Interview im Deutschlandradio vom 7.02.2011
Marcus Pindur: Die Münchner Sicherheitskonferenz war der Schauplatz für einen historischen Schritt: Die amerikanische Außenministerin Clinton und Russlands Außenminister Lawrow tauschten die Ratifizierungsurkunden des START-Abkommens über die nukleare Abrüstung aus. Dieser historische Schritt hätte vor mehreren Jahren auch viel Aufmerksamkeit erregt, trat aber auf der Sicherheitskonferenz hinter einem anderen Thema zurück, den Protestbewegungen in Tunesien und besonders in Ägypten. Ich begrüße jetzt den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag Ruprecht Polenz, CDU. Guten Morgen, Herr Polenz!
Ruprecht Polenz: Guten Morgen, Herr Pindur!
Pindur: 350 geladene Gäste waren dort, es gab ein entsprechend großes Meinungsspektrum. Gab es denn so was wie einen kleinsten gemeinsamen Nenner, wie man mit Ägypten umgehen soll?
Polenz: Nun, ich glaube schon, dass klargeworden ist, dass es jetzt etwas Zeit braucht, damit sich auch die säkulare Opposition formieren kann, die ja bisher keine Chancen hatte, sich öffentlich zu präsentieren, sich auch personell und programmatisch zu finden. Wenn man innerhalb der nächsten, ich sage mal, zwei Monate jetzt zu Wahlen in Ägypten käme, hätten wohl nur die Kräfte des alten Regimes, vielleicht unter neuem Namen, oder die Moslembrüder eine Chance, denen man ja eine gute Untergrundorganisation nachsagt.
Pindur: Die deutsche Politik ist für ihre Zögerlichkeit bei der Bewertung der Krise sehr kritisiert worden, das klang auch eben in dem Bericht von Esther Saoub aus Kairo an. Sollte die deutsche Politik denn einen Schritt weiter gehen und sagen, wir unterstützen jetzt aktiv die Opposition? Ist das überhaupt möglich?
Polenz: Wir sollten sicherlich diese zivilgesellschaftlichen Kräfte, die sich jetzt bilden, die neuen Parteien, die es hoffentlich geben wird, denen sollten wir Unterstützung anbieten. Gerade die deutsche Politik verfügt hier über ein sehr gutes Instrumentarium mit den politischen Stiftungen - Adenauer-Stiftung, Ebert-Stiftung, Böll-Stiftung und so weiter -, die auch Erfahrung haben beim Aufbau solcher Strukturen. Seinerzeit in Lateinamerika oder auch schon vorher, nach Franco Spanien und Salazar Portugal.
Pindur: Die Kanzlerin warnt vor ganz schnellen Wahlen auf der Sicherheitskonferenz, und das mag ja auch irgendwie richtig sein, so wie Sie das eben dargelegt haben. Aber dass ausgerechnet eine Kanzlerin aus der DDR vor schnellen Wahlen warnt, anstatt sie jetzt erst mal zumindest mit deutlichen Worten einzufordern, das mutet doch ein bisschen merkwürdig an. Was denken Sie dazu?
Polenz: Na ich glaube, sie hat ja gerade ihre eigenen Erfahrung berichtet: Sie war im Demokratischen Aufbruch organisiert, ich kann mich selbst auch noch gut an diese Zeit erinnern, weil wir auch den Demokratischen Aufbruch unterstützt haben. Das war eine Organisation, die hat sich im Umbruch des Jahres 1989 gefunden und musste erst mal überlegen, was wollen wir programmatisch, welche Personen machen bei uns mit und wie können wir überhaupt unsere Ideen der Bevölkerung vorstellen und bekanntmachen? Das ist ja etwas, was man üben muss, wo man auch Rat braucht und wo man auch materielle Unterstützung für braucht. Und die Erfahrungen haben eben gezeigt dann auch bei den Wahlen, das hatte sie in München vorgetragen, es ist dem Demokratischen Aufbruch eben nur sehr begrenzt gelungen, dafür zu werben. Er hat dann glaube ich weniger als ein Prozent der Stimmen gehabt.
Pindur: Es ist ja erschreckend, wie wenig Kontakt das außenpolitische Establishment in Europa, auch in den USA, zu den moderaten, den säkularen, demokratischen Oppositionskräften hat. Da fragt man sich ja wie 1989 auch, was macht denn unser ausgesprochen teurer diplomatischer Dienst eigentlich?
Polenz: Nun, ich kann es nicht abschätzen, wie genau die deutsche Diplomatie über bestimmte Strömungen in der ägyptischen Gesellschaft Bescheid wusste, welche Kontakte sie hat. Eins muss man allerdings auch immer wieder sehen in solchen Ländern: Es ist für die Betroffenen, die sich als Opposition möglicherweise im Untergrund organisieren, die vielleicht auch etwas riskieren damit, weil ja die Opposition nicht zugelassen ist, auch nicht so einfach, Kontakt etwa zu Ausländern zu haben. Aber es ist schon richtig: Eine Diplomatie muss immer sehen, dass sie die zivilgesellschaftliche Wirklichkeit möglichst gut erfasst und abbildet. Ich weiß allerdings schon, dass die politischen Stiftungen, die es auch in Ägypten gibt, solche Kontakte haben und pflegen.
Pindur: Sehen Sie denn jemanden in Ägypten, der einen demokratischen Wandel mitgestalten könnte und gleichzeitig auch mit der nötigen Legitimation ausgestattet ist?
Polenz: Ich glaube, genau das muss jetzt der Prozess erbringen. Im Moment ist es doch so, dass sich gegenüber allen Ägyptern nur die Kräfte des alten Regimes präsentieren konnten. Und - das muss man unterstellen - über ihre schlagkräftige Untergrundorganisation hatten die Moslembrüder, auch über ihre sozialen Einrichtungen, auch ihre Möglichkeiten mit der Bevölkerung in Kontakt zu treten. Wir brauchen jetzt wirklich eine Zeit von ein paar Monaten mit Medienfreiheit, wo sich neue Gruppierungen auch vorstellen können, wo sie für ihre Überzeugung gegenüber der Bevölkerung werben können. Natürlich kennt jeder Namen wie El Baradei oder Amr Mussa, aber es gibt möglicherweise auch andere, so wie es auch in den Umbruchzeiten 1989 auf einmal in der früheren DDR Persönlichkeiten gegeben hat, von denen man vorher gar nichts gehört hatte.
Pindur: Hier wurde kurz das Gerücht gehandelt am Wochenende, man verhandle darüber, ob Mubarak gesichtswahrend zu einem längeren Klinikaufenthalt in Deutschland ausgeflogen werden könne. Haben Sie von diesem Gerücht auch etwas gehört?
Polenz: Ja, das Gerücht ging ja quer durch alle Flure im Bayerischen Hof bei der Sicherheitskonferenz. Wahrscheinlich deshalb, weil es eine gewisse Plausibilität bei einem 82-Jährigen hat, der ja auch schon in Deutschland mal zur Behandlung wohl gewesen ist. Und es könnte ja tatsächlich das Problem insofern etwas entschärfen, dass er sich aus den Amtsgeschäften quasi sichtbar zurückzieht, aber eben nicht zurücktritt, um nicht diesen Verfassungsmechanismus in Gang zu setzen, von dem dann eben auch berichtet wurde: Wenn der Präsident zurücktritt, müssen binnen 60 Tagen Neuwahlen stattfinden. Das ist die Verfassungslage in Ägypten, und die würde nur die Kräfte des alten Regimes im Augenblick begünstigen und die Moslembrüder.
Pindur: Herr Polenz, vielen Dank für das Gespräch!
Polenz: Bitte schön!
Pindur: Ruprecht Polenz, CDU, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag zu der Situation in Ägypten und wie wir dort die Zivilgesellschaft stärken können.