Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!
Die Fraktion Die Linke beantragt, Afghanistan sich selbst zu überlassen. Sie beantragen, die Fehler zu wiederholen, die nach dem Abzug der Sowjetunion aus Afghanistan gemacht worden sind. Sie beantragen, eine Situation herbeizuführen, die in Afghanistan eher über kurz als über lang wieder zu einem Bürgerkrieg führen würde. Sie wollen die Voraussetzungen dafür geschaffen sehen, dass Afghanistan endgültig ein Failed State wird, ein Rückzugs-, Ruhe- und Ausbildungsraum für Terroristen, wie Afghanistan es vor dem Einsatz war.
Dieser Antrag ist unverantwortlich, auch wenn Sie hineingeschrieben haben, dass Sie eine „verantwortliche Exitstrategie“ wollen. Eine solche Strategie gibt es zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Allein das Nachdenken darüber ist unverantwortlich. Dieser Antrag ist unverantwortlich, weil er das Signal aussendet, wir könnten Afghanistan möglicherweise im Stich lassen.
Bei aller Unterschiedlichkeit der Lebensläufe und Biografien der Attentäter vom 11. September hatten sie alle eines gemeinsam, Herr Kollege Lafontaine: Alle waren mehrere Wochen, teilweise Monate, in Ausbildungslagern und Trainingscamps der al-Qaida in Afghanistan. In den Lagern der al-Qaida hat man Schulungs- und Ausbildungsmaterial, zum Beispiel Pläne, gefunden, die ganz klar belegt haben, was die weiteren Ziele dieser Terrororganisation sind.
Wir haben es bei den Anschlägen in London, in Madrid, auf Bali und auf Djerba – wo übrigens auch Deutsche ums Leben gekommen sind – gesehen, genauso wie bei den sogenannten Kofferbombern von Köln und Dortmund, deren versuchter Anschlag nur aus technischen Gründen nicht viele Tote zur Folge hatte: Die Spur führt immer auch in Richtung al-Qaida. Das zeigt, dass der Satz, den der damalige Verteidigungsminister Struck gesagt hat, dass Deutschland auch am Hindukusch verteidigt wird, nach wie vor gilt; denn wir müssen verhindern, dass Afghanistan wieder ein Rückzugsraum für al-Qaida wird.
Der Kampf kann natürlich nicht allein militärisch gewonnen werden; das weiß jeder. Es geht um einen klugen Mix zwischen zivilem Aufbau und militärischer Sicherheitsvorsorge. Der NATO-Außenministerrat wird am 26. Januar darüber sprechen, wie diese Strategie auf ganz Afghanistan ausgeweitet werden kann.
ISAF ist ein breites internationales Bündnis. Die Zusammenarbeit der 37 Nationen hat eine klare völkerrechtliche Grundlage, nämlich die Resolution des Sicherheitsrates. Der Auftrag lautet, Afghanistan bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit zu unterstützen, stabilitätserhaltend und stabilitätsschaffend zu arbeiten. Das ist nicht nur Nothilfe und nicht nur Selbstverteidigung. Auch die Operation „Medusa“ beispielsweise ist unter dem ISAF-Mandat durchgeführt worden. Stabilitätsschaffung durch Militär setzt natürlich voraus, dass man in dem einen oder anderen Fall seine Waffen einsetzt.
Trotzdem ist ISAF – ich will den Begriff einmal aufgreifen – keine Kriegspartei. Mit diesem Begriff wird eine Symmetrie zwischen Taliban und den internationalen Truppen suggeriert. Das lehnen wir ab. Im Übrigen greifen Sie hier zu einer Terminologie, die wir bei unseren amerikanischen Freunden kritisieren. Wir führen in Afghanistan keinen Krieg, sondern wir sind von der afghanischen Regierung eingeladen worden und arbeiten auf der Basis eines UN-Mandates.
Das ist die Sachlage, die Sie mit Ihrem Antrag in Zweifel zu ziehen versuchen. Das lehnen wir ab.
Die Lage, so wie sie sich derzeit darstellt, ist differenziert zu beurteilen. Auf der einen Seite gibt es Erfolge und auf der anderen Seite wachsende Schwierigkeiten. Erfolge gibt es bei der Demokratisierung, bei der Situation der Frauen, auf dem Bildungssektor und dem Gesundheitssektor. Allein die Tatsache, dass inzwischen über 4 Millionen Flüchtlinge nach Afghanistan zurückgekehrt sind, weil sie glauben, dass die Voraussetzungen, das Land wieder aufzubauen, immer besser werden, zeigt, dass eine Schwarz-Weiß-Sicht, wie Sie sie hier dargestellt haben – nach dem Motto: Es macht sowieso keinen Sinn, sich für Afghanistan zu engagieren –, der Wirklichkeit nicht entspricht.
Auf der anderen Seite gibt es – teilweise wachsende – Schwierigkeiten, weil die gewünschte Entwicklung manchmal ausbleibt. Das führt zu Ungeduld, die Probleme mit Korruption und Drogen nehmen zu, und in manchen Provinzen verschlechtert sich die Sicherheitslage. Aber das darf nicht dazu führen, jetzt Hals über Kopf das Land zu verlassen, so wie Sie es dem Bundestag empfehlen.
Der deutsche Schwerpunkt bleibt der Norden. Ein dauerhafter Erfolg – das allerdings muss hinzugefügt werden – kann nur bei einem Erfolg in allen Teilen Afghanistans erreicht werden. Es gibt keine ISAF-Nord und ISAF-Süd. Wer in dieser Woche die Gelegenheit hatte, mit unseren britischen Kollegen zu sprechen, der wird festgestellt haben, dass deren PRT-Konzept, also das Provincial-Reconstruction-Team-Konzept, und Vorgehensweise der Art, wie Deutschland im Norden die Wiederaufbauarbeiten in Verbindung mit militärischen Fähigkeiten angeht, sehr ähnlich sind.
Nun zur Anfrage der NATO bezüglich der Tornados: Es geht um die Frage, ob Deutschland bei der Aufklärung helfen kann. Es geht nicht um unmittelbare Zielbekämpfung. Eine verbesserte Aufklärung, eine verbesserte Kenntnis über mögliche Bedrohungen, Herr Lafontaine, dient zunächst dem Schutz eigener Kräfte, natürlich auch dem Schutz unserer Entwicklungshelfer und nicht zuletzt dem Vermeiden sogenannter Kollateralschäden, wenn Angriffe auf feindliche Ziele gestartet werden müssen. Wer also Aufklärung unterbindet, bewirkt genau das, was Sie hier vorgeben anzuprangern.
Deshalb finde ich es richtig, dass die Bundesregierung ihre grundsätzliche Bereitschaft erklärt hat, zu prüfen, ob wir die Aufklärungslücke, die möglicherweise entsteht, mit den RECCE-Tornados schließen können, wobei die näheren Umstände – wo, wie lange, mit welchem genauen Auftrag? – noch geprüft werden, unter anderem durch eine Fact-Finding-Mission. Die Bundesregierung hat noch keine Entscheidung getroffen. Wir gehen aber davon aus, Herr Minister, dass die Entscheidung, so sie denn getroffen wird, wie bei allen Auslandseinsätzen bisher – da schließe ich die Vorgängerregierung ein – auf einer eindeutigen, unzweifelhaften Rechtsgrundlage erfolgt. Denn das ist die Voraussetzung für eine möglichst breite parlamentarische Zustimmung. Das ist auch die Voraussetzung dafür, dass man unseren Soldaten, denen ich an dieser Stelle danke, dieses schwierige Mandat überhaupt zumuten kann.
Ich bin allerdings der Meinung, dass die detaillierten Sachfragen zum Tornadoeinsatz dann erörtert werden sollten – das werden wir in jedem Falle tun –, wenn die Entscheidung der Bundesregierung getroffen ist. Deshalb will ich jetzt keine weiteren Ausführungen dazu machen.
Ich könnte mir allerdings vorstellen – damit komme ich zum Schluss –, dass der Antrag der Fraktion der FDP und vielleicht auch der des Bündnisses 90/Die Grünen, die sozusagen im Vorgriff auf eine Entscheidung der Bundesregierung ein bestimmtes Verfahren anmahnen, hätten vermieden werden können, wenn uns der Informationsfluss der Bundesregierung über Pläne und Absichten etwas rechtzeitiger und kontinuierlicher erreichen würde. Das möchte ich als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses ausdrücklich anmahnen.