Ruprecht Polenz

Das neue strategische Konzept der NATO

Rede von Ruprecht Polenz vom 11. November 2010 im Plenum des Deutschen Bundestages

Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Ströbele, ich verstehe diese Diskussion nicht. Wir alle gehen von einem erweiterten Sicherheitsbegriff aus. Wenn sich dann jemand aus Gründen sicherheitspolitischer Vorsorge richtigerweise zu der Sicherheit der Handels- und Wirtschaftswege äußert, dann wird ihm vorgeworfen, mit militärischen Mitteln darauf antworten zu wollen, obwohl das selbstverständlich zum erweiterten Begriff der Sicherheitsvorsorge gehört, wie er im Weißbuch niedergelegt wurde. Sie bauen immer einen Pappkameraden auf, um dann auf ihn einschlagen zu können. In Wirklichkeit sind wir doch alle der Meinung, dass man heute Sicherheit nicht mehr allein militärisch definieren kann.
(Beifall bei der CDU/CSU)

Von daher verstehe ich die gesamte Diskussion nicht. Welches ist nun die Aufgabe im Rahmen einer neuen NATO-Strategie, über die wir debattieren? Zum einen geht es 20 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges um die Legitimation der NATO nach außen. Zum anderen geht es vor allem um die Orientierung nach innen. Bei 28 Mitgliedsländern muss man zu einer gemeinsamen Sicht der Dinge kommen. Das ist nicht einfach.

Wie die Debatte hier zeigt, stellt sich auch die Frage, wie wir, die Fraktionen im Deutschen Bundestag, es mit der NATO halten. Haben wir eine gemeinsame Sicht der Dinge? Der Auswärtige Ausschuss hat dazu eine Anhörung durchgeführt. Die gute Nachricht war, dass keiner der Sachverständigen, die die Fraktionen benannt haben, die NATO als überflüssig bezeichnet hat. Von keinem wurde empfohlen, die NATO abzuschaffen. Der von den Grünen benannte Sachverständige Matthias Dembinski von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung hat gesagt: Die NATO erfüllt erstens die Aufgabe, einer Renationalisierung der Sicherheitspolitik entgegenzustehen. Zweitens bildet sie eine transatlantische Klammer. Drittens ist sie eine kostengünstige Versicherungspolice für alle, die ohne diese Police wesentlich nervöser wären. Sie sind deshalb nicht nervös, weil sie sich durch Art. 5 des Nordatlantikvertrages, nach dem ein Angriff auf einen als ein Angriff auf alle bewertet und entsprechend beantwortet wird, sicher fühlen. Das ist der Kern des Bündnisses. Hinzu kommen die erweiterte Sicherheit des euroatlantischen Raumes und das transatlantische Forum für Sicherheitskonsultationen.

Wie sieht es mit der Basis der NATO im Deutschen Bundestag aus? Wenn ich den Entschließungsantrag der SPD-Fraktion richtig verstehe, haben wir als Koalitionsfraktionen in der Einschätzung eine große gemeinsame Basis mit Ihnen. Sie, meine Damen und Herren von der Linken, fordern nach wie vor die Abschaffung der NATO, wenn ich Ihre Position richtig interpretiere. Im Entschließungsantrag der Grünen steht nichts von den Bedrohungen, denen wir uns im 21. Jahrhundert gegenübersehen. Es steht auch nichts von der Notwendigkeit des Bündnisses darin. Sie konzentrieren sich auf einen einzigen Aspekt, und so überschreiben Sie Ihren Antrag auch: Die NATO muss abrüsten, und zwar einseitig. Von dieser einseitigen Abrüstung der NATO versprechen Sie sich sozusagen den Weltfrieden. Ich darf hier aus Ihrem Antrag zitieren:

Ob die Wende hin in eine Ära der weltweiten Abrüstung gelingt, hängt insbesondere vom zukünftigen Selbstverständnis und Verhalten der NATO ab.

Das erinnert mich an Ihre Begründung des Atomausstiegs: Wenn Deutschland vorangeht, wird die ganze Welt folgen. Sie wissen inzwischen, dass das Gegenteil der Fall ist.

Wo haben wir denn jetzt im Augenblick Rüstungsspiralen? Wir haben sie in Asien, Indien, Pakistan; China rüstet auf; vor Nordkorea hat man Angst. Es gibt Aufrüstungsspiralen im Nahen Osten. Da geht es in erster Linie um den Iran und die dortigen Konflikte und Bedrohungen. Wir konstatieren Aufrüstung in Afrika. Ist daran die NATO schuld? Würde ein Abrüstungsprozess der NATO dies verändern? Im Grunde genommen leidet doch die Welt darunter, dass es gerade in Asien, in Afrika und im Nahen Osten keine solchen Sicherheitsarrangements gibt, wie wir sie im euroatlantischen Raum mit der NATO haben. Das ist doch das Problem, meine Damen und Herren von den Grünen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Nun dreht uns die Schattenbürgermeisterin von Berlin gerade den Rücken zu. Aber der Schattenaußenminister sitzt noch hier vorn. Herr Trittin, wenn Sie jetzt als deutscher Außenminister nach Lissabon fahren müssten,

(Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: Dann würde er ausgelacht!)

dann hätten Sie folgende Probleme: Sie müssten erklären, warum die NATO die Augen vor der Bedrohung unserer Computersysteme verschließen soll, von denen nicht nur die Krankenhäuser, der Straßenverkehr und die Elektrizitätsversorgung abhängen. Sie müssten den Franzosen und Briten erklären, warum Sie für eine atomwaffenfreie Zone in Europa sind. Sie müssten vor allen Dingen allen anderen erklären, warum Sie die Raketenabwehr in Bausch und Bogen ablehnen, für die es einen breiten Konsens im Bündnis gibt. Mit anderen Worten: Ein Außenminister Trittin würde Deutschland politisch in die Isolierung innerhalb der NATO führen. Das muss man an dieser Stelle klar sagen.

Diese Debatte dient auch dazu, hier im Hause klar darzustellen: Wer steht hinter diesem Bündnis, hinter dieser Strategie? Nach meiner Analyse sind das die Koalitionsfraktionen und die Sozialdemokraten. Die Linken lehnen sie ab, und die Grünen wollen sie schrittweise abschaffen, indem sie für eine einseitige Abrüstung der NATO plädieren. Das ist aus meiner Sicht das Fazit der heutigen Debatte.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)