Außenpolitiker Ruprecht Polenz über die UN-Resolution zu Libyen - Interview im Deutschlandfunk vom 18. März 2011
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, Ruprecht Polenz, hält das Abwarten der Weltgemeinschaft auf eine UN-Resolution im innerlibyschen Konflikt für richtig - ebenso die Enthaltung Deutschlands. Die Diskussion werde aber weitergehen.
Jürgen Liminski: Stunde der Wahrheit für Obama. "Libyen kann immer noch gerettet werden, aber nur, wenn wir jetzt sofort handeln." "Was ist, wenn Gaddafi gewinnt?" So oder ähnlich lauteten die Schlagzeilen in der Washington Post, dem Wall Street Journal oder der New York Times in den letzten Tagen. Der Druck auf den amerikanischen Präsidenten war so groß, dass er handeln musste. Er gab seine Zurückhaltung auf und gemeinsam mit Frankreich und Großbritannien gelang es, die UN-Resolution durchzubringen, die nun für die Deutschen auf internationalem Parkett vielleicht peinlich werden könnte, denn kein geringerer als der Außenminister wehrt sich vehement gegen eine Beteiligung der Deutschen an möglichen militärischen Maßnahmen zur Durchsetzung dieser Resolution. In der Regierungserklärung vor zwei Tagen sagte er zum Beispiel: O-Ton Guido Westerwelle: Niemand soll sich der Illusion hingeben, es ginge lediglich um das Aufstellen eines Verkehrsschildes. Um ein Flugverbot durchzusetzen, müsste zunächst die libysche Flugabwehr militärisch ausgeschaltet werden. Wir wollen nicht auf eine schiefe Ebene geraten, an deren Ende dann deutsche Soldaten Teil eines Krieges in Libyen sind.
Liminski: Außenminister Guido Westerwelle. - Sind wir nun auf dieser schiefen Ebene, oder können wir uns aus dem Konflikt heraushalten, ohne in der arabischen Welt und in Europa an Ansehen zu verlieren? Haben wir vielleicht eine Chance verpasst? - Zu diesen Fragen begrüße ich den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz. Guten Morgen, Herr Polenz.
Ruprecht Polenz: Guten Morgen, Herr Liminski.
Liminski: Herr Polenz, die Truppen Gaddafis rücken auf Bengasi vor. Man muss das schlimmste, ein Massaker an den Freiheitskämpfern, befürchten. Ohne Hilfe von außen hätten sie keine Chance. Mit unserer, also der Hilfe Europas und Amerikas, hätten sie früher standhalten, vielleicht auf Dauer sogar gewinnen können. Haben wir da eine Chance verpasst?
Polenz: Ich glaube, zunächst einmal ist wichtig, dass der UN-Sicherheitsrat gestern Abend diese Resolution gefasst hat. Die Reaktion in Bengasi war ja große Erleichterung. Hoffentlich ist sie nicht verfrüht, denn die Resolution muss ja jetzt auch noch durchgesetzt werden. Im Sicherheitsrat haben sich neben Deutschland auch Indien, Brasilien, Russland und China enthalten, aber wichtig ist, dass es jetzt eine Ermächtigungsgrundlage gibt für die Länder, die eingreifen wollen, und da ist es entscheidend, dass sich auch zwei Länder der Arabischen Liga wohl nach dem, was man hört, bereit erklärt haben einzugreifen, nämlich Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate.
Liminski: Konnte diese Resolution nicht früher bewerkstelligt werden, etwa wenn die Deutschen auch mitgedrückt hätten?
Polenz: Ich glaube nicht, dass es an Deutschland gelegen hat, dass es so lange gedauert hat. Es war entscheidend, dass Russland und China sie nicht mit einem Veto blockiert haben. Wenn man bei den Verhandlungen nicht dabei ist, weiß man nicht, was da entscheidend war, warum es länger gedauert hat, um welche Absätze in der Resolution besonders gerungen wurde. Es hat sicherlich sehr lange gedauert und ich hoffe, dass es nicht zu spät ist.
Liminski: Frankreich, Großbritannien und die USA wollen die Resolution zügig umsetzen, Deutschland hält sich abseits. Das ist die Vorgabe des Auswärtigen Amtes. Isolieren wir uns damit nicht?
Polenz: Ich glaube, da ist das letzte Wort auch noch nicht gesprochen. Wir werden ja jetzt sowohl in der Europäischen Union - Lady Ashton hat angekündigt, die EU unterstützt die Resolution; sie meint wahrscheinlich in erster Linie die Wirtschaftssanktionen und das Waffenembargo, und das will sie auch mit durchsetzen helfen. Da wird es eine Diskussion geben. Es wird auch eine Diskussion in der NATO geben. Dort gibt es die Türkei, die skeptisch ist gegenüber einem Militäreinsatz, und auch an diesen Diskussionen wird sich Deutschland beteiligen.
Liminski: Kann man damit noch eine Wende bewirken, oder ist es nicht doch schon zu spät, weil man zu lange gewartet und gezögert hat?
Polenz: Ich glaube, es war wichtig zu erreichen - und da weiß ich auch nicht, wann da letztlich signalisiert worden ist, ja, wir sind dabei -, dass sich Länder der Arabischen Liga an diesem Einsatz beteiligen, wenn es denn jetzt zu welchen kommen sollte, denn sonst hätte sich der Westen, wenn er es alleine hätte durchsetzen müssen, dem Vorwurf ausgesetzt, es gibt so viele Konflikte auf der Welt, im Sudan, anderswo, da greift ihr nicht ein, in Libyen greift ihr ein, was ist der Unterschied zwischen Sudan und Libyen, in Libyen gibt es Öl, also euch geht es nur um die Ölinteressen. Und das wäre ein ganz gefährlicher Vorwurf gewesen, gerade auch angesichts der Reformbewegungen jetzt in den Nachbarländern Tunesien, Ägypten. Das hätte negative Auswirkungen haben können. Deshalb war es auch aus meiner Sicht immer sehr entscheidend, dass arabische Länder sich an einer solchen Maßnahme beteiligen. Die Arabische Liga hatte eine Beschlussfassung dazu, die war etwas widersprüchlich, weil sie einerseits zur Einrichtung einer Flugverbotszone aufgerufen hat den Sicherheitsrat, andererseits aber gesagt hat, aber keine internationalen Militärmaßnahmen. Das hat sich jetzt alles geklärt und damit ist auch für Deutschland für die Zukunft die Beurteilungslage, denke ich, etwas anders als im Vorfeld dieser Resolution.
Liminski: Hätte man auch nicht ohne die Araber den Aufständischen helfen können, etwa mit Waffenlieferungen, Boden-Luft-Raketen?
Polenz: Das ist eine Frage, die man berechtigt stellen kann, setzt voraus, dass man die direkten Hilfsmöglichkeiten hatte. Ich weiß nicht, ob jemand sie sozusagen für sich so gesehen hat. Aber auch hier ohne Resolution des Sicherheitsrats eine schwierige Maßnahme. Normalerweise gehen wir davon aus, jetzt etwa als Bundesrepublik Deutschland, keine Waffen in Krisengebiete. Diese Diskussion hatten wir im Übrigen auch schon sehr intensiv damals, als es eine Flugverbotszone über Bosnien gab, und auch da gab es ein Waffenembargo, was verhindert hat, dass den Bosniaken Waffen geliefert wurden. Liminski: Wir haben gejubelt, als die zwei Diktatoren Ben Ali und Mubarak fielen, und zugeschaut, als die Freiheitskämpfer in Libyen Stück für Stück zurückweichen mussten. Hat unsere Glaubwürdigkeit bei der Freiheitsbewegung jetzt nicht doch Schaden gelitten?
Polenz: Ich glaube, man muss unterscheiden. In Tunesien und in Ägypten war es von Anfang an nur ein friedlicher Protest. Die Demonstranten haben keine Gewalt angewandt. Insbesondere in Ägypten war das ja zu beobachten, dass selbst der Einsatz von Schlägertrupps von dem Mubarak-Regime nicht dazu geführt hat, dass gewaltsam geantwortet wurde. In Libyen war es von Anfang an eine kriegerische Auseinandersetzung. Das lag sicherlich auf der einen Seite am Vorgehen der Truppen von Gaddafi, aber es ist sofort auch auf der anderen Seite in einen Bürgerkrieg eskaliert. Insofern kann man die Situation Tunesien, Ägypten, Libyen nur sehr bedingt vergleichen.
Liminski: Nun läuft der Bürgerkrieg in Libyen noch und der Ausgang ist offen, trotz des Flugverbots. Wie will man wieder mit Gaddafi Beziehungen aufnehmen, oder gar ins Geschäft kommen, sollte er die Oberhand behalten?
Polenz: Also hier hat der Sicherheitsrat ja sehr klar gesagt: Gaddafi muss weg. Das hat die Europäische Union gesagt. Und zweitens hat man gesagt, er muss dem Internationalen Strafgerichtshof überstellt werden. Also insofern ist der Zug, mit Gaddafi noch irgendwelche Regelungen zu treffen, die zu einem anderen Ergebnis führen, praktisch abgefahren. Ob das - und insofern war die Haltung immer etwas widersprüchlich, denn natürlich, wenn man sagt, Gaddafi muss weg, Gaddafi muss zum Internationalen Strafgerichtshof, dann ist das Mittel, das allein mit Sanktionen zu versuchen, sicherlich nur sehr mittel- bis längerfristig allenfalls geeignet, dieses Ziel zu erreichen. Jetzt kann es möglicherweise schneller gehen.
Liminski: Ist die Demokratie in Nordafrika für Sie jetzt nur verschoben durch diese Ereignisse in Libyen, oder gibt es doch noch eine Chance?
Polenz: Ich glaube, es steht in allen Ländern noch auf der Kippe. Tunesien ist vielleicht am weitesten bei den Schritten zu einer Reform, da wird über eine neue Verfassung abgestimmt, es wird Wahlen geben. Die Abstimmung über die Verfassung wird es zwar auch in Ägypten geben, aber nach dem, was ich höre, sind die säkularen Oppositionsgruppen gegen diese Verfassungsänderung, die Muslimbrüder sind dafür und die Vertreter des alten Regimes auch. Also da ist noch viel Streit und die Frage, ob es in den Ländern Tunesien, Ägypten einen guten Ausgang im Sinne von mehr Partizipation, mehr Rechtsstaat, mehr verantwortlicher Regierung gibt, das wird sich noch herausstellen. Aber da haben wir auch Möglichkeiten, durch konkrete Hilfe auf diesem Weg begleitend tätig zu sein.
Liminski: Libyen und Nordafrika vor der Entscheidung. Das war hier im Deutschlandfunk der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz. Besten Dank für das Gespräch, Herr Polenz.
Polenz: Bitte schön, Herr Liminski.