Ruprecht Polenz

Kein Strategiewechsel bei Afghanistan

Rede zum Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan

Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der Fraktion der CDU/CSU und FDP Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan am 16. Dezember 2009

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Steinmeier,

das Thema dieser Aktuellen Stunde lautet: „Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan“. Dieser Einsatz hat nicht erst nach der Bundestagswahl angefangen, sondern ist zur Zeit der rot-grünen Bundesregierung begonnen worden. Er ist zu Zeiten der Großen Koalition fortgesetzt worden und ist unter der neuen Bundesregierung im Rahmen einer Mandatsbestätigung weiter fortgesetzt worden.
Ich betone das deshalb, weil man sowohl aufgrund des Klimas in der Fragestunde wie auch teilweise in der Aktuellen Stunde den Eindruck gewinnen konnte, dass Sie zu diesem Thema hier nicht reden wollten. Sie wollten zu anderen Themen in dieser Aktuellen Stunde reden. Es kann ja jeder reden, worüber er will. Aber heute geht es um dieses Thema. Sie haben sich vorhin in der Fragestunde viel Mühe gegeben, herauszubekommen, ob es eine Art Strategiewechsel gegeben habe – vielleicht mit der Absicht, wenn ja, die Möglichkeit zu haben, diesen dann nicht mehr mitzutragen.

Ich sage Ihnen: Das Mandat ist über all die Jahre im Kern unverändert geblieben. Die militärische und die Sicherheitslage haben sich verändert. Im Rahmen des vom Mandat vorgegebenen Auftrages hat die Bundeswehr angemessen zu reagieren. Es war von Anfang an klar – das muss man auf manche der Beiträge sagen –, dass die Bundeswehr ermächtigt war und ist, alle notwendigen Maßnahmen zur Erfüllung des Mandats zu ergreifen, einschließlich militärischer Gewalt. Sie hat Befugnisse, die über bloße Notwehr und Nothilfe hinausgehen. Es handelt sich auch um ein Mandat zur Aufstandsbekämpfung, Herr Arnold, allerdings – das ist der Kern der jetzigen Diskussion, die sich an dem Vorfall in Kunduz festmacht – natürlich nicht über die Maßstäbe des humanitären Völkerrechts hinaus.

Ziel des humanitären Völkerrechts ist der Schutz unbeteiligter Zivilisten in bewaffneten Konflikten. Man muss allerdings festhalten, dass die Taliban diesen Schutz durch die Art ihrer Kriegsführung systematisch und absichtlich verletzen. Sie geben sich nicht als Kämpfer zu erkennen. Sie wenden gezielt Gewalt gegen unbeteiligte Zivilisten an; denken Sie an die Selbstmordattentate auf belebten Marktplätzen oder das gezielte Umbringen von Lehrern. Sie benutzen Zivilisten als menschliche Schutzschilde, und sie werden dabei teilweise von der Zivilbevölkerung unterstützt – sei es freiwillig, sei es gezwungenermaßen. Warum trage ich das vor?

Um Ihnen zu zeigen, dass die Unterscheidung zwischen gegnerischen Kämpfern und unbeteiligten Zivilisten in Afghanistan außerordentlich schwierig ist und dass wir uns natürlich trotzdem an das Kriegsvölkerrecht halten müssen.

Ich erwarte vom Untersuchungsausschuss, dass er diese Frage beleuchtet und in die Bewertung ebenso einbezieht, wie es kommt, dass in allen jedenfalls mir zur Verfügung stehenden Berichten aus Afghanistan anders als bei sonstigen Vorkommnissen, bei denen zivile Opfer zu beklagen waren, nicht die Bundeswehr verantwortlich gemacht wird. Vielmehr ist in all dem, was ich bisher habe lesen können, gesagt worden: Dies war im Großen und Ganzen ein Schlag, der den Taliban gegolten hat.

Herr Arnold, zur Studie „Rechtssicherheit im Auslandseinsatz“. Ich möchte noch etwas zu den zivilen Opfern sagen; denn vorhin wurde vonseiten der Linken mit gezielten Todesschüssen und Ähnlichem argumentiert. Die Verursachung ziviler Opfer – ich zitiere wörtlich aus dieser Studie – als Nebenfolge eines militärischen Angriffs stellt nicht in jedem Fall eine Verletzung humanitären Völkerrechts dar.

Entscheidend ist das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Dafür gibt es keine objektiven Maßstäbe; das muss man vor Ort in der Abwägung beurteilen. Herr Trittin, Sie haben schon lange davon gesprochen, dass es sich in Afghanistan aufgrund der Veränderung der Lage auch im Norden, wo wir Verantwortung tragen, eher um einen Krieg handelt.

Der Verteidigungsminister hat von kriegsähnlichen Zuständen gesprochen. Welche rechtlichen Folgen das hat, wird der Generalbundesanwalt klären. Die Frage ist aber, ob wir den politischen Folgen der Feststellung, Deutschland befinde sich mit seinen Soldaten in Afghanistan in kriegsähnlichen Zuständen, gerecht werden. Diese Frage muss sich hier jeder selber stellen.

Natürlich müssen wir eine Untersuchung durchführen, um Fehler aufzudecken und Konsequenzen zu ziehen. Zumindest manche Beiträge haben aber am heutigen Tag den Eindruck erweckt, es mache keinen großen Unterschied, ob man versucht, einen – in Anführungszeichen – vermeintlichen innenpolitischen Skandal aufzudecken, oder ob man sich einer Untersuchung widmet, bei der es wichtig ist, auf welche Art und Weise man sie führt, ob man beispielsweise darauf drängt, dass geheime Dinge öffentlich werden, und damit möglicherweise unsere Soldaten gefährdet.

Wir müssen uns einmal überlegen, ob wir, das Parlament, damit der Demokratie und ihren Aufgaben gerecht werden, in einem Zustand, den Sie als „Krieg“ bezeichnen und der Verteidigungsminister als „kriegsähnlich“ beschreibt. Ich meine, das macht einen Unterschied.