Ruprecht Polenz

Glaubwürdigkeit in Zeiten der Euro

Michael Meister, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion, analysiert die Entscheidungen zu ESM und dem Fiskalpakt und mögliche Alternativen

Die letzte Sitzungswoche war geprägt von zentralen Entscheidungen für
den Euro. Mit der bereiten Zustimmung des Deutschen Bundestage
auch des Bundesrates sowohl für ESM als auch für den Fiskalpakt haben
wir wichtige Weichenstellungen für die Zukunft des Euros gestellt.

Trotzdem ist uns klar, dass wir keine große Pause haben werden, sondern uns das komplexe Thema auch weiterhin in Bundesverfassungsgericht wird am  10. Juli 2012 zu den gestellten Eilanträgen über den ESM bzw. Fiskalpakt beraten. Hier hoffen wir auf eine baldige Entscheidung des Gerichts, damit die Unsicherheit über den deutschen Beitrag zur Euro-Stabilisierung aufhört.

Des Weiteren werden wir im Rahmen der von uns selbst eingeforderte parlamentarischen Beteiligung zur Umsetzung der gestellten Hilfsanträge Spaniens  und Zyperns noch in der Sommerpause zu einer Sondersitzung des Bundestages zusammenkommen.

Auch wenn wir uns seit vielen Monaten intensiv mit der Euro
Stabilisierung befassen, sollten wir die Sommerpause auch dazu nutzen,
uns nochmals zu vergegenwärtigen, warum wir die vielen Schritte zur
Euro-Stabilisierung getan haben und welche weitere noch folgen
könnten.

Wir verspüren immer wieder einen großen Druck von verschiedensten
Seiten in Deutschland, aber auch international. Trotzdem sollten wir
Analysen und Diskussionen in großer Sachlichkeit durchführen, wie es die
bewährte Praxis in unserer Fraktion ist.Dazu gehört auch im gegenseitigen
Respekt anzuerkennen, dass jeder Kollege bzw.jede Kollegin es sich nicht
einfach macht und gute Gründe dafür hat, die eine oder die andere
Position einzunehmen.

Auch müssen wir uns nochmals in Erinnerung rufen, dass die Euro-Krise
ein bisher einmaliger Vorgang ist, selbst der IWF kann nicht wirklich
auf umfangreiche Erfahrungen zurückgreifen. Deshalb ist die Unsicherheit
und damit verbunden die Verunsicherung sehr groß. Wir müssen achtgeben,  dass die Opposition diese Situation nicht ausnutzt und einen Spaltpilz  in unsere Fraktion trägt.

Wir müssen analysieren, abwägen und am Ende entscheiden, dafür sind
wir vom Wähler beauftragt worden.
Zur Abwägung gehört, dass man verschiedene Wege prüft, aber erkennt, dass wir Risiken, die damit verbunden sind, nicht bis zur Gänze kennen, aber soweit es irgendwie geht zum Wohle unserer Bürger minimieren müssen. Und wir müssen ehrlichkeitshalber zugestehen, dass wir immer vor dem Hintergrund der dann naturgemäß unvollständigen Informationen entscheiden müssen, sich die Welt aber weiterentwickelt und wir nicht davor gefeit sind, dass sich die ein oder andere gemachte Annahme im Nachhinein als nicht richtig herausstellt.

Zur Glaubwürdigkeit unserer Politik gehört es, dazu zu stehen und
nicht der Versuchung zu erliegen, den Anschein zu vermitteln, wir hätten
eine einfache Patentlösung. Unsere Bürger haben den Anspruch auf diese
Glaubwürdigkeit, aber auch auf die Zusage, dass wir alles Erdenkliche tun,
um einen möglichen Schaden soweit es geht von ihnen abzuwenden.

Es ist viel geredet worden über andere Lösungen, die es selbstverständlich
gibt. Insoweit sind ESM und Fiskalpakt nicht die einzig theoretisch möglichen
Wege. Wer ESM und Fiskalpakt ablehnt, muss daher auch klar sagen, welchen anderen Weg er bzw. sie befürwortet. Und dies mit allen Konsequenzen für Risiken und ökonomischen und sozialen Folgen. Für mich gibt es vier wesentliche Wege, wie wir mit der Euro-Krise umgehen können, die ich kurz skizzieren möchte.

Erste Möglichkeit: Verstärkte Inflationspolitik

Die Vereinigten Staaten von Amerika bauen aktuell ihre hohe Verschuldung
durch eine Inflationspolitik ab. Die amerikanische Zentralbank ist im
Gegensatz zur Europäischen Zentralbank (EZB) nicht nur dem Ziel der
Inflationsbekämpfung verpflichtet, sondern darüber hinaus auch wirtschaftspolitischen Zielen. Sie hat keine vergleichbare Unabhängigkeit wie die EZB, die wir auf deutschen Druck hin bei der Euro-Einführung installiert haben. Daher wird in den USA über eine Ausweitung der Geldmenge und über sehr niedrige Referenzzinssätze der effektive Wert der Schulden vermindert.

Wir haben in unserem Land die schmerzhafte Erfahrung gemacht,
wie Inflationspolitik wirkt und wie damit die einfachen Bürger zur Kasse
gebeten werden. Nichts ist unsozialer als Inflationspolitik, denn diejenigen,
die Renten, Gehälter etc. beziehen, sind nicht in der Lage sich davor wirklich
zu schützen, während andere ihr Vermögen in Sicherheit bringen können.
Unsere Fraktion hat sich aufgrund der historischen Erfahrung immer
dafür eingesetzt, dass die Zentralbank – ob Bundesbank oder EZB – unabhängig von politischer Einflussnahme ausschließlich der Inflationsbekämpfung verpflichtet ist. Und dies mit gutem Grund. Ich erinnere daran, dass die Inflationsrate über die letzen Jahre hinweg durchaus niedriger war als in vergleichbaren DM-Zeiten. Ich sehe keine Bereitschaft in unserer Fraktion, von dieser Position abzuweichen und dem Vorbild der amerikanischen Politik zu folgen.

Zweite Möglichkeit: Einrichtung eines Finanzausgleichssystems

In einem Finanzausgleichssystem transferiert derjenige, der als reicher gilt
regelmäßig Mittel in diejenigen Staaten, die als ärmer gelten. Jeder der
sich ein wenig mit dem bestehenden Länderfinanzausgleich beschäftigt
hat, kennt die permanente Diskussion um die falschen Anreizwirkungen
bei allen Beteiligten. Die Geberländer befürchten, dass jeder eigene finanzielle Erfolg weitgehend über den Transfer bei den Nehmerländer landet, weshalb es sich kaum lohnt, weitere Verbesserungen anzustreben. Und den Nehmerländern wird vorgeworfen, dass sie befürchten, dass finanzielle Erfolge letztlich zu verminderten Transfereinnahmen führen, es mithin nicht wirklich zur Verbesserung der eigenen Situation kommt. Deshalb sind die Anreize für Verbesserung gering ausgeprägt. Insgesamt wirkt das System verkrustend und verhindert Reformen und Innovationen.

Wir haben bisher jede Form der Transferunion bzw. Haftungsgemeinschaft
gegeißelt, sei es z.B. über Euro-Bonds, Schuldentilgungsfonds oder Vereinheitlichung der Einlagensicherungsfonds. Dass wir diese Position aufgeben und die Schleusen einer Transferunion zu Lasten des deutschen
Steuerzahlers öffnen sollten, scheint bisher nicht der politische Wille unserer
Fraktion zu sein. Im Gegenteil, wir unterschieden uns an dieser Stelle
fundamental von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, die gerne solche Wege
beschreiten würden, ohne aber den Bürgern die Risiken und Folgen in
Gänze aufzuzeigen.

Dritte Möglichkeit: Auflösung der Euro-Zone

Unabhängig wie eine Auflösung der Euro-Zone im Detail aussehen würde
(Austritt bzw. Ausschluss einzelner Länder; Aufteilung in eine Nord-Euro-
Zone und Süd-Euro-Zone; Zulassung einer parallelen Weichwährung) so
müssen die sehr enge finanz- und wirtschaftspolitischen Bindungen unseres Landes mit dem Euro-Raum und mit der Europäischen Union berücksichtigt werden. Diese sind in den letzten Jahren sehr viel stärker verzahnt worden als wir es uns bei Eintritt in die Währungsunion vorstellten
konnten. Die Auswirkungen eines „Rollback“ wären sehr komplex und tiefgreifend.

Das Auseinanderbrechen des Euros würde zu erheblichen Wechselkursanpassungen führen. Im Grunde würden wir in Deutschland mit einer neuen eigenen Währung eine beachtliche Aufwertung erfahren, die
unsere mühselig in den letzten Jahren erarbeitet Leistungsfähigkeit entwertet.

Die Anstrengungen unserer Arbeitnehmer, u.a. auch durch Lohnverzicht
dokumentiert, und der Unternehmer würden mit einem Schlag
entwertet. Des Weiteren dürfte es aufgrund der Situation der Banken und
Finanzinstitute auch auf den Finanzmärkten zu Turbulenzen führen, was die
Refinanzierung von Unternehmensinvestitionen, aber auch von staatlichen
Defiziten erschweren würde. Solche Erstrundeneffekte sind schon tiefgreifend, aber noch halbwegs kalkulierbar. Die viel größere Gefahr besteht in den sog. Zweit- und Drittrundeneffekte, die sich in einer solch komplexen Situation zweitverzögert ergeben würden, die aber niemand wirklich vorhersehen kann. Die Auswirkungen insgesamt würden uns erheblich treffen und zu wirtschafts- und sozialpolitischen Verwerfungen führen.

Des Weiteren würden wir wieder als eine Art „Einzelkämpfer“ auf der internationalen Bühne auftreten. Dieser Versuch würde scheitern, denn unser Land würde für sich allein kaum im Konzert der großen Wirtschaftsräume wie Nordamerika und der BRIC-Staaten wahrnehmbar sein. Es gilt die alte Weisheit: Jeder in Europa ist für sich allein viel zu klein, um in diesem Konzert eine wirkliche Rolle spielen zu können. Nur gemeinsam können wir unsere Position einbringen.

Ich sehe daher nicht, dass die Rückkehr zu nationalen Währungen ein
Zukunftsmodell ist, das aus Sicht unserer Fraktion für Deutschland
und Europa erstrebenswert wäre.

Vierte Möglichkeit: Solidarische Hilfen, aber nur bei Solidität

Wenn wir den Strickfehler aus dem bisherigen Europäischen Stabilitätsund
Wachstumspakt erkannt haben (Vergemeinschaftung der Geldpolitik,
bei weitgehend national verantwortete Finanz- und Wirtschaftspolitik),
müssen wir daran arbeiten, diesen zu beseitigen. Dies benötigt Zeit,
gerade weil wir in Europa sehr unterschiedliche Erfahrungen und Kulturen
zusammenbringen müssen. Aber auch, weil Änderungen in den betroffenen
Staaten Zeit in Anspruch nehmen, sowohl in der Umsetzung als auch
in der späteren Wirkung. Diese Unterstützung gewähren wir solidarisch,
wollen aber niemand wie einen Drogensüchtigen abhängig machen.

Daherist und bleibt für uns entscheidend, dass solidarische Hilfen nur dann
gegeben werden können, wenn gleichzeitig Reformen zur Verbesserung
des wirtschaftlichen Wachstums in den Ländern, aber auch eine Konsolidierung der öffentlichen Haushalte erfolgen. Beides trägt dazu bei, dass die Hilfen nicht dauerhaft gewährt werden müssen, sondern gleichzeitig die Grundlage gelegt wird, in absehbarer Zeit wieder auf eigenen Füßen zu stehen. Diese Konditionalität von Hilfen fassen wir mit dem Begriff Solidität zusammen. Der Weg ist für die betroffenen Staaten nicht sehr angenehm, er ist steinig und wird auch durch einige Widerstände begleitet.

Aber auch hier gehört die Glaubwürdigkeit in den betroffenen Staaten, die wir von den politisch Verantwortlichen einfordern müssen: Es ist niemand Externes da, der die Rechnung für diese Staaten wirklich übernimmt. Das müssen die Betroffenen am Ende schon selbst machen. Diesem Modell folgt der ESM und Fiskalpakt, über den an anderer Stelle schon nähere Ausführungen gemacht wurden. Und auch mit einem unbestreitbaren Erfolg, wenn man die Situation in Irland oder Portugal betrachtet und sich nicht allein auf den zweifelsohne schwierigen Fall Griechenland beschränkt.

Auch der ESM und Fiskalpakt wird einer weiteren Entwicklung unterliegen.
Eine weitergehende europäische Integration muss wohl überlegt und
geplant sein, stößt aber nicht überall in Europa auf das gleiche Interesse.
Eine solche Entwicklung hat sich in den Beschlüssen des Rates vom
28./29. Juni angedeutet, wobei ich nochmals betonen möchte, dass dies
keinen Einfluss auf die am 29. Juni 2012 erfolgte Verabschiedung der
Gesetze im Deutschen Bundestag und Bundesrat hatte. Wie in dem
Fraktionsrundschreiben vom 29. Juni 2012 („Fiskalvertrag und ESM sind
Grundpfeiler einer neuen Stabilitätsarchitektur für Europa“) gemeinsam mit
meinem Kollegen Norbert Barthle schon mitgeteilt, sind Änderungen
grundsätzlich möglich, wenn gewisse hohe Hürden als strikte Voraussetzungen genommen würden und wenn – das ist für uns als Abgeordnete zentral – wir über die im jetzt verabschiedeten Gesetze verankerten Mitbestimmungsrechte des Bundestages diesen Änderungen auch explizit zugestimmt haben.

Dies alles ist aber zurzeit noch Zukunftsmusik.
Es bleibt bei der engen Konditionalität für Hilfen und beim großen Einfluss
des deutschen Parlaments auf Entscheidungen zur Euro-Stabilisierung.

Deswegen kann ich die Aufregung nicht nachvollziehen, die sich in der
Öffentlichkeit aus den Gipfelbeschlüsse ergeben hat und auch nicht die
voreiligen Medienmeldungen, die Kanzelerin sei von ihren Zielen abgerückt.
Nochmals: Wenn man in Ruhe analysiert, was wirklich entschieden
wurde, zeigt sich: Die Kanzlerin steht zu ihren Zusagen. Sie kämpft für
unsere Interessen, auch gegen manch hartem Widerstand anderer europäischer Staaten. Wir sollten nicht der Opposition auf den Leim gehen, die alles tut, um die Erfolge unserer Kanzlerin Dr. Angela Merkel madig zu
machen und auch nicht jeder Berichterstattung der Medien als endgültige
Wahrheit betrachten.

Eine genauere Analyse lohnt sich immer.