Ruprecht Polenz

"Er wollte keine neue Militärdoktrin für Deutschland verkünden"

CDU-Politiker Polenz zu Äußerungen von Bundespräsident Köhler zum Afghanistan-Einsatz im Gespräch mit Tobias Armbrüster (Deutschlandfunk)

Nach den Äußerungen von Bundespräsident Horst Köhler zum Afghanistan-Einsatz hat der CDU-Politiker Ruprecht Polenz klargestellt, dass das Mandat keinen wirtschaftlichen Hintergrund habe. In Afghanistan gehe es um die regionale und internationale Sicherheit, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages im Deutschlandfunk.

Das Interesse Deutschlands an freien Handelswegen stehe aber in keinem Zusammenhang mit Militäreinsätzen. Hier habe sich der Bundespräsident missverständlich ausgedrückt. Köhler hatte am Samstag im Deutschlandradio Kultur gesagt, dass Deutschland zur Wahrung seiner Interessen im Zweifel auch zu militärischen Mitteln greifen müsse. Als Beispiel für diese Interessen nannte er "freie Handelswege".

Tobias Armbrüster: Bundespräsident Horst Köhler war in der vergangenen Woche für wenige Stunden in Afghanistan, ein unangekündigter Besuch bei den Soldaten der Bundeswehr in Masar-e Scharif. Auf dem Rückflug nach Deutschland hat Horst Köhler meinem Kollegen Christopher Ricke ein Interview gegeben - ein Interview, zu dem wir anschließend eine Menge E-Mails von Hörern bekommen haben. Auf die Frage, ob wir einen neuen politischen Diskurs in der Afghanistan-Debatte brauchen, sagte Horst Köhler unter anderem folgendes:

O-Ton Horst Köhler: Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen, negativ bei uns, durch Handel Arbeitsplätze und Einkommen zu sichern.
O-Ton Bundespräsident Köhler zum Nachhören (Audio)

Armbrüster: So weit Horst Köhler vergangene Woche im Flugzeug auf dem Rückflug von Afghanistan im Interview mit unserem Programm. - Wir haben daraufhin wie bereits erwähnt zahlreiche Reaktionen von Hörern bekommen. Viele waren überrascht bis empört darüber, dass der Bundespräsident eine Verbindung sieht zwischen diesem Bundeswehreinsatz in Afghanistan und Handels, Arbeitsplätzen und Einkommen in Deutschland. Hier ein paar E-Mails, die in den vergangenen Tagen bei uns eingegangen sind.

"Der Bundespräsident, der ja die Aufgabe hat, jedes Gesetz anhand der Verfassung zu überprüfen, kümmert sich offenbar bei Bundeswehreinsätzen nicht um das Grundgesetz. Die Bundeswehr wird von einer Verteidigungs- zu einer Interventionsarmee."

"Ist ja wirklich harter Tobak, was der Köhler da loslässt. Wir bomben uns zum Exportweltmeister."

"Dass sich der Bundespräsident für unsere Soldaten einsetzt, ist in Ordnung und zu erwarten. Dass der Bundespräsident aber en passant eine Ausweitung der Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr verkündet, vor zehn Jahren wäre bei einer solchen Formulierung ein Aufschrei durchs Land gegangen."

Armbrüster: Einige Reaktionen von Hörern auf unser Interview mit dem Bundespräsidenten. - Was also wird genau verteidigt am Hindukusch, deutsche Sicherheit, oder deutsche Handelsinteressen? Darüber wollen wir sprechen mit Ruprecht Polenz (CDU). Er ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag. Guten Morgen, Herr Polenz.

Ruprecht Polenz: Guten Morgen, Herr Armbrüster.

Armbrüster: Wenn Horst Köhler von Arbeitsplätzen und Handelsrouten spricht, die in Afghanistan verteidigt werden, ist das dann die offizielle Linie der deutschen Außenpolitik?

Polenz: Ich glaube, der Bundespräsident hat sich hier etwas missverständlich ausgedrückt. Er wollte keine neue Militärdoktrin für Deutschland verkünden, sondern nur deutlich machen, dass Deutschland mit seinem Einsatz in Afghanistan einen Beitrag zur internationalen Sicherheit und Stabilität leistet, und der Hinweis darauf, dass natürlich von der Stabilität Afghanistans auch die Stabilität in der Region - denken Sie daran, dass Länder wie Pakistan an Afghanistan angrenzen -, dass das davon abhängt und dass wir eben ein Interesse daran haben müssen, dass solche Instabilitäten möglichst nicht entstehen, und dass wir davon natürlich auch in einer globalisierten Welt betroffen wären, auch wenn das scheinbar weit entfernt ist.

Armbrüster: Sie sagen jetzt, er habe sich etwas unmissverständlich ausgedrückt.

Polenz: Missverständlich ausgedrückt!

Armbrüster: Missverständlich ausgedrückt. Dafür spricht er aber sehr ausführlich über dieses Thema. Was meint er denn zum Beispiel, wenn er im Zusammenhang mit Afghanistan davon spricht, dass wir freie Handelswege wahren müssen?

Polenz: Nein! Ich würde den Zusammenhang mit Afghanistan hier nicht herstellen. Aber natürlich haben wir ein Interesse an freien Handelswegen, wie die Welt insgesamt. Sie sehen das ja beispielsweise am internationalen Einsatz gegen Piraterie am Horn von Afrika. Allerdings ist hier selbstverständlich die Voraussetzung ein klares, völkerrechtliches Mandat und ein multilaterales Vorgehen. Das ist für Deutschland die Voraussetzung.

Armbrüster: Können Sie denn verstehen, dass wir dazu jetzt jede Menge Hörerpost bekommen?

Polenz: Das kann ich verstehen. Das liegt an der etwas missverständlichen Formulierung.

Armbrüster: Laut Mandat soll die Bundeswehr in Afghanistan helfen, das Land zu stabilisieren. Von wirtschaftlichen Interessen der Bundesrepublik ist dort nicht die Rede. Geht Horst Köhler da etwas über das Mandat hinaus?

Polenz: Nun, ich glaube, er hat zwei Dinge jetzt in einem Interview angesprochen, auf die wir uns natürlich beide konzentrieren müssen, die aber jetzt speziell, was Afghanistan anbetrifft, nicht miteinander zusammenhängen. Selbstverständlich haben wir ein Interesse an freiem Zugang zu den Rohstoffen. Unsere Industrie hängt vielfach von seltenen Rohstoffen ab, die es anderswo auf der Welt gibt. Aber selbstverständlich ist das nicht eine Sache, die wir mit einer Art Kanonenpolitik sichern könnten. Das meint auch der Bundespräsident nicht, sondern er sagt, die Außenpolitik muss sich auch darum kümmern, und das tut sie auch, indem etwa im Wege der WTO-Abkommen oder bilateraler Abkommen die Bundesregierung, auch die Europäische Union, Wert darauf legt, dass die Unternehmen freien Zugang auf den Märkten zu solchen Rohstoffen haben. Aber das hat nichts mit Militäreinsätzen zu tun, und das sollte man auch auseinanderhalten.

Armbrüster: Aber Horst Köhler hat das Ganze ja im Zusammenhang mit dem Bundeswehreinsatz in Afghanistan gesagt!

Polenz: Ja, und die Reaktion ihrer Zuhörerinnen und Zuhörer zeigt ja, dass das keine besonders glückliche Formulierung war, um es vorsichtig auszudrücken, und deshalb möchte ich hier noch mal die Position deutlich machen, die der Deutsche Bundestag in dieser Frage einnimmt. Das Mandat, was wir auf Antrag der Bundesregierung beschlossen haben, ist ein Mandat zur Stabilisierung Afghanistans, und der Hauptgrund dafür ist regionale und internationale Sicherheit, auch deutsche Sicherheitsinteressen, aber nicht deutsche Handels- und Rohstoffinteressen.

Armbrüster: Das heißt, diese Interessen würden Sie für Deutschland bei diesem Einsatz in Afghanistan ausschließen?

Polenz: Die sehe ich dort überhaupt nicht. Die haben nie eine Rolle in den Diskussionen des Deutschen Bundestages gespielt. Ich hatte jetzt zwar - das will ich gerne kurz berichten - ein Gespräch mit dem afghanischen Bergbauminister, der in Deutschland war und der geschildert hat, dass Afghanistan auch ein rohstoffreiches Land ist, und er wollte damit erklären, dass Afghanistan doch eine gute Zukunftsperspektive habe. Für mich waren Teile dieser Informationen durchaus neu und ich bin auch erst mal etwas erschrocken, weil ich ja weiß, wozu der Rohstoffreichtum in manchen Ländern in Subsahara Afrika führt, wenn Sie etwa an den Kongo denken, der ja eher unter seinem Rohstoffreichtum leidet, weil Banden ihn ausbeuten, weil die Nachbarn neidisch darauf sind und teilweise intervenieren. Also ich sehe eher dadurch eine Komplikation in Afghanistan. Aber Deutschland verfolgt diese Interessen nicht als Grund für den Bundeswehreinsatz.

Armbrüster: Das heißt, wir können hier festhalten: Da gibt es eine deutliche Differenz zwischen Ihnen, Herr Polenz, dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, und dem Bundespräsidenten?

Polenz: Sie wissen, dass man den Bundespräsidenten in seiner Amtsführung möglichst nicht kritisiert, aber in der Klarstellung, denke ich, müssen wir hier schon festhalten: Der Bundeswehreinsatz dient der Sicherheit. Das ist der Grund, weshalb wir in Afghanistan sind. Niemand ist auf die Idee gekommen im Jahre 2001, als über diese Fragen beraten wurde, an so etwas zu denken. Es ging um die Solidarität mit den USA und im Kampf gegen Al Kaida nach dem 11. September die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Jetzt bauen wir das Land wieder auf.

Also: die Rohstoffsicherung erfolgt auf friedlichem Weg, mit Verträgen, mit dem Offenhalten der Handelswege, und wenn zur Sicherung der Freiheit der Handelswege militärische Macht notwendig ist, weil es etwa Piraten gibt, dann beteiligt sich die Bundeswehr auf der Grundlage eines klaren völkerrechtlichen Mandats, wo dieses Ziel dann aber auch ausgesprochen wird.

Armbrüster: Müssen wir uns also daran gewöhnen, dass die Bundeswehr in den kommenden Jahren immer weniger eine Verteidigungsarmee sein wird, wie es ja eigentlich im Grundgesetz vorgeschrieben ist?

Polenz: Ich glaube, dass sich die Bedrohungslagen verändert haben nach dem Ende des Kalten Krieges. Wir haben nicht mehr glücklicherweise die Sorge, dass wir unmittelbar an unseren Landesgrenzen durch staatliche Macht anderer bedroht sind. Die Bedrohungen sind heute in der globalisierten Welt andere, mit denen müssen wir uns auseinandersetzen. Dazu brauchen wir gelegentlich auch die Streitkräfte, aber immer auf der Grundlage eines klaren, völkerrechtlichen Mandates und gemeinsam mit anderen. Und weil die Konflikte, mit denen man sich dann möglicherweise auseinandersetzen muss, nicht mehr unmittelbar an unserer Grenze sind, sondern gelegentlich auch weiter davon entfernt, muss die Bundeswehr verlegungsfähig sein, sie muss in der Lage sein, auch über größere Entfernung zu operieren. Diese Umstellung findet jetzt seit längerem statt, sie ist leider noch nicht ganz abgeschlossen. Deshalb tun wir uns ja manchmal auch schwer, die notwendigen Kräfte rechtzeitig und ausreichend im Umfang zu mobilisieren.

Armbrüster: Ruprecht Polenz (CDU), der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag, live hier bei uns im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Polenz.

Polenz: Bitte schön!