Polenz: Deutschland muss das Waffenembargo gegen Gadhafi mit durchsetzen
Interview mit Jörg Lau in der Zeit online vom 30. März 2011
DIE ZEIT: Herr Polenz, das Flugverbot für Gadhafis Truppen ist in Kraft. Hätte Deutschland für die Intervention stimmen sollen?
Ruprecht Polenz: Ich habe immer gesagt, dass zwei Voraussetzungen für einen Einsatz erfüllt sein müssen: eine Resolution des Sicherheitsrats als völkerrechtliche Grundlage und zweitens eine sichtbare Beteiligung von Staaten der Region. Das letztere um zu vermeiden, dass der Eindruck entsteht, es gehe dem Westen ums Öl und nicht um humanitäre Gründe.
Deutschland hätte zustimmen sollen, als beides gegeben war. Das hätte nicht zwangsläufig bedeutet, sich auch militärisch zu beteiligen. Wir sind durch unser Engagement in Afghanistan, auf dem Balkan und am Horn von Afrika schon an der Grenze unserer Möglichkeiten. Eine Zustimmung hätte schon deshalb nicht automatisch die Verstrickung in einen weiteren Konflikt bedeutet.
ZEIT: Eben das aber war die Position des Außenministers und der Kanzlerin: Weil man deutsche Soldaten in Libyen ausschließen wollte, habe man sich nur enthalten können.
Polenz: Da stimme ich mit der Auffassung der Bundesregierung nicht überein. Bodentruppen wären durch die Resolution 1973 ohnehin nicht gedeckt. Russland und China würden sofort von ihrem Vetorecht Gebrauch machen, um deren Entsendung zu verhindern. Auch Obama hat deutlich gemacht, dass die USA auf keinen Fall Bodentruppen einsetzen werden. Wer dennoch berechtigte Sorgen vor Weiterungen einer solchen Mission hat, kann sich auch ausklinken, wenn es so weit ist. Nun ist aber der Eindruck entstanden – wenn auch unbeabsichtigt – dass Deutschland nicht zu seinen Verbündeten steht. Das hätte man vermeiden müssen.
ZEIT: Hat Deutschland sich isoliert?
Polenz: Nein, so weit ist es noch nicht. Wir können dem Eindruck entgegensteuern, wenn wir jetzt in der Nato in den Stäben weiter mitarbeiten, die die Flugverbotszone und die anderen militärischen Aktionen in Libyen planen. Es wird auch über die Frage zu sprechen sein, ob sich Deutschland nicht doch an der Überwachung des Waffenembargos im Mittelmeer beteiligt.
ZEIT: Aber die Bundesregierung hat doch soeben die dazu fähigen Schiffe aus der Nato-Mission Active Endeavour im Mittelmeer zurückgezogen?
Polenz: Das war nicht anders möglich, denn deren Mandat war für den Antiterrorkampf ausgelegt. Aber der Verteidigungsminister scheint mir offen dafür zu sein, dass die Deutschen sich an der seeseitigen Kontrolle des Waffenembargos beteiligen. Ich fände das richtig. Deutschland hat in der Libyen-Resolution Nummer 1970 im UN Sicherheitsrat einem solchen Embargo zugestimmt, da läge es in der Konsequenz, auch an der Durchsetzung dieser Maßnahme teilzunehmen. Es ergibt keinen Sinn, einem Embargo zuzustimmen, dann aber seine Überwachung abzulehnen. Darüber müssen wir jetzt diskutieren.
ZEIT: Außenminister Westerwelle verteidigt die Enthaltung im Libyenkonflikt als Überzeugungstat, die im vollen Bewußtsein der bündnispolitischen Konsequenzen erfolgt sei. Ein deutscher Sonderweg ohne die traditionellen westlichen Verbündeten als neue Doktrin, ausgerechnet unter Schwarz-Gelb?
Polenz: Es gehört zu den Prinzipien der deutschen Außenpolitik, eine enge Zusammenarbeit mit Frankreich innerhalb der europäischen Union zu pflegen. Und die deutsche Außenpolitik muss in eine gemeinsame Außenpolitik der EU eingebettet bleiben. Sicherheitspolitisch sind wir Mitglieder der Nato mit Rechten und Pflichten. Wir müssen darum nicht bei jedem Einsatz an vorderster Front dabei sein. Man kann seinen Beitrag auch an anderer Stelle bringen. Aber wir sollten schon darauf achten, dass wir nicht wie jene Länder wahrgenommen werden, mit denen wir jetzt gemeinsam gestimmt haben – Russland, China oder Indien.
ZEIT: Über Frankreich wird in Berlin derzeit sehr schlecht geredet. Sarkozy habe nur aus Profilierungssucht gehandelt.
Polenz: Frankreich will sicher auch in Libyen nachholen, was es in Tunesien versäumt hat: Empathie für die arabische Revolte. Als Sarkozy vorpreschte, waren die Bedingungen für eine erfolgreiche Intervention nur auf dem Papier erfüllt. Eine sichtbare Beteiligung der Araber haben wir bis heute nicht. Das ist wichtig, damit es nachher nicht heißt, der Westen mische sich imperialistisch ein. Al-Dschasira muss das filmen können. Aber wir sollten zurückhaltend sein mit Kritik an den Franzosen. Deren schnelles Eingreifen hat in Bengasi Schlimmstes verhütet.
ZEIT: Die Franzosen hingegen sind entsetzt, dass die Deutschen durch ihr Abstimmungsverhalten dokumentiert haben, dass sie einem Massaker in Bengasi zugeschaut hätten.
Polenz: Das ist ungerecht. Wir hätten ohnehin nur begrenzte Kapazitäten gehabt, um in Libyen mitzutun. Zum einen wären es unsere Awacs-Überwachungsflugzeuge gewesen, die zu Feuerleitstellen über dem Mittelmeer geworden wären. Weil das nach der deutschen Enthaltung nicht möglich ist, werden die jetzt über Afghanistan die Nato entlasten. Zweitens wären die deutschen ECR-Tornados gefordert worden, die besondere Fähigkeiten haben, feindliche Radaranlagen auszuschalten. Aber das war’s denn auch schon.
ZEIT: Nun hat die Nato das Kommando über die Libyen-Intervention übernommen – und die Deutschen stehen abseits?
Polenz: Nein. Das gibt den Deutschen die Möglichkeit, durch die Mitarbeit in den Nato-Stäben zu zeigen, dass unsere Enthaltung keine Abkehr vom Bündnis bedeutet.
ZEIT: Dürfen wir denn da konsequenter Weise mitmachen, nachdem wir der Resolution unsere Zustimmung verweigert haben?
Polenz: Wir brauchen in Deutschland kein Mandat des Bundestages, wenn ein ohnehin schon bestehender Stab eine solche Aufgabe erfüllt. In dem Moment, wo für eine spezielle Aufgabe neue Stäbe zusammengestellt werden, brauchen wir ein neues Mandat des Bundestages. Und die Bundesregierung sollte den Nato-Partnern signalisieren, dass sie dies auch bekommen würde. Deutschland darf sich jetzt nicht wegen der Mandatsfrage einen Knoten ins Bein machen.
ZEIT: Kritiker der Intervention sagen, die Bombardierung in Libyen gehe längst über das hinaus, was in der UN-Resolution vorgesehen ist, nämlich Schutz der Zivilbevölkerung. De facto agierten die westlichen Piloten als Luftwaffe der Rebellen, die jenen den Weg nach Tripoli freischießt.
Polenz: Das Mandat der Uno-Resolution geht sehr weit. Es schließt eigentlich nur Besatzungstruppen am Boden aus. Völkerrechtlich hat die Resolution erstmals das Prinzip der Schutzverantwortung für die Zivilbevölkerung beherzigt, die „responsibility to protect“. Das ist ein historischer Schritt, der noch nicht genügend gewürdigt wird. Aber man muss doch vor allem die politische Bedeutung der Resolution würdigen. Denn was ist in der arabischen Welt zwischen Oktober 2010 und März 2011 passiert? Die Araber haben keine Angst mehr. Wenn Gadhafi sich mit brutaler militärischer Gewalt durchgesetzt hätte, dann wäre die Angst wiedergekommen. Darum steht hier politisch mehr auf dem Spiel als nur Libyen. Der Militäreinsatz hat jetzt schon dazu geführt, dass Gadhafi sich in Libyen nicht mehr durchsetzen kann. Und damit ist ein ganz wesentliches Ziel auch hinsichtlich der Nachbarländer erreicht: keine Wiederkehr der Angst. Wie lange der Diktator sich jetzt noch halten kann, hängt an der Entwicklung der Kräfteverhältnisse im Land.
ZEIT: Also geht es doch um Regimewechsel?
Polenz: Das ist eine Frage, die die Libyer am Ende unter sich zu klären haben werden.
ZEIT: Wie lange kann der Einsatz noch dauern? Obama hat „eher Tage als Wochen“ in Aussicht gestellt.
Polenz: Das kann auch so kommen: Wenn Gadhafis Truppen sich nicht mehr bewegen, muss man auch nicht mehr eingreifen. Dann ist es ein Zustand intensiver Beobachtung und Kontrolle. Ziel ist, dass die Libyer selber entscheiden können, wie es weitergehen soll.
ZEIT: Macht sich, wer so interveniert, nicht zur Geisel der Aufständischen? Was, wenn die nun Vergeltung wollen und selber Massaker begehen?
Polenz: Das ist eine Gefahr. Aber wer Gadhafis Truppen hindert gegen Zivilisten vorzugehen, reduziert auch Anlässe für Vergeltung. Wird man das hehre Prinzip der Schutzverantwortung – „responsibility to protect“ – nun immer und überall durchsetzen können? Sicher nicht. Aber es ist ein Fortschritt deutlich zu machen, dass staatliche Souveränität, wie wir sie seit 1648 verstanden haben, nicht beinhaltet, dass ein Diktator mit seinen Bürgern machen kann, was er will.