Ruprecht Polenz

Polenz: Das Massaker im syrischen Hula ist "ein klares Kriegsverbrechen"

Ruprecht Polenz im Deutschlandfunk-Interview vom 29.05.2012

CDU-Politiker hofft auf ein Umdenken Russlands Ruprecht Polenz im Gespräch mit Friedbert Meurer Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz (CDU), hält eine Militärintervention in Syrien derzeit nicht für möglich. Assad werde sich auf Dauer nicht halten können, man müsse den Druck auf ihn erhöhen und ihm zugleich die Ausreise anbieten.
Friedbert Meurer: Im Krieg stirbt die Wahrheit immer zuerst, heißt es. Die Macht um die Wirkung der Bilder ist enorm. Schon öfter hat der syrische Widerstand über Gräueltaten der regulären Armee berichtet. Diesmal aber wird es von den Vereinten Nationen belegt. InHula haben die UNO-Beobachter Artilleriehülsen und Reste von Panzergranaten gefunden. Syriens Armee hat mit schweren Waffen in eine wehrlose Ortschaft hineingeschossen und ein Blutbad angerichtet.

In Berlin begrüße ich den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, Ruprecht Polenz von der CDU. Guten Morgen, Herr Polenz.

Ruprecht Polenz: Guten Morgen, Herr Meurer.

Meurer: Wie entsetzt, Herr Polenz, sind Sie über das, was Sie aus Syrien hören?

Polenz: Es wird ja immer schlimmer und die Ohnmacht der internationalen Gemeinschaft wird immer quälender dadurch, dass man praktisch das Gefühl hat, man kann nur zuschauen. Die Situation, die Lage in Syrien eskaliert von Tag zu Tag, es kommen immer mehr Menschen ums Leben, die Zahl der Flüchtlinge steigt und der Bürgerkrieg greift immer mehr um sich.

Meurer: Man kann nur zuschauen - wirklich?

Polenz: Es ist ja so: Es wird ja überlegt, ob ähnlich wie in Libyen mit einer militärischen Intervention der bewaffneten Auseinandersetzung ein Ende gemacht werden könnte. Aber der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen wird dazu, so ist jedenfalls die Haltung Russlands und Chinas, keine Ermächtigung geben. Und selbst wenn, sehe ich kein Land, was dazu bereit wäre, das dann umzusetzen, gemeinsam mit anderen, denn anders als in Libyen sind die Kämpfe mitten in Ortschaften, in Vorstädten, etwa von Damaskus, und da kann man nicht allein aus der Luft operieren, man würde Bodentruppen brauchen. Also muss man auf politische Maßnahmen setzen, und ganz wichtig ist, dass eine politische Lösung mit Assad an der Macht wohl nicht mehr vorstellbar ist, und Assad hält sich aber deshalb weiter an der Macht, weil er sich nicht isoliert fühlt. Er sieht den Iran als seinen Verbündeten und er sieht vor allen Dingen Russland als seinen Verbündeten, und von dort sind die Waffenlieferungen in den letzten Monaten stark angestiegen.

Meurer: Wieso braucht man anders als in Libyen Bodentruppen?

Polenz: Weil allein mit Angriffen aus der Luft in den Stellungen, wo jetzt die syrische Armee mitten in den Städten ist, die Kollateralschäden, um diesen Ausdruck zu gebrauchen, und die Gefahr, Zivilbevölkerung, Unbeteiligte zu treffen, viel zu groß wäre. Ich kenne keinen militärischen Fachmann, der sagt, allein die Luftwaffe reicht.

Meurer: Der syrische Widerstand sagt, die sagen seit Monaten, helft uns mit Luftunterstützung.

Polenz: Ja, aber die syrische Opposition sagt das, aber wie gesagt, ich sehe nicht, dass etwa von NATO-Seite, von amerikanischer Seite das als eine, ich sage mal, machbare militärische Operation angesehen wird. Ich bin kein Militärfachmann. Ich sehe nur, dass die Militärfachleute etwa des Westens sagen, man würde Bodentruppen brauchen.

Meurer: Wollen wir militärisch nicht helfen, Herr Polenz, weil wir den falschen, nämlich den Islamisten helfen würden?

Polenz: Es ist sicherlich auch die große Frage, was kommt nach Assad und wie sieht das mit der syrischen Opposition aus. Hier muss man die Zeit, die wir jetzt haben, auch nutzen, um zu weiteren Klärungen zu kommen. Und wenn wir mit Saudi-Arabien und mit Katar sprechen, die ja dazu übergehen, die syrische Opposition nicht nur mit Geld, sondern möglicherweise auch mit Waffen zu unterstützen, dann würde es sehr hilfreich sein, wenn beide Länder sagen würden, dass auch nach ihrem Wunsch und Interesse das Syrien nach Assad und die Opposition, die sie unterstützen, ein Syrien sein sollte, ethnisch vielfältig zusammengesetzt, multireligiös und mit religiöser Toleranz, denn das ist ja die Sorge der religiösen Minderheiten, dass es nach einem Ende von Assad zu Situationen käme, wie wir sie seinerzeit im Irak gesehen haben.

Meurer: Gehen die Waffenlieferungen an den syrischen Widerstand in Ordnung aus Ihrer Sicht?

Polenz: Ich halte es jedenfalls für richtig, dass Deutschland, dass sich Europa an diesen Waffenlieferungen nicht beteiligt. Ich glaube, dass alles nur zu einer weiteren Eskalation der bewaffneten Auseinandersetzung führt. Politischer Druck, die Isolierung Assads, die beispielsweise auch dadurch vorangetrieben werden könnte, dass die Staaten der Arabischen Liga Russland sehr deutlich machen, Moskau hat die Wahl, entweder wir Araber, oder Assad, dass das eben auch zu einem Umdenken Russlands in seiner Position gegenüber diesem Regime führen könnte.

Meurer: Russland hat zugestimmt der scharfen Resolution jetzt am Wochenende. Sie sagen, Russland liefert immer mehr Waffen an Syrien. Was haben Sie da für Informationen?

Polenz: Ich habe solche Informationen von der syrischen Opposition, von Gesprächspartnern, und die sind auch bestätigt worden. Also Russland hat jetzt auch einer Resolution zugestimmt, die aber keine klare Verurteilung des syrischen Regimes enthält. Es ist nach wie vor so, dass Assad davon ausgehen kann, Russland hält ihm den Rücken frei, und solange das so ist, wird er versuchen, sich an der Macht zu halten. Natürlich muss man Assad auch einen Ausweg anbieten, und das, was man jemenitische Lösung nennt, also das Ausreisen mit seinem Anhang in ein Land, wo er dann sich aufhalten kann, Asyl bekommt, um das mal so zu nennen, das wäre etwas, was ich auch für richtig halte und wo offensichtlich jetzt nicht nur die Amerikaner, sondern möglicherweise auch die Russen drüber nachdenken.

Meurer: Haben Sie den Eindruck, dass Assad diesen jemenitischen Weg gehen will?

Polenz: Ich kann da nicht von eigenen Eindrücken sprechen. Ich kann nur hoffen, dass er erkennt, dass seine Optionen immer mehr schwinden. Also er wird sich nicht auf Dauer an der Macht halten können. Das was jetzt letzte Woche passiert ist, ist nach meinem Dafürhalten ein klares Kriegsverbrechen. Wenn man mit schweren Waffen in ein Dorf schießt und damit Zivilisten trifft, dann ist natürlich auch die Frage, muss jemand, der das verantwortet - und letztlich verantwortet es natürlich Assad -, nicht dann auch ans Kriegsverbrechertribunal nach Den Haag überstellt werden. Also noch gibt es keinen internationalen Haftbefehl gegen ihn, aber als es bei Gaddafi so weit war, hatte er nur die Wahl zwischen Den Haag, weiterkämpfen oder bei den Kämpfen auch selber ums Leben kommen. Also noch hat Assad einen Ausweg mehr, ich hoffe, dass er ihn erreicht.

Meurer: In Syrien werden Fahnen der UNO verbrannt, weil die UNO nichts tue, um solche Massaker zu verhindern. Am Wochenende seien die UNO-Blauhelme angerufen worden, sie seien nicht gekommen nach Hula. Machen Sie den UNO-Beobachtern und Blauhelmen einen Vorwurf?

Polenz: Nein. Es war ja so, dass ursprünglich nach dem Annan-Plan eine viel größere Beobachtermission ins Land geschickt werden sollte, und es gab auch genügend Länder, die bereit gewesen sind, sich an einer solchen Mission zu beteiligen. Assad hat das verhindert. Assad hat auch dafür gesorgt, dass es sehr schleppend nur voranging, diese UNO-Mission aufzubauen. Es sind ja jetzt 300, aber sie sind immer noch nicht, so weit ich weiß, alle im Land und sie sind unbewaffnet. Sie können nicht aktiv helfen. Das ist ja das Dilemma auch der Vereinten Nationen, wenn sie jetzt nur mit Beobachtern da sind, können sie berichten, was passiert ist, soweit sie es mitbekommen, aber sie können es nicht verhindern. Sie können höchstens hoffen, dass die Tatsache, dass berichtet wird, dazu führt, dass bestimmte Taten nicht begangen werden, aber das ist im Augenblick nur eine Hoffnung, wie wir jetzt gesehen haben, denn von diesem Massaker in Hula haben ja die UNO-Truppen dann anschließend einen Bericht geliefert.

Meurer: Ruprecht Polenz, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk nach dem Massaker in Syrien. Herr Polenz, besten Dank und auf Wiederhören.

Polenz: Bitte schön! Auf Wiederhören.