Ruprecht Polenz

Libyen: "Deutschland hat sich nicht isoliert"

Außenminister Guido Westerwelle hat den Übergangsrat der Aufständischen als "legitime Vertretung des libyschen Volkes" bezeichnet. Was das bedeutet, sagt Ruprecht Polenz im  Interview mit der Badischen Zeitung, am 15. Juni 2011. Ruprecht Polenz ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag.

BZ: Warum hat Guido Westerwelle erst jetzt den Übergangsrat anerkannt?

Polenz:
Die Bundesregierung hat seit einiger Zeit ein Verbindungsbüro in Bengasi. Kontakte zu den Aufständischen gab es also schon. Mit dem Besuch des Außenministers erfahren diese Kontakte eine politische Aufwertung. Dieses Signal war richtig. Damit ist allerdings noch keine diplomatische Anerkennung verbunden.
BZ: Die Bundesregierung hat bisher argumentiert, dass auch der Übergangsrat nicht nur mit lupenreinen Demokraten bestückt sei. Warum wird diese Haltung revidiert?

Polenz:
Der Übergangsrat hat einen Fahrplan für die Zeit nach dem Sturz Gaddafis verabschiedet. Darin steht, wie das Land regiert und die Verfassung geändert werden soll. Dieser Fahrplan ist überzeugend. Dies ist aber kein Blankoscheck für jeden Politiker, der sich diesem Rat angeschlossen hat. Wir müssen abwarten, wie ernst es die Reformkräfte mit ihrem Streben nach Demokratie und guter Regierungsführung meinen.

BZ:
Zweifel sind also erlaubt…

Polenz:
Ja. Diese Skepsis darf aber nicht davon abhalten, hilfreich zu sein, wo immer man kann.

BZ:
Das Argument, man wisse nicht, mit wem man es bei den Aufständischen zu tun habe, war Teil der Begründung für die Enthaltung Deutschlands im UN-Sicherheitsrat.

Polenz:
Inzwischen ist aber Zeit vergangen und wir sehen die Dinge etwas klarer. Außerdem hat Deutschland deutlich gemacht, dass die Enthaltung keinesfalls Neutralität bedeutet. Auch wir wollen, dass Diktator Muammar al-Gaddafi geht. Dass wir uns beim Wiederaufbau und beim Weg hin zur Demokratie engagieren werden, steht außer Frage.

BZ: War die Anerkennung ein Schritt aus der Isolation im Bündnis?

Polenz:
Deutschland hat sich nicht isoliert. Wir sind Partner geblieben. In der Nato arbeiten deutsche Offiziere in den Stäben mit, die die Nato-Operationen in Libyen planen und leiten. Deutschland ist von Beginn an Mitglied in der Kontaktgruppe für Libyen. Wir haben uns nie verabschiedet, auch wenn wir uns an den Kampfoperationen nicht beteiligen.

BZ:
Würden Sie sich mit einer Zustimmung im Sicherheitsrat jetzt wohler fühlen?

Polenz:
Ich hatte eine andere Meinung als die Bundesregierung. Daran hat sich nichts geändert. Aber das ist heute nicht mehr Gegenstand der Diskussion.

BZ:
Wird der nächste Schritt sein, deutsche Soldaten zur Stabilisierung Libyens nach einem Sturz Gaddafis zu entsenden?

Polenz:
Ob es eine neue Resolution des Sicherheitsrates für die Zeit nach Gaddafi geben wird, ist völlig offen. Deshalb halte ich es für verfrüht, in welche Richtung auch immer zu spekulieren.

BZ:
In Syrien ist die Lage ähnlich wie in Libyen. Was tun?

Polenz:
Es ist ein Skandal, dass der Sicherheitsrat sich mit der Lage in Syrien nicht befasst und das brutale Vorgehen von Präsident Assad nicht verurteilt. Die Verantwortung dafür tragen Russland und China, die das blockieren…

BZ:
…und mit denen Deutschland sich in der Libyen-Frage gemeinsam
enthalten hat.

Polenz:
Anders als Deutschland engagieren sich diese Länder nicht in Libyen. Dass wir uns bei der Abstimmung gemeinsam enthalten haben, war eher Zufall.

BZ:
Warum nicht auch gegen Syrien Kampfeinsätze fliegen?

Polenz:
Eine Resolution dafür wird es allein schon wegen China und Russland nicht geben. Es wäre außerdem fraglich, ob wegen des Libyen-Engagements überhaupt Länder bereit wären, die militärischen Mittel für einen solchen Einsatz bereitzustellen. Assad nutzt das aus. Allerdings hat in Syrien die Opposition auch nicht um einen Einsatz gebeten.

BZ:
Die Türkei ist Nachbarstaat Syriens. Was bedeutet das mit Blick auf das dortige Wahlergebnis am Wochenende?

Polenz:
Wir müssen die Türkei, die sich am Wochenende bei den Wahlen als Stabilitätsanker präsentiert hat, unbedingt einbeziehen, wenn es darum geht, den internationalen Druck auf Syrien zu erhöhen. Wir müssen deshalb der Türkei helfen, das dramatische Flüchtlingsproblem an der syrischen Grenze zu lösen. Die Türkei braucht die Unterstützung von Deutschland und der EU, diese humanitäre Herausforderung zu bewältigen. Die EU sollte sich außerdem besser beim gemeinsamen Vorgehen in der Region mit unserem wichtigsten muslimischen Verbündeten abstimmen.

BZ:
Taugt der Einfluss der Türkei in der Region als Grund für den EU-Beitritt?

Polenz:
Gewiss. Die Sorge über nationalistische oder islamistische Tendenzen in der Türkei mag ja nicht unberechtigt sein. Aber wenn man dem begegnen will, muss man sich aktiv und freundschaftlich um die Türkei bemühen. Man darf jedenfalls nicht mit verschränkten Armen zusehen.

BZ:
Ihre Partei hat beim Thema EU-Beitritt eine andere Meinung...

Polenz:
Ich halte meine Position nicht nur weiterhin für richtig. Durch die Entwicklung in der arabischen Welt fühle ich mich zusätzlich bestätigt. Wer in der EU Stabilität in der Region will, muss sich um die Türkei als Schlüsselland zur muslimischen Welt bemühen.

Das Orginalinterview können hier nachlesen.