Michael Meister, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion und Norbert Barthle, haushaltspolitischer Sprecher, erläutern die vom Bundestag am 29. Juni 2012 verabschiedeten Maßnahmen
Wir haben am 29. Juni ein umfassendes und wegweisendes Gesetzespaket zur Stabilisierung des Euro auf den Weg gebracht. Das ist ein kraftvolles Signal für die Stabilität und Zukunftsfähigkeit unserer gemeinsamen Währung. Insbesondere der Fiskalpakt, aber auch der Europäische Stabilitäts¬mechanismus (ESM) trägt die unverkennbare Handschrift unserer Bundes¬regierung. Und dass es heute in Europa keine Eurobonds, Schulden¬tilgungsfonds oder schuldenfinanzierte Wachstumsprogramme gibt, ist genauso auf die Standfestigkeit unserer Bundeskanzlerin und unseres Bundesfinanzministers zurückzuführen.
Beschlüsse des Eurogipfels vom 28./29. Juni haben mit der Ratifizierung von Fiskalvertrag und ESM nichts zu tun
Für einige Verwirrungen haben die Beschlüsse des gestrigen und heutigen Eurogipfels gesorgt. Tatsache ist: Die Gipfelbeschlüsse haben keine Auswirkungen auf die heute im Bundestag beschlossenen Gesetze. SPD und Linke haben heute versucht, mit einer unverantwortlichen und allein parteitaktisch motivierten Kampagne die Abstimmung über das Gesetzespaket zu torpedieren. Das ist ihnen zum Glück nicht gelungen. Die Gipfelergebnisse liegen ganz auf der bisherigen Linie der erfolgreichen Verhandlungen der Bundesregierung in den vergangenen Monaten und Jahren: Hilfen aus den Rettungsschirmen EFSF und ESM werden weiterhin nur unter strikten Bedingungen und Kontrolle gewährt. Vorwürfe der „Kehrtwende“ oder „Überschreiten roter Linien“ der Opposition gehören in das Reich des Märchens oder sind Wunschgedanken einzelner Regierungschefs anderer Euro-Staaten.
Ein Beispiel dafür ist die Frage nach der Rekapitalisierung von Banken. Nach wie vor gibt es keine unmittelbare Rekapitalisierung von Banken durch den ESM. Zunächst müsste im Eurogebiet eine wirksame einheitliche Bankenaufsicht unter Einbeziehung der EZB eingerichtet sein. Letztlich wird es aber auch von der Entscheidung des Deutschen Bundestages abhängen, ob wir eine unmittelbare Bankenrekapitalisierung durch den ESM als neues Hilfsinstrument zulassen. Denn wir müssten dafür das heute beschlossene ESM-Finanzierungsgesetz ändern, in dem zum einen die Hilfsinstrumente selbst und zum anderen die ESM-Beteiligungsrechte geregelt sind. Klar ist daher: Auf Basis des heutigen Gesetzespakets können Finanzhilfen zur Rekapitalisierung spanischer Finanzinstitute nicht unmittelbar an spanische Banken fließen.
Ein weiteres Beispiel ist die Frage nach dem Verzicht auf den bevorzugten Gläubigerstatus des ESM. Der Gipfel hat den Verzicht auf den bevorzugten Gläubigerstatus des ESM lediglich bei einer möglichen finanziellen Hilfe zur Rekapitalisierung spanischer Banken beschlossen. Dies ist verständlich, weil der Antrag Spaniens bei der noch bestehenden EFSF gestellt ist und diese keinen bevorzugten Gläubigerstatus besitzt. Das Programm soll später in den ESM überführt werden.
Schließlich ist beim Gipfel auch vereinbart worden, dass die länderspezifischen Empfehlungen zukünftig in die Auflagen für Empfängerländer von ESM-Hilfen einfließen sollen. Diese Auflagen müssen nach dem ESM-Vertrag in einer Vereinbarung (sog. Memorandum of Unterstanding) niedergelegt sein und einstimmig von den Finanzministern in der Eurogruppe angenommen werden. Auch vor einer solchen Abstimmung der Finanzminister ist nach den Regeln über die Parlamentsbeteiligung unsere Zustimmung im Deutschen Bundestag erforderlich.
Fiskalvertrag sorgt für solide Staatsfinanzen
In den vergangenen Monaten ist es uns gelungen, mit Fiskalvertrag und ESM Grundpfeiler einer neuen Stabilitätsarchitektur für Europa zu errichten, die auf Solidität, Solidarität und Wettbewerbsfähigkeit ausgerichtet ist. Diese gemeinsame Kraftanstrengung von Bundesregierung und Koalitionsfraktionen hat uns einiges abverlangt – aber sie war und ist vor allem eins: richtig und wichtig.
Die Krise muss primär an ihren Wurzeln bekämpft werden. Wir brauchen in den von der akuten Krise betroffenen Mitgliedsstaaten solide Staats-finanzen und Strukturreformen für mehr Wachstum und Wettbewerbs-fähigkeit. Dafür stehen insbesondere der Fiskalvertrag und der Wachstumspakt, der auf dem heutigen Gipfel beschlossen wurde.
Lassen Sie uns nochmals in Erinnerung rufen: Mit dem Fiskalvertrag verpflichten sich alle 25 unterzeichnenden Staaten, eine Schuldenbremse in ihre nationalen Rechtsordnungen einzuführen. Die Umsetzung der Vorgaben für innerstaatliche Schuldenbremsen wird durch ein sanktionsbewehrtes Klageverfahren beim Europäischen Gerichtshof sichergestellt. Darüber hinaus werden zukünftig Verfahren bei einem übermäßigen Defizit bei Überschreitung der Defizitobergrenze quasi automatisiert eingeleitet und durchgeführt. Mitgliedstaaten, die sich in einem Defizitverfahren befinden, müssen ein Haushalts- und Wirtschaftspartnerschaftsprogramm mit konkreten Struktur¬eformen auflegen, das von Rat und Europäischer Kommission genehmigt und überwacht wird.
ESM bietet temporäre Krisenunterstützung gegen Auflagen
Dennoch ist auch für die Zukunft nicht ausgeschlossen, dass akut in Schwierigkeiten geratene Euro-Länder von ihren Partnern für einen begrenzten Zeitraum unterstützt werden müssen. Der ESM bietet diese temporäre Krisenhilfe unter strikten Auflagen. Der dauerhafte Rettungs-schirm ESM wird neben Garantien vor allem auf eingezahltem Kapital von insgesamt 80 Milliarden Euro beruhen. Damit wird der ESM deutlich unabhängiger von den Ratings seiner Mitgliedstaaten. Wichtig ist auch die enge Verknüpfung von ESM und Fiskalvertrag, die die Bundeskanzlerin in den europäischen Verhandlungen umsetzen konnte. Solidarische Hilfen durch den ESM werden nur gewährt, wenn der Antragsteller den Fiskalvertrag ratifiziert und eine entsprechende nationale Schuldenbremse eingeführt hat.
Insofern war es uns sehr wichtig, Fiskalvertrag und ESM als Einheit zu betrachten und gemeinsam im Bundestag zu ratifizieren. Dieses Ziel haben wir entgegen vielfältiger Verzögerungs- und Abspaltungsversuche der Opposition insbesondere auch in dem Bewusstsein vorangetrieben, dass unserem Vorgehen Modellcharakter zukommt und von den anderen Mitgliedstaaten der Eurozone sehr genau beobachtet wird.
Weitreichende Beteiligung des Parlaments bei ESM
Immer wieder wurde in den vergangenen Monaten behauptet, dass wir mit dem ESM die Verantwortung für unsere nationalen Haushalte aus der Hand geben, da der ESM sich letztlich unbegrenzt aus den Haushalten bedienen kann und wir keine Kontrolle über das Handeln des ESM haben. Diese Behauptung ist falsch und wird auch durch noch so viele Wiederholungen nicht richtig. Sie muss daher immer wieder mit Entschiedenheit und den richtigen Sachargumenten zurückgewiesen werden.
Fakt ist: Alle wesentlichen Entscheidungen, die der ESM treffen kann, einschließlich der Gewährung von Finanzhilfen oder Änderungen am gezeichneten Kapital, müssen einstimmig durch den Gouverneursrat des ESM getroffen werden. Deutschland verfügt über seinen Vertreter im Gouverneursrat dabei bei allen wichtigen Entscheidungen des ESM über ein Vetorecht. Mit dem ESM-Finanzierungsgesetz haben wir dieses Vetorecht dem Deutschen Bundestag übertragen, indem dem Abstimmungsverhalten des deutschen Vertreters im Gouverneursrat ein umfangreicher Parlamentsvorbehalt vorgeschaltet wurde. Hat der Vertreter kein Votum des Bundestages, so muss er mit Nein stimmen. Aufgrund der von uns im Gesetzgebungsverfahren bewusst verankerten Regelung muss das Plenum des Deutschen Bundestages immer dann vorher zustimmen, wenn der ESM ein neues finanzielles Risiko eingeht. Das ist insbesondere bei Entscheidungen über neue Hilfsprogramme der Fall oder auch bei finanzwirksamen Änderungen von bestehenden Programmen.
Der Haushaltsausschuss begleitet die Umsetzung der Programme. Seine Zustimmung ist z. B. dann notwendig, wenn die Bedingungen von Hilfsprogrammen geändert werden sollen, auch wenn das Volumen des Hilfspaketes unverändert bleibt. Zudem ist er vor Auszahlungen einzelner Tranchen bereits genehmigter Programme zu beteiligen. Das sog. 9er-Gremium kommt nur zum Einsatz, wenn im Rahmen eines Hilfsprogramms Anleihekäufe auf dem Sekundärmarkt vorgesehen sein sollten. Diesen Einsatz hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich erlaubt.
Der Deutsche Bundestag hat heute Handlungsfähigkeit in einer für Europa sehr schwierigen Lage bewiesen. Lassen Sie uns diese Botschaft aktiv in der Öffentlichkeit vertreten und uns weiterhin mit aller Kraft für ein starkes und stabiles Europa einsetzen.