Von der internationalen Afghanistan-Konferenz in Bonn am Montag, 5. Dezember 2011, soll das Signal ausgehen, dass sich die internationale Gemeinschaft auch nach dem für 2014 geplanten Truppenabzug weiter für Kabul engagieren wird, so Ruprecht Polenz (CDU/CSU) im Interview.
Dabei gehe es um Unterstützung für Armee und Polizei wie auch um Hilfen im zivilen Bereich. Aus Sicht des Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses sind Versöhnung und Frieden am Hindukusch dauerhaft nicht ohne politische Einbindung der Taliban möglich.
Die Erwartungen im Blick auf die Konferenz sind gewaltig. Wird dieses Treffen für die Zeit nach dem Nato-Truppenabzug den großen Durchbruch hin zu einer Lösung des Afghanistan-Konflikts bringen? Oder wird es bei einem Signal des guten Willens bleiben, Kabul auch künftig zu unterstützen? In Bonn darf und wird es nicht bei einem Good-will-Signal bleiben. Es geht vielmehr darum, für die Zeit nach 2014 klare politische Perspektiven für den innerafghanischen Versöhnungsprozess einerseits und für die Entwicklung einer dauerhaften Stabilität in der gesamten Region andererseits zu entwerfen. Letzteres kann nur gelingen, wenn auch die Nachbarn Afghanistans in einen solchen Prozess einbezogen werden.
Wird Ihnen nicht etwas mulmig, wenn die Sicherheit am Hindukusch tatsächlich allein in die Hand der Kabuler Regierung gelegt werden soll? Droht das Land dann nicht wieder in die Hände der Taliban zu fallen? Die Regierung Karsai betont, sie sei bis Ende 2014 in der Lage, selbst für Sicherheit im Land zu sorgen. Ich persönlich bin da auch recht zuversichtlich. Die Ausbildung von Polizei und Soldaten, bei der sich gerade Deutschland stark engagiert, macht jedenfalls gute Fortschritte. Aber es ist klar, Armee und Polizei in Afghanistan benötigen auch über 2014 hinaus Hilfe seitens der internationalen Gemeinschaft, nicht zuletzt finanzieller Art. Bonn wird verdeutlichen, dass sich Kabul nach dem Nato-Truppenabzug auf diese Unterstützung verlassen kann.
Ist es nicht ein schlechtes Omen für das Treffen am Rhein, wenn die Loja-Dschirga-Versammlung und Präsident Hamid Karsai, wie dieser Tage geschehen, dem Nato-Partner Bedingungen für Hilfen nach 2014 stellen? Nein, das sehe ich nicht so. Afghanistan ist kein Protektorat der internationalen Gemeinschaft, das gilt es immer wieder zu unterstreichen. Vielmehr unterstützt die Isaf einen eigenständigen Staat mit einer eigenständigen Regierung. Schon bisher war es so, dass Kabul diese und jene Isaf-Maßnahmen abgelehnt hat, die dann umgeplant werden mussten. Wenn die Loja Dschirga und Karsai jetzt Forderungen erheben, so ist das keine politische Unverschämtheit, sondern Ausdruck der afghanischen Souveränität.
Wird in Bonn beschlossen werden, die bislang erfolglosen Friedensgespräche mit den Taliban fortzusetzen und zu intensivieren?
Es ist offensichtlich, dass am Hindukusch keine dauerhafte Versöhnung und kein stabiler Frieden ohne Einbeziehung der Taliban möglich sein werden. Insofern kommen wir nicht darum herum, die politische Einbindung der Taliban zum Erfolg zu führen. Ich selbst habe dieser Tage in Berlin Taliban-Vertreter getroffen. Das Problem ist, dass es bei den Aufständischen keine einheitliche Linie gibt, ein Teil ist zur Teilnahme an ernsthaften Verhandlungen bereit, andere sind dies nicht. Inwiefern die Taliban in Bonn eine Rolle spielen werden, wird sich zeigen. Es führt aber kein Weg daran vorbei, sich um den sicher schwierigen Dialog zu bemühen.
Viel wird am Hindukusch von der zivilen Entwicklung abhängen. Welche Schwerpunkte sollten dabei in Bonn gesetzt werden? Bei der Konferenz werden die Afghanen die Zusage erhalten, dass wir zwar unsere Truppen abziehen werden, aber auch nach diesem Zeitpunkt vor allem im zivilen Bereich weiter helfen werden. Das ist das wichtigste Signal, das von Bonn ausgehen wird. Am Hindukusch ist auf der ganzen Breite des zivilen Sektors noch viel zu tun, da geht es um den Ausbau der Infrastruktur und des Bildungswesens, um die Förderung der Wirtschaft, um die Entwicklung der Justiz. Von zentraler Bedeutung ist zudem eine effiziente und gut funktionierende Verwaltung. Um eine gute Regierungsführung steht es in Kabul nicht zum Besten, woran zu Recht auch international viel Kritik geübt worden ist.
Welche Rolle wird nach dem Rückzug der deutschen Truppen der Bundestag beim Thema Afghanistan noch spielen, wird das in den parlamentarischen Hintergrund rücken? Sollten die Abgeordneten das Geld, das die Bundeswehrmission bislang kostet, in zivile Projekte in Afghanistan umlenken? Die öffentlichkeitswirksamen Debatten über Verlängerungen des Bundeswehr-Mandats wird es natürlich nicht mehr geben. Aber die Abgeordneten werden sich in Ausschüssen und im Plenum weiterhin für eine friedliche und stabile Entwicklung in Afghanistan engagieren. Was das Geld angeht, so haben wir im Haushalt keinen Afghanistan-Fonds, dessen Mittel mal für militärische Einsätze und mal für zivile Projekte eingesetzt werden. Das Geld, das wir wegen des Truppenabzugs nicht mehr benötigen, lässt sich nicht einfach für andere Zwecke umwidmen. In den Etats für Entwicklungshilfe und für Auswärtiges werden die Abgeordneten jedoch weiterhin Mittel für Afghanistan reservieren.
(kos)
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