Ruprecht Polenz

Prozess von Annapolis unterstützen

Rede von Ruprecht Polenz im Deutschen Bundestag zum Nahost-Konflikt am 5. März 2009

"Mit Ihrem Antrag „Den Prozess von Annapolis durch eigenständige Initiativen unterstützen“ rennt Die Linke offene Türen ein, soweit sich darin vernünftige Forderungen finden – und das ist durchaus auch der Fall. Denn viele der von Ihnen benannten Punkte sind Bestandteil der Politik der Bundesregierung. Ich will deshalb die Gelegenheit nutzen, nach den Wahlen in Israel und den ersten Entscheidungen der neuen amerikanischen Regierung ein paar Worte zu den Chancen zu sagen, wieder zu einem Prozess zu kommen, der den Namen Friedensprozess verdienen würde."
"Eine dauerhafte Lösung des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern kann nur in einer Zwei-Staaten-Lösung gefunden werden.

Wie eine solche Lösung im Wesentlichen aussehen kann, ist allen Beteiligten eigentlich klar: Die so genannten „Clinton-Parameter“ aus dem Jahr 2000, die Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern in Taba 2001 und das inoffizielle Verhandlungsergebnis der Genfer Initiative von 2003 skizzieren die Kernpunkte: 

- Der Staat Israel liegt im Wesentlichen in den Grenzen von 1967,
- das palästinensische Staatsgebiet umfasst das Westjordanland und den Gazastreifen,
- Jerusalem ist die Hauptstadt beider Staaten, wobei für die religiösen Stätten eine Sonderregelung gefunden werden muss,
- Israel räumt die Siedlungen im Westjordanland. Dort wo in Grenznähe und in der Umgebung Jerusalems jüdische Siedlungen erhalten bleiben sollen, erhält der palästinensische Staat einen von beiden Seiten akzeptierten flächenmäßigen Ausgleich,
- die Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge erfolgt in den palästinensischen Staat und nur in Ausnahmen und mit Genehmigung Israels in den Staat Israel.

Meine Damen und Herren, das Ziel einer Zwei-Staaten-Lösung ist also relativ klar. Der Weg dorthin ist das Problem.

Auf palästinensischer Seite habe wir es mit einem „failing state ohne Staat“ zu tun, noch dazu geteilt in Westbank und Gaza-Streifen und einer Autonomiebehörde, die gegenwärtig im Gaza-Streifen nicht viel zu melden hat. Dort herrscht die Hamas, bei der nicht zuletzt Die Linke nicht müde wird zu betonen, sie sei demokratisch an die Macht gekommen, aber immer wieder vergisst zu sagen, um was für eine Organisation es sich handelt und mit welch diktatorischer und menschenverachtender Weise sie ihren Herrschaftsanspruch durchsetzt. Lesen Sie einmal die Berichte von Menschenrechtsorganisationen von amnesty international oder Human Rights Watch über die Verbrechen der Hamas gegen ihre palästinensischen Landsleute im Gaza-Streifen nach. Und in ihrer Charta schreibt die Hamas zu ihrem Verhältnis zu Israel: „Ansätze zum Frieden, die so genannten friedlichen Lösungen und die internationalen Konferenzen zur Lösung der Palästina-Frage stehen sämtlichst im Widerspruch zu den Auffassungen der Islamischen Widerstandsbewegung (…). Für die Palästina-Frage gibt es keine andere Lösung als den Dschihad.“ Teil dieses Dschihads sind die von der Hamas in Israel verübten Terroranschläge, die das konkrete Ziel haben, möglichst viele Zivilisten zu töten.

Mit Ihren vorauseilenden Gesprächsangeboten an die Hamas fallen Sie dem Palästinenserpräsidenten Abbas und den Ägyptern, die sich um eine Regierung des nationalen Konsenses bemühen, in den Rücken. Aber ein terroristischer Hintergrund hat Sie ja, meine Damen und Herren von der Linken, auch in Ihrer Behandlung der kolumbianischen Farc nicht gestört.

Die Aussichten wieder zu einem Friedensprozess zu kommen, sind also im Augenblick auf palästinensischer Seite nicht gerade günstig. Das gilt leider auch nach dem Wahlergebnis für Israel. Der von Präsident Peres mit der Regierungsbildung beauftragte Likud-Führer Netanjahu lehnt bisher eine Zwei-Staaten-Lösung ab. Die sich für ihn abzeichnenden Koalitionspartner scheinen ihn in der Heftigkeit der Ablehnung noch zu übertreffen.

Trotzdem gibt es zwei Entwicklungen, die Hoffnungen machen und einen Grund-Trend, der Handeln notwendig macht. Der Grund-Trend: Die Zeit arbeitet nicht für, sondern gegen eine Zwei-Staaten-Lösung – je länger man wartet, desto schwieriger wird sie zu erreichen sein.

Und nun zu den positiven Entwicklungen: Seit der Friedensinitiative von König Abdullah von Saudi-Arabien, die sich die Arabische Liga auf ihrem Gipfel in Beirut 2002 zu eigen gemacht hat, gibt es die grundsätzliche Bereitschaft aller arabischen Nachbarländer, Israel anzuerkennen. Und der neue amerikanische Präsident hat sich den Nahost-Konflikt trotz aller Schwierigkeiten ganz oben auf seine außenpolitische Agenda gesetzt und mit Senator Mitchell eine außerordentlich erfahrene und bei Palästinensern und Israelis gleichermaßen anerkannte Persönlichkeit zu seinem Nahost-Beauftragten gemacht.

Was muss jetzt geschehen? Zu allererst muss natürlich der Waffenstillstand gesichert und gefestigt werden. Die Raketenangriffe auf Israel müssen aufhören. Nicht zuletzt auch mit deutscher technischer Hilfe muss der Waffenschmuggel in den Gaza-Streifen unterbunden werden. Das wiederum ist die Voraussetzung für eine Öffnung der Grenzübergänge in den Gaza-Streifen für Hilfsgüter, Menschen und normalen Warenverkehr. Für die Palästinenser wird es außerdem darum gehen, wieder zu einer handlungsfähigen Regierung zu kommen, die für alle Palästinenser sprechen kann. Mit ägyptischer Vermittlung könnte eine Regierung aus „Technokraten“ ins Amt gebracht werden, die vor allem zwei Aufgaben hätte: Zum einen müsste sie die internationale Aufbauhilfe für den Gaza-Streifen entgegen nehmen und das Aufbauprogramm in die Tat umsetzen. Zum anderen müsste sie baldige Neuwahlen im Gaza-Streifen und in der Westbank organisieren, damit für die eigentlichen Verhandlungen mit Israel ein demokratisch legitimierter Partner zur Verfügung steht.

Israel muss endlich und sofort jegliche Siedlungstätigkeit jenseits der grünen Linie einstellen. Es gibt keinerlei Grund, die Erfüllung dieser Forderung von irgendwelchen Bedingungen abhängig zu machen, die die Palästinenser zuvor erfüllen müssten, denn jedes neue Haus in der Westbank ist ein betoniertes Hindernis auf dem Weg zum Frieden.

Das gilt auch – und ich sage das aus aktuellem Anlass mit besonderem Nachdruck – für Ost-Jerusalem. Ich schließe mich ausdrücklich der Forderung von Amos Oz, David Grossmann und den anderen israelischen Preisträgern an, die in einem offenen Brief an den israelischen Bürgermeister von Jerusalem, Nir Barkat, gegen die geplante Zerstörung von 88 Häusern, bewohnt von 1000 Palästinensern im Ost-Jerusalemer Stadtteil Silwan, gewandt haben. Die Häuser sollen zerstört werden, um Platz für einen Park zu schaffen. Diese Vorgehensweise ist einer von vielen - so buchstäblich - Bausteinen einer Strategie, die arabische Bevölkerung Jerusalems zu reduzieren und die direkte Verbindung Ost-Jerusalems zur Westbank durch immer neue jüdische Siedlungen zu unterbrechen. Auf diese Weise sollen Fakten geschaffen werden damit Ost-Jerusalem nicht als Hauptstadt eines palästinensischen Staates fungieren kann. Das israelische Ministerium für Wohnungsbau gibt an, dass es derzeit insgesamt Bauprojekte für 4554 Wohneinheiten in Siedlungen gebe, davon 94 % in Ost-Jerusalem. Diese Häuser dürfen nicht gebaut werden. Die sofortige und unbedingte Einstellung jeglicher Siedlungstätigkeit ist ein entscheidender Schritt, der Israel jetzt abverlangt werden muss. Israel sollte auch gedrängt werden, endlich sein Versprechen einzuhalten und Straßensperren in der Westbank abzubauen.

Ich habe mit Interesse eine Übersicht des Israelischen Zentrums für internationale Zusammenarbeit (MASHAV) am israelischen Außenministerium über die Zusammenarbeit mit der palästinensischen Autonomiebehörde (PA) gelesen. Der Schwerpunkt dieser Zusammenarbeit liege u.a. auf den Gebieten wirtschaftliche Entwicklung, Arbeitsplatzbeschaffung, Ernährung und Landwirtschaft, Gesundheitsversorgung. So wichtig und nützlich die einzelnen dort beschriebenen Projekte auch sein mögen, angesichts der enormen wirtschaftlichen Schäden, die der palästinensischen Volkswirtschaft durch die Straßenblockaden zugefügt werden, bleiben diese Projekte weniger als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Schon vor zehn Jahren kam die Weltbank in einer Schätzung zu dem Ergebnis, dass die Straßenblockaden die palästinensische Wirtschaft mehr als sieben Millionen Dollar pro Tag kosten. Ganz zu schweigen von den moralischen Kosten, die die oft demütigen Abfertigungsprozeduren mit sich bringen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich mit einem Zitat schließen. „Wir haben ein „window of opportunity“, einen kurzen Augenblick ehe wir in eine außerordentlich gefährliche Situation kommen – in dem wir einen historischen Schritt in unseren Beziehungen mit den Palästinensern … machen müssen. (…) Wir müssen eine Übereinkunft mit den Palästinensern erreichen, die einen Rückzug aus nahezu allen, wenn nicht allen der besetzten Gebiete bedeutet. Ein paar Prozent dieser Gebiete können in unseren Händen bleiben, aber wir müssen den Palästinensern den gleichen Prozentsatz von Gebieten anderswo geben – ohne diesen Schritt wird es keinen Frieden geben.“ Und auf die Frage „einschließlich Jerusalem?“ erfolgt die Antwort „ einschließlich Jerusalem – mit so würde ich meinen – speziellen Verabredungen für den Tempel und die heiligen und historischen Stätten.“ Gesagt hat dies Ehud Olmert in einem Interview mit der Zeitung Yedioth Ahronoth, das ich aus einer Übersetzung der New York Review of Books vom 4. Dezember 2008 entnommen und aus dem Englischen übersetzt habe. Warum, so habe ich mich gefragt, kommen Politiker erst zu solchen Erkenntnissen, wenn sie kurz davor stehen, aus dem Amt zu scheiden. Aber sei es drum. Als Vermächtnis für jeden denkbaren Nachfolger behalten diese Sätze ihre Gültigkeit."