Ruprecht Polenz Rede im Deutschen Bundestag im Wortlaut
Ruprecht Polenz (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte über die transatlantischen Beziehungen ist im Grunde eine Debatte über unser außenpolitisches Koordinatensystem. Ich sage das deshalb, weil ich diese Beziehungen von den etwas inflationär entstehenden strategischen Partnerschaften unterscheiden möchte.
Die Vereinigten Staaten sind ein wesentlicher Bestandteil unseres außenpolitischen Koordinatensystems, und zwar in dem Sinne, dass uns dieses Koordinatensystem Anhaltspunkte dafür gibt, wie wir andere Bereiche einordnen und mit anderen außenpolitischen Themen umgehen. In diesem Zusammenhang ist als zweite große Koordinatenlinie die deutsch-französische Freundschaft zu nennen, die wir im Rahmen des Weimarer Dreiecks jetzt um die Achse nach Warschau verlängern und in die europäische Einigung einbetten. Als dritte Koordinatenlinie ‑ um den Rang deutlich zu machen ‑ möchte ich die Sonderbeziehung Deutschlands zu Israel anführen. Das ist das außenpolitische Koordinatensystem Deutschlands.
Gute transatlantische Beziehungen sind also wichtig für die Einordnung von Themen. Das ist in einer unübersichtlicher gewordenen Welt nicht immer einfach. Warum aber ist es so wichtig, gute transatlantische Beziehungen zu haben, sodass wir bei anderen Themen die Frage immer mit im Auge behalten: Welche Auswirkungen hat unser Verhalten in dieser oder jener Frage auf die transatlantischen Beziehungen? Verbessert es sie, stärkt es sie, oder würde es sie schwächen?
Außenpolitik heißt ja, dass wir unsere Interessen verfolgen und dass wir das von einer wertegeleiteten Basis her tun. Nun können Werte und Interessen miteinander in Konflikt geraten. Aber im Verhältnis zu den USA ist es so, dass unsere Werte und unsere Interessen in sehr hohem Maße übereinstimmen.
Sie sind nicht deckungsgleich oder identisch. Es gibt durchaus Handelskonflikte mit den USA, es hat auch durch den wirtschaftlichen Wettbewerb immer Situationen gegeben, in denen man bis hin zur Anrufung von internationalen Schiedsgerichten um eine Klärung nachsuchen musste. Aber uns verbindet doch die Grundüberzeugung, dass Freihandel und Marktwirtschaft für die Völker dieser Welt wohlfahrtsfördernd sind und dass wir uns dafür gemeinsam einsetzen sollten.
Was die Werte angeht: Ja, es ist richtig: Wir versuchen, unsere amerikanischen Freunde davon zu überzeugen, die Todesstrafe endlich abzuschaffen. Wir haben auch Probleme damit, zu verstehen, dass in Amerika tatsächlich Menschen glauben, man könne ohne eine gesetzlich verpflichtende Krankenversicherung auskommen.
Aber trotzdem verbindet uns ein Freiheitsverständnis, ein gemeinsames Verständnis der Menschenrechte, von Rechtsstaat und Demokratie. Das ist zusätzlich zu den historischen Erfahrungen die gemeinsame Basis, die uns mit den Amerikanern verbindet.
Auch nach meiner Überzeugung sind die USA in der multipolaren Welt des 21. Jahrhunderts noch über Jahrzehnte hinweg mit Abstand die Nummer eins. Sie erbringen gegenwärtig ein Viertel der Weltwirtschaftsleistung und verfügen über eine große Innovationskraft. Die Attraktivität ihrer wissenschaftlichen Einrichtungen ist groß; 800 000 Studenten, die besten Köpfe aus aller Welt, studieren in den USA. Wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf: Die Amerikaner nutzen dieses Potenzial wesentlich intelligenter als wir, indem sie denen, die nach dem Studium dort bleiben wollen, diese Möglichkeit eröffnen,
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
während wir, kaum hat man das Examen oder die Promotion abgeschlossen, diskret darauf hinweisen, dass jetzt das Aufenthaltsvisum abgelaufen sei.
Amerika verfügt nach wie vor über eine große kulturelle Anziehungskraft. Nicht zu vergessen ist: Die USA haben eine wachsende Bevölkerung. Die amerikanische Bevölkerung wird bis 2030 um etwa 100 Millionen Menschen wachsen; im gleichen Zeitraum wird Europa 100 Millionen Menschen verlieren. Herr Klose hat schon betont, dass die USA auf lange Sicht auch die militärisch stärkste Macht auf dieser Welt sind. Sie sind unser wichtigster Verbündeter, und die NATO ist die Klammer, mit der wir unsere Sicherheit vom Bündnis mit den Amerikanern abhängig machen.
Es ist in der Debatte bereits angesprochen worden: Die USA wenden sich dem Pazifikraum zu. Das ist auch in unserem Interesse; denn die selbsttragenden, den Frieden stabilisierenden Strukturen, die in Europa in den letzten 60 Jahren ‑ denken Sie etwa an die Europäische Union! ‑ unter tatkräftiger Mithilfe der Amerikaner entstanden sind, fehlen in Asien völlig. Es gibt in Asien keinerlei vertrauensbildende, länderübergreifende Mechanismen oder Maßnahmen. Wir beobachten im Fernsehen, wie chinesische und japanische Schiffe vor einer Insel fast kollidieren, und müssen wissen: Es gibt kein rotes Telefon für Gespräche zwischen Peking und Tokio. Das Fehlen solcher Strukturen verlangt danach, dass sich Amerika als Ordnungsmacht diesem Raum zuwendet. Das ist in unserem Interesse. Wir wenden uns diesem Raum - das ist schon gesagt worden - in anderer Weise ebenfalls zu.
Es ist hier schon darauf hingewiesen worden: Wir müssen selber etwas dafür tun, die transatlantischen Beziehungen auch in Zukunft mit Leben zu erfüllen. Der Gedanke einer transatlantischen Freihandelszone sollte nicht nur auf dem Papier stehen; er muss jetzt mit Leben erfüllt werden. Die Zeit ist reif dafür,
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
einen gemeinsamen Markt für über 800 Millionen Menschen zu schaffen, mit großen Wohlfahrtsgewinnen für beide Kontinente. Gerade in der jetzigen Wirtschafts- und Finanzkrise sind solche Visionen und Perspektiven notwendig.
Meine Damen und Herren, die transatlantischen Beziehungen, die Freundschaft zwischen Deutschland und den USA, will gepflegt werden; sie muss gelebt werden. Unser Kollege Hans-Ulrich Klose hat das in beispielhafter Weise über lange Jahre hinweg in vielfältigen Funktionen getan. Lieber Herr Klose, dafür möchte auch ich mich ganz persönlich bei Ihnen bedanken. Ich wünsche Ihnen weiterhin alles Gute.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)