der Frage der Flüchtlinge und weil Georgien als Vielvölkerstaat die Sorge hat, wenn wir bei Süd-Ossetien nachgeben, was passiert dann mit Aprasien, was passiert mit den anderen Volksstämmen, die Situation so, dass diese Frage eine besondere Brisanz für den Bestand Georgiens insgesamt hat. Aber ich glaube, dass nach diesem Konflikt über dieses Thema in anderer Weise gesprochen werden sollte als noch einmal mit dem Ziel, diese Konflikte einfach einzufrieren und zu hoffen, dass sie nicht wieder auftauen.
Heinlein: Heute Morgen im Deutschlandfunk der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses Ruprecht Polenz (CDU). Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören nach Münster.
Polenz: Auf Wiederhören, Herr Heinlein.
Interview im Deutschlandfunk vom 12.08.2008