Ruprecht Polenz im Gespräch im DeutschlandRadio Kultur, am 17. Januar 2013, mit Nana Brink
  
  Das UN-Flüchtlingshilfswerk schätzt, dass die Zahl der Bürgerkriegsflüchtlinge in den Nachbarländern Syriens auf über eine Million steigen wird. Weil die Aufnahmekapazitäten vor Ort bald erschöpft seien, müsse die Europäische Union handeln, sagt der CDU-Politiker Ruprecht Polenz. Er fordert zudem, dass Deutschland die Familienzusammenführung erleichtert.
  
  Nana Brink: Sie haben bestimmt die  letzten Fernsehbilder im Kopf von den syrischen Flüchtlingen, die zwar  der Gewalt in ihrem Land entkommen sind, nun aber wie jene rund 60.000  im jordanischen Lager Saatari unter katastrophalen Bedingungen leben  müssen. Der Winter hat zugeschlagen, die Zelte sind zerstört, oft gibt  es kein heizbares Material, Essen ist rar und die Kinder rennen in  Plastiksandalen durch die Eispfützen.
  
  Und am Telefon ist jetzt  Ruprecht Polenz von der CDU, er ist Vorsitzender des Auswärtigen  Ausschusses des Bundestages. Einen schönen guten Morgen, Herr Polenz!
  
  Ruprecht Polenz: Einen schönen guten Morgen!
  
  Brink: Ist Deutschland bereit, Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen?
Polenz: Wir haben ja in dem 
Bericht  gehört, dass es vereinzelt Menschen gelungen ist, in Deutschland Asyl  zu beantragen. Das ist eine Zahl, die liegt irgendwo zwischen 3000 und  5000 Menschen, die das auf diese Weise geschafft haben. Angesichts der  großen Zahlen, über die Sie gesprochen haben, und der Erwartungen des  UN-Flüchtlingshilfswerks, das ja bis Mitte des Jahres mit über einer  Million syrischer Flüchtlinge insgesamt rechnet, glaube ich, werden wir  diese Politik überprüfen müssen.    
Brink:  Bundesinnenminister Friedrich von der CSU spricht ja von illegalen  Migranten. Das spricht ja überhaupt nicht dafür, dass er Flüchtlinge  aufnehmen will!    
Polenz: Wir  müssen, glaube ich, auch mit der Terminologie aufpassen. Wir haben in  Syrien eine Bürgerkriegssituation und ich sehe diese Menschen, die sich  in die Nachbarländer in Sicherheit bringen, als Kriegsflüchtlinge. Und  wir sind ja als Bundesrepublik Deutschland auch mit der internationalen  Gemeinschaft dabei, den Nachbarländern zu helfen. Insgesamt sind eine  Milliarde US-Dollar bereitgestellt, Deutschland ist mit über 100  Millionen US-Dollar der zweitgrößte Geber bei dieser Aktion nach den  USA.   
  Aber trotzdem werden wir uns auch darüber Gedanken machen  müssen in der Europäischen Union, auch in Deutschland, ob bei einem  weiteren Anschwellen des Flüchtlingsstroms nicht die Aufnahmekapazitäten  der Nachbarländer wirklich erschöpft sind und auch zur Entlastung  europäische Länder in der ein oder anderen Weise bereit sein müssen,  Flüchtlinge aufzunehmen. Als Flüchtlinge, nicht als Asylbewerber, nicht  als Touristen, sondern als Flüchtlinge.    
Brink: Aber das sagen Sie, aber es gibt ja offensichtlich keinen Konsens in der Regierungskoalition darüber!    
Polenz:  Na ja, Sie sprechen jetzt ja auch mit mir, und ich habe diese Position  seit Längerem. Ich habe schon vor längerer Zeit einen Vorschlag gemacht,  auf den ich durch meine ganz normale Wahlkreisarbeit gekommen bin. Mein  Wahlkreis ist die Stadt Münster und ich habe in meiner Sprechstunde  inzwischen häufiger Syrer gehabt, die in Münster leben, als Ärzte, als  Anwälte, und die mich gefragt haben, ist es denn möglich, meine  Verwandten, meinen Bruder, meine Schwester, meine Eltern haben sich in  die Türkei oder nach Jordanien in Sicherheit gebracht, ich würde sie  gerne nach Deutschland holen, ich kann hier für sie sorgen, unsere  Wohnung ist groß genug, wir haben auch genug Geld.   
  Und ich  finde, solchen Fällen, in solchen Fällen sollten wir die  Familienzusammenführung mit den Flüchtlingen erleichtern und das möglich  machen. Wir haben in Deutschland etwa 50.000 Syrer, die bei uns legal  leben, hier arbeiten, hier ein Aufenthaltsrecht haben, und ich gehe  davon aus, dass noch eine größere Zahl von ihnen mit ähnlichen Fragen zu  uns kommen würde, wie ich das in meiner Sprechstunde erlebt habe.    
Brink:  Eine andere Sache ist, dass immer mehr - das haben wir auch in dem  Beitrag gehört - Syrer versuchen, jetzt auch diesen lebensgefährlichen  Weg über das Mittelmeer zu suchen, also, auch weil die Grenze zwischen  der Türkei und Griechenland nicht zuletzt auch auf Betreiben  Deutschlands immer schwerer zu passieren ist. Wie wollen Sie das  verhindern?    
Polenz:  Ja, ich glaube, wir werden und die Europäische Union wird das nur dann  verhindern können, wenn es legale Wege gibt, zu uns zu kommen, wenn man  die Tür auch ein Stück öffnet. Wir haben ja bei großen humanitären  Katastrophen infolge von Krieg und Bürgerkrieg in den 90er-Jahren, als  es in dem ehemaligen Jugoslawien diese Bürgerkriegssituation gab, auch  ähnlich gehandelt. Und wenn wir uns jetzt mal die deutschen Erfahrungen  damit anschauen, damals sind viele Menschen nach Deutschland gekommen -  es war natürlich auch noch näher in unserer Nachbarschaft, das ist  richtig -, aber die allermeisten sind ja dann auch nach Ende der  Kriegshandlungen in ihr Heimatland zurückgekehrt. Und davon müssten wir  und würden wir ja bei Syrien auch ausgehen, dass nach dem Ende der  Bürgerkriegshandlungen die Menschen in ihre Heimatländer zurückkehren.  Es geht um Flüchtlingsaufnahme, nicht um Asyl. Und so müsste die  Europäische Union das Thema behandeln.    
Brink:  Aber genau da müsste man ja eigentlich einhaken: Gerade weil es um  Flüchtlinge geht, die werden ja, wenn sie über das Mittelmeer kommen,  aufgegriffen, sie müssen dann innerhalb von 30 Tagen offiziell  Griechenland verlassen, am besten in die Türkei, aber die will sie auch  nicht. Wie lösen Sie denn dieses Dilemma, es muss doch da eine  europäische Lösung geben?    
Polenz:  Ja, das ist richtig. Und bisher hat man gehofft, erstens - und das  hoffen wir natürlich weiter -, dass die Fluchtursache, nämlich die  Bürgerkriegssituation, das Vorgehen der syrischen Regierung gegen die  eigene Bevölkerung, das Zwischen-die-Fronten-geraten-Können, dass das  möglichst schnell aufhört durch eine Waffenruhe, durch eine  Übergangsregierung und durch einen Transitionsprozess in Syrien, der zu  dem Ergebnis führt, dass Syrien eine Verfassung, eine Regierung bekommt,  so wie sie die Menschen wollen und nach der sie dann in Syrien ihre  eigenen Geschicke gestalten können.   
  Das ist ja das Ziel, dann  würde ja die Flucht auch aufhören. Und da war sicherlich die Hoffnung,  dass dieses Ziel auch eher erreicht werden könnte, und bis dahin seien  die Nachbarländer, denen wir sehr dabei helfen, in der Lage, die  Flüchtlinge aufzunehmen. Und in der Tat kann man ja mit dem gleichen  Geld in der unmittelbaren Nachbarschaft wesentlich mehr Menschen helfen,  als wenn erst weite Reisen angetreten werden müssen und die Menschen in  den Norden Europas kommen.    
Brink:  Lassen Sie mich da noch mal einhaken, denn die Zustände in den  jordanischen Flüchtlingslagern wie in Saatari sind ja unhaltbar,  offensichtlich ist ja die jordanische Regierung auch überfordert mit  dieser schieren Anzahl der Flüchtlinge. Warum sehen wir diese Bilder  immer noch, von den Kindern, die durch diese Pfützen rennen, warum geht  die Hilfe nicht schneller?    
Polenz:  Das kann ich nicht im Einzelnen beantworten. Ich weiß, dass gerade  Jordanien auch von Deutschland, vom Technischen Hilfswerk, von deutschen  Nichtregierungsorganisationen, dem Roten Kreuz unterstützt wird. Das  wiederum wird auch staatlich mit finanziert, damit diese Hilfe geleistet  werden kann. Aber die Zahlen sind einfach so gewaltig, dass man nicht  hinterherkommt.   
  Jordanien baut ja auch weitere Flüchtlingslager,  in der Türkei haben wir 14 Camps. Wenn Sie allein sich die Zahl mal von  Jordanien anschauen: Nach Jordanien sind 153.000 Menschen aus Syrien  geflohen. Die meisten sind übrigens im Libanon, 195.000. Es liegt auf  der Hand, dass in einer doch vergleichsweise kurzen Zeit von nicht mal  einem Jahr kein Land in der Lage ist, so ohne Weiteres eine solch große  Flüchtlingszahl so in Lagern unterzubringen, dass man sagen könnte, nach  unserem Standard …     
Brink: Genau  darüber, Herr Polenz, genau darüber, Herr Polenz - ich muss Sie an  dieser Stelle etwas stoppen, weil unsere "Nachrichten" gleich kommen -,  genau an dieser Stelle werden heute auch wahrscheinlich die  EU-Innenminister darüber diskutieren. Herzlichen Dank, Ruprecht Polenz, …      
Polenz: Bitte schön!    
Brink: CDU-Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages!    
Polenz: Bitteschön!