Kiew - Der Auswärtige Ausschuss des Bundestages hat nach dem Konflikt im Kaukasus und dem Krieg zwischen Russland und Georgien die Ukraine besucht. Dort sprach Clemens Hoffmann mit dem Ausschussvorsitzenden Ruprecht Polenz (CDU) und seinem Unionskollegen Eckart von Klaeden.
DIE WELT:
Die Ukraine hofft auf einen Durchbruch in den Beziehungen zur EU. Wird der morgige EU-Ukraine-Gipfel in Evian konkrete Fortschritte bringen?
Ruprecht Polenz:
Die EU-Außenminister haben im Juli 2008 beschlossen, ein sogenanntes Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine zu unterzeichnen. Die weiteren Fragen, etwa einer engeren Zusammenarbeit im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, sind nicht ganz so einfach zu lösen, weil die Ukraine hier sehr weitreichende Vorstellungen hat. Die Frage, ob die Ukraine irgendwann einmal ein EU-Beitrittskandidat sein könnte, sollte in keinem Fall voreilig verneint werden.
Eckart von Klaeden:
Wir müssen unsere Russlandpolitik grundlegend überdenken. Die außenpolitische Doktrin Russlands ist geprägt von postsowjetischem Phantomschmerz und neoimperialem Anspruch. Das betrifft insbesondere unsere gemeinsamen Nachbarn mit Russland in Europa. Unsere Sicherheit und Stabilität wird erhöht, wenn diese Staaten Demokratien, Rechtsstaaten und Marktwirtschaften sind. Und da Russland sich von diesen Standards immer weiter weg bewegt, fühlt sich die herrschende Klasse von solchen Nachbarn immer mehr bedroht. Wir dürfen keine falsche Rücksicht auf russische Ambitionen nehmen und nicht in unserem Bemühen nachlassen, diese Nachbarn zu unterstützen.
Für Ukrainer ist es einfach, nach Russland zu reisen, aber schwierig, nach Europa zu kommen. Muss man das nicht ändern, wenn man dem Land auf seinem Weg nach Westen helfen will?
Polenz:
Es geht uns um Visa-Erleichterungen für junge Menschen, die in Europa studieren wollen. Natürlich auch für die Wirtschaft.
von Klaeden:
Das Prinzip muss heißen: So viel Reisefreiheit wie möglich, so viel Sicherheit wie nötig. Wir brauchen eine differenzierte Visa-Politik, die einerseits das Reisen für die erleichtert, die wir bei uns haben möchten - wie Schüler und Studenten, Kaufleute, Wissenschaftler oder Touristen -, die aber andererseits Instrumente beibehält, um sie von solchen zu trennen, die diese weltoffene Visa-Politik für kriminelle oder andere niedere Zwecke missbrauchen wollen.
Viele im Westen und nicht wenige in Mittelosteuropa befürchten, dass die zur Ukraine gehörende Halbinsel Krim ein neuer Brennpunkt russischen Machtstrebens werden könnte.
Polenz:
Wir haben den Eindruck gewonnen, dass man in der Ukraine mit großer Aufmerksamkeit auf die Krim schaut. Dort gibt es eine überwiegend russischstämmige Bevölkerung, die russische Schwarzmeerflotte ist dort stationiert. In Verbindung mit dem außenpolitischen Grundsatz von Präsident Medwedjew, dass es Aufgabe des russischen Staates sei, seine Bürger zu schützen, egal, wo sie sich aufhalten, kann daraus schon eine Sorge werden. Eine demokratische, stabile, rechtsstaatliche Ukraine ist eben auch in russischem Interesse. Vielleicht nicht im Interesse einer oligarchischen, zunehmend autoritären Kreml-Führung.
von Klaeden:
Wenn wir sehen, wie der russische Nato-Botschafter Rogosin den Pachtvertrag für die Schwarzmeerflotte infrage stellt, auch andere russische Politiker die territoriale Integrität der Ukraine infrage stellen, wie mit dem Transnistrien-Konflikt gespielt wird - das sind immer doppelte Botschaften. Einerseits: Im Moment haben wir kein Interesse an einem Konflikt. Andererseits: Wenn ihr euch nicht so benehmt, wie wir es wünschen, kann es zu schweren Auseinandersetzungen kommen, die eure innere Ordnung und eure territoriale Integrität gefährden. Das ist eine neoimperiale Attitüde, die wir nicht akzeptieren können.
Wie stehen im Lichte des Georgienkonflikts die Chancen für eine weitere Annäherung der Ukraine an die Nato?
von Klaeden:
Es gibt keinen Grund, Russland ein direktes oder indirektes Vetorecht einzuräumen. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass die Ukraine wie Georgien die Kriterien erfüllen müssen. Wir müssen ihnen aber auch erfüllbare Kriterien nennen.
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