"Ein Feigenblatt für das syrische Regime"
DW-WORLD.DE: Herr Polenz, bislang hat niemand das Blutvergießen in Syrien stoppen können. Auch die Beobachtermission der Arabischen Liga nicht. Ist diese Mission also in Ihren Augen schon jetzt gescheitert?
Ruprecht Polenz: Die Arabische Liga ist in einem Dilemma: Auf der einen Seite bekommen die Regierungen der arabischen Länder immer mehr Druck aus ihrer Bevölkerung, etwas gegen das Blutvergießen und das brutale Vorgehen des syrischen Präsidenten Assad in seinem Land zu tun, und andererseits ist diese Beobachtermission bisher eher dadurch aufgefallen, dass man den Eindruck hatte, sie schaut weg oder sie wird hinters Licht geführt - beides kein Ruhmesblatt.
Jetzt will die Arabische Liga ihre Mission erst einmal verlängern. Aber wird dadurch nicht wertvolle Zeit verloren?
Auch die Unterstützung der UN benötigt ja erst einmal eine Zustimmung durch Assad. Kann die UN überhaupt mehr bewirken als die Arabische Liga, wenn man sie jetzt mit ins Boot holt?
Assad ist natürlich in einem Dilemma in der Weltöffentlichkeit, wenn er UN-Menschenrechtsexperten nicht ins Land lässt. Aber ich glaube, nach all dem, was er macht und wie er gegen die syrische Bevölkerung vorgeht, wird er sich auch hier über die Weltöffentlichkeit und die Kritik hinwegsetzen. Ich bin sehr skeptisch, ob man auf diesem Weg ein Ende des Blutvergießens erreichen kann.
Die Beobachtermission insgesamt stand ja von Anfang an unter herber Kritik. Die syrische Opposition hat sogar zeitweise einen Abbruch der Mission gefordert. Können Sie das nachvollziehen? Wäre ein Abbruch tatsächlich sinnvoller gewesen?Ja, das kann ich nachvollziehen, weil natürlich eine Beobachtermission, die der Welt signalisiert: "Alles halb so schlimm in Syrien, das Land ist eigentlich auf einem guten Weg", während sich die Dinge zum Schlimmeren entwickeln, schlechter ist, als wenn keine Beobachtermission im Land wäre. Insofern verstehe ich die Reaktion der syrischen Opposition sehr gut.
Jetzt ist ja auch die Arabische Liga selbst in sich äußerst gespalten, in postrevolutionäre Staaten, bedingt reformbereite Länder und konservative Regimes. Kann ein Bündnis mit so unterschiedlichen Staaten überhaupt mit einer Stimme sprechen?
Offensichtlich nur sehr schwer. Auch der jetzige Gipfel und die jeweiligen Verschiebungen und Probleme mit der Tagesordnung, auch die Probleme mit der Mission zeigen ja, wie schwierig das ist. Ich erinnere mich noch gut an eine Tagung vor etwa einem Jahr in Brüssel, wo ein ägyptischer Blogger, nachdem immer wieder die Arabische Liga als Akteur angesprochen war, auf einmal sagte: "Das sind doch genau die Leute, gegen die wir in Ägypten auf die Straße gehen. Was erwartet Ihr euch eigentlich von der Arabischen Liga?" Ganz so kritisch würde ich es nicht sehen, denn in der Tat ist - auch durch die Veränderung in einigen arabischen Ländern - eine Veränderung in der Arabischen Liga eingetreten. Und es ist natürlich wichtig, dass auch die Region selbst Druck auf Syrien macht, und da ist die Arabische Liga nun einmal das Forum. Aber Sie haben schon Recht: Wegen der sehr unterschiedlichen Interessen, auch der sehr unterschiedlichen Ausrichtung der einzelnen arabischen Länder ist es sehr schwierig, hier zu wirksamen Schritten zu kommen. Nur eins ist sicher: Die arabischen Menschen, auch in anderen Ländern, erwarten, dass sich etwas in Syrien ändert, dass ihre Landsleute nicht weiter drangsaliert, schikaniert und umgebracht werden. Und diesem Druck müssen sich die arabischen Regierungen und dem muss sich auch die Arabische Liga stellen.
Bisher hat kein Druck von außen Syriens Präsidenten Assad stoppen können. Was muss denn geschehen, damit sich das ändert?Meine Schlüsselländer im Hinblick auf das syrische Außenverhältnis sind die unmittelbaren Nachbarn, da gehört auch die Türkei dazu. Auch die Türkei hat deutlich gemacht, wie sehr sie gegen das ist, was in Syrien zurzeit passiert. Ob Sanktionen und vor allen Dingen mehr internationaler Druck eine Veränderung bewirken können, muss man abwarten. Leider ist es nach wie vor so, dass ein wirksames Vorgehen etwa der Vereinten Nationen durch Russland und China im Weltsicherheitsrat weitestgehend blockiert wird.
Seit Ausbruch der Proteste hat es nach Schätzung der UN mehr als 5000 Tote gegeben. Hat Assad nicht längst den Punkt überschritten, von dem aus es ein Zurück gibt? Wie soll denn wieder Frieden einkehren mit einem Präsidenten Assad in Syrien?
Das sehe ich in der Tat auch nicht. Es geht um die Frage, wie ein Übergang zu einer Regierung gefunden werden kann, die sich auf Rückhalt in der Bevölkerung stützen kann, wie man Wahlen organisiert, eine neue Verfassung, und wie alle Kräfte in Syrien daran zu beteiligen sind. Ich glaube, mit Assad geht das alles sowieso nicht mehr.
Die Fragen stellte Thomas Latschan
Redaktion: Dirk Eckert