Ruprecht Polenz

Rede zum Thema „Pakistan stabilisieren – Völkerrecht beachten“ in der Aktuellen Stunde im Deutschen Bundestag


Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir haben uns ein bisschen daran gewöhnt, den Blick auf Pakistan nur wegen Afghanistan zu richten. Durch die Brille unseres Einsatzes und unseres Engagements für Afghanistan diskutieren wir Fragen der fehlenden Grenzsicherung oder der Terrorismusbekämpfung. Ich habe den Eindruck, dass diese Aktuelle Stunde so etwas wie ein Wendepunkt sein könnte; denn wenn ich die Vorrednerinnen und Vorredner richtig verstanden habe, ist es Zeit für einen Perspektivwechsel. Wir müssen eine Pakistanpolitik wegen Pakistan machen, und ich sage pointiert: Pakistan ist wichtiger als Afghanistan.
Pakistan hat 170 Millionen Einwohner. Damit hat es 30 Millionen Einwohner mehr als Russland und viermal so viele wie Afghanistan. Pakistan ist eine Regionalmacht mit Atomwaffen, und Pakistan bleibt der Nachbar von Afghanistan, auch nachdem ISAF längst abgezogen ist. Von daher kommt es sehr darauf an, dass wir uns intensiver mit Pakistan beschäftigen.

Wenn wir uns die Lage in Pakistan vor Augen führen, dann finden wir in den Analysen Besorgnisse dahin gehend, dass Pakistan auf dem Weg sei, ein Failed State zu werden; wenn man europäische Maßstäbe anlegt, dann kann man leicht zu diesem Urteil kommen. Ich empfehle allerdings, sich zur Beurteilung der Lage die Regionen anzuschauen, also den indischen Subkontinent, und dann die Situation in Pakistan mit der Lage in Indien, in Bangladesch, in Afghanistan, in Nepal oder in Sri Lanka zu vergleichen. Gemessen an dem Zustand in diesen Ländern, liegt Pakistan irgendwo in der Mitte dazwischen. Wenn wir – die negativen Entwicklungen sind hier schon angesprochen worden – auch auf Stabilisierungs- und positive Faktoren schauen, dann fällt auf, dass die Pressefreiheit in den Regionen Pakistans am besten gewährleistet wird. Die Wahlen – das ist schon angesprochen worden – haben das demokratische Bewusstsein der Bevölkerung gezeigt und den radikalen islamistischen Parteien eine deutlich Abfuhr gebracht.

So problematisch die Klanstrukturen, die die pakistanische Gesellschaft repräsentieren und zusammenhalten, auch sein mögen, so sehr geben sie dem Land vor allen Dingen in den ländlichen Regionen eine gewisse Stabilität. Wir müssen mit diesen Strukturen bei der Entwicklung einer Pakistanpolitik rechnen, weil auch das pakistanische Parteiensystem ganz wesentlich auf diesen Klanstrukturen aufbaut. Ich füge in Klammern hinzu: Manches, was wir nach unseren Maßstäben – wahrscheinlich auch richtigerweise – als Korruption und Nepotismus ansehen, ist im pakistanischen Selbstverständnis die ganz normale Versorgung derer, die die eigene Machtbasis sichern und stabilisieren, und auch das Mittun derer, die sich davon Schutz und ein Stück Geborgenheit versprechen. Das müssen wir in eine realistische Analyse einbeziehen.

Nun gibt es den Satz – den kennen wir alle –: Normalerweise hat ein Staat eine Armee; in Pakistan ist es so, dass sich die Armee einen Staat hält. – Es ist wahr, dass die Armee einen großen Einfluss in Pakistan ausübt. Das liegt zum einen daran, dass sie wohl über die effizientesten Strukturen im Land verfügt, zum anderen aber auch daran, dass sie der größte Arbeitgeber im Land ist, auch was den zivilen Sektor anbetrifft. Anders als in manchem anderen Staat, wo Armeen dominieren, steht nicht so sehr die Bereicherung der Generäle im Vordergrund; vielmehr versorgt die Armee sich, alle Angehörigen und die Institutionen der pakistanischen Armee mit diesem zivilen Engagement.

Nun komme ich zu dem, was Anlass der Aktuellen Stunde war: Die Angriffe von außen auf pakistanisches Gebiet bergen eine ziemlich große Gefahr, die pakistanische Armee zu destabilisieren. Warum? Die Paschtunen machen 12 Prozent der Bevölkerung, aber 20 Prozent der Armeeangehörigen aus, und die Angriffe finden auf paschtunischem Gebiet statt. Es liegt auf der Hand, dass es bei Fortsetzung einer solchen Politik zu Desintegrationsbestrebungen in der Armee bis hin zum Bürgerkrieg kommen könnte. Wenn man dann noch ins Kalkül zieht, dass es eine große pakistanische Diaspora in Großbritannien gibt, dann braucht man den Faden nicht mehr weiterzuspinnen, um klarzumachen, welche Konfliktpotenziale in der Fortsetzung dieser Politik liegen würden. Ich kann mich all den Vorrednern anschließen, die hier ein ernstes Wort mit unseren amerikanischen Freunden angemahnt haben.

Es geht um eine Pakistan-Strategie nicht wegen Afghanistan, sondern wegen Pakistan. Die Elemente kann ich aus Zeitgründen nur stichwortartig nennen: Wir müssen Pakistan als Regionalmacht anerkennen und über die Rolle Pakistans als Regionalmacht nachdenken. Bildung, Wirtschaft, Energie und Rechtsstaat sind natürlich Faktoren, die darin vorkommen müssen. Aber es geht nicht um eine deutsche Pakistan-Strategie. Wir können nur Teil einer multilateralen Pakistan-Strategie der Europäischen Union sein,

(Beifall des Abg. Detlef Dzembritzki [SPD])

abgestimmt mit den USA; aber wir müssen auch Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate fragen, die mit ihrem Geld die wahabitische Mission im Lande unterstützen. Wir sollten China einbeziehen, das ja der engste strategische Partner von Pakistan ist. Ich schließe mich Herrn Klose ausdrücklich an: Wir sollten auch schauen, dass wir etwas beitragen können zur Entspannung des pakistanisch-indischen Verhältnisses.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)