Ruprecht Polenz

Mitwirkung des Deutschen Bundestages bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr (Auslandseinsätzemitwirkungsgesetz) - Rede im Deutschen Bundestag am 3. Dezember 2004

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Das Gesetz, das die Koalition heute vorlegt, schreibt das bisherige Verfahren fest und macht es vielleicht etwas praktikabler, gibt aber keinerlei Antwort auf Fragen, die aus zukünftig absehbaren Entwicklungen resultieren, und wird deshalb in Kürze überholt sein.
Es ist absehbar, dass wir auf die Notwendigkeit schneller und tragfähiger Entscheidungen über die Beteiligung deutscher Kontingente am bündnisgemeinsamen Einsatz reagieren müssen. Dies steht in einem Spannungsverhältnis zur demokratisch-parlamentarischen Legitimation. Herr Kollege Weisskirchen, wenn wir gemeinsam daran festhalten wollen, dass multilaterales Handeln Grundsatz deutscher Außenpolitik ist und dass wir in Zukunft mehr Integration unserer Streitkräfte in Europa brauchen, weil das angesichts knapper Kassen der einzige Weg ist, unsere Fähigkeiten in Europa zu erhöhen, dann müssen wir auch hinsichtlich der Parlamentsbeteiligung über die Folgen nachdenken. Das haben Sie nicht getan.

Das Europa der EU gibt 60 Prozent der US-Budgets für Verteidigung aus. Wir haben sogar 600 000 Soldaten mehr als die Amerikaner, aber die Fähigkeiten bleiben bekanntermaßen deutlich hinter denen der Amerikaner zurück. Angesichts knapper Kassen können wir hier nur Ausgleich finden, wenn wir in Europa mehr gemeinsam machen.

Der erste Schritt zu mehr Gemeinsamkeit wird der europäische Lufttransport sein. Weitere Schritte folgen. Dieses Mehr an vertiefter militärischer Integration ist nur möglich, wenn man sich aufeinander verlassen kann und wenn die Entscheidung, ob man sich beteiligt oder nicht, diese vertiefte militärische Integration nicht infrage stellt. Damit geht zwangsläufig ein Verzicht auf bestimmte Handlungsoptionen einher. Wenn Sie sich vor dieser Frage drücken, werden Sie der Sache nicht gerecht. Das hat auch etwas mit bestimmten Formen von Souveränitätsverzicht, den man in Zukunft leisten muss, und damit zu tun, dass das Folgen für die Art und Weise der demokratischen Legitimation hat. Auf diese Frage geben Sie in Ihrem Gesetzentwurf keine Antwort.

Kollege Weisskirchen, das Kernelement der vertieften Integration ist die NATO Response Force. Das ist das Schlüsselprojekt der Allianz. Deutschland hat dieser Einrichtung in Prag zugestimmt. Ihre Besonderheit liegt darin, dass die NATO Response Force weltweit innerhalb von fünf bis 30 Tagen einsetzbar sein soll und ein breites Aufgabenspektrum – von Peacekeeping zu Kampf- und Antiterroreinsätzen – abdecken soll. Die NATO Response Force ist keine stehende Streitmacht, sondern sie besteht aus Verbänden, die von den Mitgliedstaaten nach einem Rotationsmodell bereitgestellt werden. Die Einheiten der Bundeswehr – so ist das vorgesehen – sollen in jeden Zyklus entsprechend dem tatsächlichen Gewicht und der beabsichtigten künftigen Rolle Deutschlands in der NATO eingebunden sein. Ab Oktober 2006 soll das ganze Unternehmen voll einsatzfähig sein. Sie drücken sich davor, zu sagen, dass die NATO Response Force zwingend eine Reform unseres politischen Entscheidungsprozesses erfordert, weil der NATO-Einsatzbefehl für die NRF-Truppen innerhalb weniger Tage erfolgen kann. Die erfolgreiche Ausführung eines solchen Befehls hängt nämlich von der Bereitschaft aller Nationen ab, die zugesagten Fähigkeiten für solche Einsätze bereitzustellen. Wenn die deutschen Kräfte nicht mit hinreichender Verlässlichkeit bereitstehen, dann besteht die Gefahr, dass man, weil die NATO Response Force insgesamt einsetzbar ist, in eine Koalition der Willigen ausweicht, was wir alle nicht wollen.

Jetzt müssen Sie sich Folgendes vor Augen halten: Die Entscheidung über die NATO Response Force – sie soll innerhalb von drei bis 50 Tagen einsetzbar sein – ist von großer Eilbedürftigkeit geprägt. Das Zustimmungsverfahren innerhalb der NATO erfolgt – auch wenn sich Kollege Beck das nicht vorstellen kann – innerhalb weniger Tage. Wenn ausgearbeitete Eventualpläne vorliegen, geht das sehr zügig. Natürlich dauert das Verfahren der Parlamentsbeteiligung deutlich länger. Das ist dann der Fall, Kollege Wiefelspütz, wenn es einen Dissens gibt. Aber das mag im Geschäftsordnungsausschuss, der bei den Beratungen die Federführung hatte, nicht ins Gewicht gefallen sein. Sie haben wahrscheinlich gedacht: In den Parlamentsferien kann es keine Krise geben; denn sonst hätten Sie die Antworten, die Sie vorschlagen, so nicht geben können.

Die Übertragung der Befehlsbefugnis kann erst mit der Zustimmung des Parlaments erfolgen. Also müssen wir zu anderen Lösungen kommen.

Sie sagen – dadurch beruhigen Sie diejenigen, die in Ihren eigenen Reihen diese Fragen gestellt haben- : Es gibt die Regelung „Gefahr im Verzug“. Man muss allerdings wissen, dass die Regelung „Gefahr im Verzug“ auch in Ihrem Gesetzentwurf als Ausnahmeregelung formuliert ist. Sie bezieht sich auf die absolute Ausnahme. So definiert sie auch der juristische Terminus. Das Problem dabei ist: Wenn Sie die Regelung Gefahr im Verzug“ als generelle Anwendungsregelung für den Einsatz der NRF vorsehen bzw. wenn die NRF ihrem Zweck entsprechend – sie soll schnell eingesetzt werden – eingesetzt wird, dann nutzen Sie systematisch die für Ausnahmefälle bestimmte Regelung „Gefahr im Verzug“. Damit widersprechen Sie den Intentionen des Bundesverfassungsgerichts, das ein solches Vorgehen nur als Ausnahme vorgesehen hat. Für Sie ist „Gefahr im Verzug“ sozusagen die Regelermächtigung für NRF-Einsätze. Das ist allerdings verfassungsrechtlich nicht zulässig.

Ein Zweites, Herr Nachtwei: In keinem Fall abgedeckt durch eine Gefahr-im-Verzug-Regelung ist eine rasche Entscheidung über den Einsatz der NATO Response Force dann, wenn das zwar aus politischen Gründen angezeigt und wünschenswert sein mag, aber aus militärischer Sicht zweifelsfrei keine Gefahr im Verzug vorliegt. Dann können Sie in keinem Fall auf diese Regelung zurückgreifen; gerade bei Krisenprävention oder Diplomatieunterstützung – beides ebenfalls Aufgaben der NATO Response Force – können solche Situationen eintreten.

Das Gesetz wird also im Hinblick auf die künftige Integration und auf das Kernelement künftiger NATO Strategien den Anforderungen erkennbar nicht gerecht. Es wäre besser gewesen, Sie hätten sich etwas mehr Zeit gelassen und sich mit uns über diese Fragen intensiver ausgetauscht. So werden wir – das prophezeie ich Ihnen, Herr Kollege Erler – in spätestens zwei Jahren wieder hier sitzen und schauen müssen, wie wir die Fragen, die ich gerade angesprochen habe, dann besser regeln. Vielen Dank.