Ruprecht Polenz

"Auf rechtsstaatliche Standards in Russland dringen"

Der Europarat, die EU und die deutsche Regierung sollen gegenüber dem Kreml darauf dringen, dass in Russland freiheitlich-rechtsstaatliche Standards gewahrt werden, fordert Ruprecht Polenz im Interview.

Aus Sicht des Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses fehlt in Moskau "noch weithin die Einsicht, dass das Recht der Macht Grenzen zu setzen hat". Der CDU- Abgeordnete kritisiert Missstände wie den politischen Einfluss auf die Justiz, die Einschränkung der Pressefreiheit oder das repressive Demonstrationsrecht. Der Bundestag debattiert am Freitag, 19. Oktober 2012, ab etwa 14.50 Uhr auf der Basis einer Großen Anfrage (17/7541, 17/9521) und eines Antrags von Bündnis 90/Die Grünen eine halbe Stunde lang über Rechtsstaatlichkeit in Russland. Das Interview im Wortlaut:

Herr Polenz, hat der Bundestag das Recht, sich mit der Rechtsstaatlichkeit in Russland zu befassen? Würde sich ein anderer Staat in die inneren Angelegenheiten der Bundesrepublik einmischen, so würde man sich dies hierzulande wohl verbitten.


Es ist inzwischen ein anerkannter Grundsatz, dass die Wahrung von Bürgerrechten nicht mehr nur die innere Angelegenheit eines Staates ist, sondern auch der internationalen Gemeinschaft obliegt. Zudem spielt dieses Thema bei den Verhandlungen der EU mit Russland über eine engere Zusammenarbeit eine Rolle und gehört somit zur Modernisierungspartnerschaft zwischen Brüssel und Moskau.

Führt der adäquate Weg zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit in Russland nicht über den Europarat, wo Russland Mitglied ist? Müsste man Moskau nicht dazu bringen, endlich die Verurteilungen durch den Menschenrechtsgerichtshof etwa wegen katastrophaler Verhältnisse in Gefängnissen oder wegen der Verletzung von Grundrechten in Tschetschenien zum Anlass zu nehmen, diese Probleme zu lösen und nicht nur Entschädigungen an erfolgreiche Kläger zu zahlen?

Die Zugehörigkeit Russlands zum Straßburger Staatenbund samt der damit verbundenen Unterwerfung unter die Rechtsprechung des Menschenrechtsgerichtshofs sollte man zum Anlass nehmen, Moskau beim Wort zu nehmen. Schließlich hat sich der Kreml mit der Mitgliedschaft beim Europarat verpflichtet, freiheitlich-rechtsstaatliche Standards zu achten. An diese Zusage hält sich Russland jedoch keineswegs konsequent. Auf die Respektierung solcher Normen sollte gegenüber Moskau nicht nur der Europarat dringen, auch die EU und die deutsche Regierung sind gefordert.

Wo liegen die größten rechtsstaatlichen Defizite in Russland?

Da sind viele Missstände zu nennen, so der politische Einfluss auf die Justiz, die Einschränkung der Pressefreiheit, die Zustände in Gefängnissen, das repressive Demonstrationsrecht, die Behinderung der Opposition oder der starke Einfluss des Geheimdiensts. Hinter all diesen Beispielen wird ein Grundproblem sichtbar: In Russland fehlt noch weithin die Einsicht, dass das Recht der Macht Grenzen zu setzen hat und nicht umgekehrt die politische Macht im Recht ein Mittel gegenüber der Gesellschaft sehen darf. Die rechtsstaatlichen Defizite wirken sich im Übrigen auch negativ auf die wirtschaftliche Zusammenarbeit aus, da ausländische Investoren in hohem Maße der Gefahr ausgesetzt sind, Opfer behördlicher Willkür zu werden.

Viel Aufregung haben die Verurteilung der Punkband Pussy Riot und des oppositionellen Ex-Unternehmers Michail Chodorkowski provoziert. Beleuchten solche spektakulären Fälle in besonderem Maße die prekäre Situation in Russland?

Pussy Riot wäre wegen ihres Eindringens in eine Kirche bei ihrem Auftritt wohl auch hierzulande gerichtlich belangt worden. Allerdings wären die Sängerinnen vielleicht wegen Hausfriedensbruch zu einer Geldstrafe und nicht wie zwei Mitglieder der Punkband zu zwei Jahren Lagerhaft verurteilt worden. Dieses Strafmaß ist völlig unverhältnismäßig. Gleiches gilt für das überaus harte Urteil gegen Chodorkowski. Der Prozess gegen den einstigen Ölmilliardär und Oppositionellen zeigt beispielhaft, dass die Justiz nicht unabhängig, sondern in hohem Maße politisiert ist.

Auch in Russland protestieren Oppositionspolitiker, Bürgerrechtler und Journalisten gegen autoritäre Tendenzen. Man hat indes den Eindruck, dass die Mehrheit der Bürger mit den Verhältnissen unter Staatschef Wladimir Putin durchaus zufrieden ist. Wie passt das zusammen?

Putin nutzt die Gelder aus dem Energieexport, um auch breiten Bevölkerungskreisen zu etwas mehr Wohlstand zu verhelfen. Der Präsident hat nach den chaotischen Jelzin-Jahren auch für Ruhe, Stabilität und Berechenbarkeit gesorgt. Auf all das gründet sich seine Popularität. Die politischen und gesellschaftlichen Reformaufgaben harren jedoch immer noch einer Lösung.

Die Möglichkeiten des Bundestages, in Russland das Entstehen eines Rechtsstaats zu fördern, sind doch sehr beschränkt.

Natürlich ist unser Spielraum begrenzt. Letztlich wird über die russische Politik in Moskau entschieden. Allerdings können wir die Entwicklung des Landes kritisch begleiten, Reformen anmahnen und so durchaus eine politische Wirkung entfalten. Wir sollten uns indes davor hüten, Russland an den Pranger zu stellen. Wenn im Übrigen die EU ein Kartellverfahren gegen den Energiekonzern Gazprom eröffnet, so demonstriert dieser Vorgang, dass wir auch handfeste Möglichkeiten haben, dem Recht gegenüber Moskau Geltung zu verschaffen.

(kos/12.10.2012)