Ruprecht Polenz

Standpunkt von Ruprecht Polenz zum Konflikt zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen

Zu meinen öffentlichen Stellungnahmen bezüglich des aktuellen Konfliktes zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen habe ich eine Vielzahl von Zuschriften erhalten, für die ich mich herzlich bedanke. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um an dieser Stelle noch einmal ausführlich meinen Standpunkt zu der Thematik darzulegen.
1.                  Deutschland verbindet mit Israel eine besondere Beziehung. Deshalb sind alle deutschen Regierungen, von Adenauer über Kohl und Schröder bis zu Angela Merkel, immer in besonderer Weise für das Existenzrecht Israels als jüdischem und demokratischem Staat sowie für die Sicherheit seiner Bürger eingetreten.
 
2.                   Ich bedauere es sehr, dass der seit Jahrzehnten andauernde Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern, der bereits so viele Opfer gekostet hat und so viel Leid über die Menschen, Israelis und Palästinenser, gebracht hat, Ende 2008 mit dem Krieg im Gazastreifen erneut eskaliert ist.
 
3.                    Eine dauerhafte Lösung des Konfliktes zwischen Israelis und Palästinensern kann nur in einer Zweistaatenlösung gefunden werden. Diese sollte im Wesentlichen basieren auf den Clinton-Parametern (2000), den Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern in Taba/Ägypten (2001) und dem inoffiziellen Verhandlungsergebnis der „Genfer Initiative“ (2003). Daraus ergeben sich folgende Kernpunkte einer Zweistaatenlösung:
 
o      Der Staat Israel liegt im Wesentlichen in den Grenzen von 1967, das palästinensische Staatsgebiet umfasst das Westjordanland und den Gazastreifen.
o      Jerusalem ist die Hauptstadt beider Staaten, wobei für die religiösen Stätten eine Sonderregelung gefunden werden muss.
o      Israel räumt die Siedlungen im Westjordanland. Dort, wo in Grenznähe und in der Umgebung Jerusalems jüdische Siedlungen erhalten bleiben sollen, erhält der palästinensische Staat an anderer Stelle einen angemessenen und von beiden Seiten akzeptierten flächenmäßigen Ausgleich.
o      Die Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge erfolgt in den palästinensischen Staat und nur in Ausnahmen und mit Genehmigung Israels in den Staat Israel.
 
4.                   Ausgehend von der Initiative des damaligen saudischen Kronprinzen Abdullah im Februar 2002 haben auch die Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga auf ihrem Gipfel im März 2002 im Prinzip die Zweistaatenlösung anerkannt, ohne dies in den Einzelheiten näher zu konkretisieren.
 
Gegner einer Zweistaatenlösung und damit der Existenz Israels als jüdischem Staat sind Iran sowie die vom Iran unterstützten Gruppierungen Hisbollah, Hamas und Islamischer Dschihad.
 
5.                   Die fortgesetzte israelische Siedlungstätigkeit im Osten Jerusalems und im Westjordanland entfernt uns weiter von einer Umsetzung der Zweistaatenlösung. Deshalb teile ich die Forderung des Nahostquartetts (UN, EU, USA und Russland) nach einer sofortigen und unbedingten Einstellung des Siedlungsbaus.
 
6.                   Insbesondere die Hamas und der Islamische Dschihad haben es wiederholt als ihr politisches Ziel ausgegeben, Israel zu vernichten. So heißt es in der gültigen Hamas-Charta: „Ansätze zum Frieden, die sogenannten friedlichen Lösungen und die internationalen Konferenzen zur Lösung der Palästinafrage stehen sämtlichst im Widerspruch zu den Auffassungen der Islamischen Widerstandsbewegung. (…) Für die Palästina-Frage gibt es keine andere Lösung als den Djihad.“ Teil dieses Djihads sind die von der Hamas in Israel verübten Terroranschläge, die das konkrete Ziel haben, möglichst viele Zivilisten zu töten. Auch die auf israelisches Gebiet abgeschossenen Raketen werden deshalb nach offiziellen Stellungnahmen der Hamas bewusst auf israelische Bevölkerungszentren ausgerichtet. Seit dem Rückzug Israels aus dem Gazastreifen 2005 wurden mehr als 10.000 Raketen auf Israel abgeschossen, dabei wurden 32 Israelis getötet und 600 verletzt.
 
7.                    Israel hat das Recht, sich gegen diese Angriffe zu verteidigen und seine Bürger zu schützen. Dabei muss jedoch die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben. Die Militäroffensive Israels im Gazastreifen hat zu ca. 1300 Todesopfern, darunter etwa ein Drittel Kinder, und mehr als 4000 Verletzten geführt. Auch humanitäre Einrichtungen wie das UN-Hauptquartier, Krankenhäuser oder UN-Schulen wurden von israelischen Bomben zerstört. Anders als die Hamas, die bewusst und absichtlich zivile Ziele angegriffen hat, wollte Israel zivile Opfer unter den Palästinensern vermeiden. Die Hamas hat Zivilisten völkerrechtswidrig als Schutzschilde eingesetzt. Trotzdem lässt sich die hohe Zahl ziviler palästinensischer Opfer auch nach Meinung israelischer Menschenrechtsorganisationen, der ich mich anschließe, nicht rechtfertigen.
 
8.                   Mit militärischen Mitteln werden sich die Angriffe der Hamas nicht dauerhaft unterbinden lassen. Die Hamas ist eine ideologisch motivierte Organisation. Ideologisches Gedankengut wird durch die Anwendung von Gewalt eher verstärkt denn geschwächt. Die vielen zivilen Opfer auf palästinensischer Seite führen zu Verbitterung, Wut und Hass und einer noch stärkeren Radikalisierung der Palästinenser. Es besteht die Gefahr, dass nicht nur die Hamas sondern auch Al-Qaida dadurch an Zulauf gewinnen.
 
9.                   Es kommt darauf an, dass die palästinensische Bevölkerung der Hamas die Unterstützung entzieht oder dass Hamas auf Gewalt zur Durchsetzung ihrer Ziele verzichtet und die bestehenden, von der PLO mit Israel abgeschlossenen Verträge (und damit das Existenzrecht Israels) anerkennt. Nur, wenn gemäßigte palästinensische Politiker die Bevölkerung mit konkreten Verhandlungsergebnissen wie beispielsweise der Aufhebung von Straßensperren oder dem Stopp des Siedlungsbaus im Westjordanland davon überzeugen können, dass sich Kooperation konkret in der Verbesserung der palästinensischen Lebensbedingungen niederschlägt und eher zum Ziel eines eigenen Staates für die Palästinenser führt als der Terrorismus der Hamas, wird die Unterstützung für die Hamas unter den Palästinensern schwinden.
 
10.               Jetzt muss gemäß der Resolution 1860 des UN-Sicherheitsrates eine dauerhafte Waffenruhe erreicht werden. Außerdem gilt es, den Waffenschmuggel in den Gazastreifen dauerhaft zu unterbinden. Die Bundesregierung hat ihre Bereitschaft zur Unterstützung in diesem Bereich bereits zugesagt und wird auf Abruf Experten nach Ägypten schicken. Überdies muss ungehindert humanitäre Hilfe, insbesondere durch die Verteilung von Lebensmitteln, Medikamenten und Benzin, geleistet und über den Wiederaufbau und die zukünftige Situation im Gazastreifen verhandelt werden.
 
11.               Für die wirtschaftliche, soziale und humanitären Lage des Gazastreifens müssen tragfähige Perspektiven entwickelt werden. Damit sich das Gebiet wirtschaftlich entwickeln und selbst tragen kann, muss die Blockade des Gazastreifens schnellstmöglich aufgehoben und die Grenzen für Personen und Wirtschaftsgüter wieder geöffnet werden. Die Europäische Union hat sich bereit erklärt, ihre Bemühungen zur Unterstützung der Sicherung der Grenzübergänge in Rafah zu intensivieren und auszuweiten.Die derzeitige Situation, in der nur die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft den Gazastreifen lebensfähig erhält, ist langfristig nicht akzeptabel. Überdies entbindet sie die gewählten Vertreter der Palästinenser von der Verpflichtung, gegenüber der eigenen Bevölkerung die Versorgung zu gewährleisten.
 
12.               Die Entwicklungen der vergangenen Jahre zeigen, dass die beteiligten Parteien nicht aus eigener Kraft in der Lage sind, den Konflikt zu befrieden. Vermittlungsinitiativen von außen wie die aktuellen Bemühungen Ägyptens sollten daher von allen Seiten volle Unterstützung genießen. Langfristiges Ziel muss es jedoch sein, den Gazastreifen wieder unter Verwaltung einer gesamtpalästinensischen Regierung zu stellen.
 
13.               Es ist ein positives Signal, dass US-Präsident Barack Obama den Nahost-Konflikt an die Spitze seiner außenpolitischen Prioritätenliste gesetzt und den erfahrenen Nahostkenner Mitchell zu seinem Nahostbeauftragten gemacht hat und dass seine Außenministerin Hillary Clinton sich von Beginn ihrer Amtszeit an um eine Lösung des Konflikts bemühen will. In Verbindung mit den koordinierten Aktivitäten der EU-Mitgliedstaaten, darunter auch der Teilnahme von Bundeskanzlerin Merkel an den Konferenzen zur Besiegelung des Waffenstillstandes in Sharm El Sheikh und Jerusalem sowiedem von Außenminister Steinmeier vorgelegten Fünf-Punkte-Plan, muss es gelingen, den Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern mit dem Ziel der Zweistaatenlösung wieder aufzunehmen.