Ruprecht Polenz

Es könnte klappen - Der „Kommentar aus Berlin“ für den Handorfer Rundblick zu den Chancen einer großen Koalition, Deutschland aus der Krise zu führen

Der Souverän, das Volk hat entschieden. Aber was wollten die Wählerinnen und Wähler der Politik am 18. September für die nächsten vier Jahre mit auf den Weg geben?
Es soll in Berlin nicht so weitergehen wie bisher – deshalb wurde Rot-Grün abgewählt. Grundlegend anders sollen die politischen Weichen aber auch nicht gestellt werden – deshalb hat Schwarz-Gelb keine Mehrheit erhalten. Reformen ja, aber nicht zu rigoros; Veränderungen ja, aber nicht zu viele und vor allem sozial abgefedert – das scheint mir der „Wählerwille“ des 18. September zu sein.

Aber ob das reichen wird, um mit Massenarbeitslosigkeit, Rekordverschuldung und den tief greifenden Problemen bei Rente, Pflege und Gesundheit fertig zu werden? Und hier erwarten, da bin ich ganz sicher, die Wählerinnen und Wähler Erfolge in den nächsten vier Jahren.

Das Wahlergebnis stellt der Politik keine leichte Aufgabe. Es muss jetzt zusammenfinden, was nicht zusammengehen wollte. Eher Zwangsehe als Liebesheirat.

Die Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD sind in vollem Gang, während ich diesen Artikel schreibe. Soeben höre ich vom Rückzug Münteferings vom Amt als SPD-Parteivorsitzender. Keine gute Nachricht für die weiteren Koalitionsverhandlungen, die hoffentlich trotzdem zu einem guten Abschluss gebracht werden. Deutschland braucht möglichst bald eine starke und handlungsfähige Regierung! Am 22. November soll Angela Merkel zur ersten Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland gewählt werden, nachdem zuvor Parteitage von CDU, CSU und SPD den Koalitionsvertrag der großen Koalition gebilligt haben.

Man muss kein Prophet sein um vorauszusagen, dass in manchen Politikfeldern wenig mehr als der kleinste gemeinsame Nenner herauskommen wird, so wahrscheinlich bei Reformen des Arbeitsmarktes und des Arbeitsrechts. Hier sieht die SPD mit Rücksicht auf Gewerkschaftsinteressen kaum Bewegungsspielraum. Wahrscheinlich wird es auch nicht gelingen, sich auf grundlegende Reformen unseres Gesundheitswesens zu verständigen, denn zu weit liegen hier die Vorstellungen von Union und SPD auseinander.

Aber bei der Föderalismusreform könnte durchaus ein großer Wurf zur Modernisierung unseres Staates gelingen. Wenn dadurch Verantwortlichkeiten zwischen Bund und Ländern wieder klarer voneinander getrennt werden, wird dies viele politische Entscheidungen beschleunigen und in vielen Fällen erst möglich machen, weil nicht länger die Zustimmung von Bundestag und Bundesrat und damit praktisch aller Parteien erforderlich ist.

Bei der Stabilisierung der Altersvorsorge wird die Bevölkerung sowieso nur dann das notwendige Vertrauen in die langfristige Tragfähigkeit einer Lösung haben, wenn diese von den beiden großen Volksparteien gemeinsam getragen wird. Hier steht die große Koalition vor der großen Herausforderung, einen gerechten und tragfähigen Ausgleich zwischen Beitragszahlern und Leistungsempfängern zu finden, der in einer berechenbaren neuen Rentenformel verlässlich zum Ausdruck kommt. Wirtschaftsentwicklung und (wegen des Geburtenrückgangs stetig abnehmende) Bevölkerungsentwicklung müssen in sie genauso Eingang finden wie die (wegen steigender Lebenserwartung stetig wachsende) durchschnittliche Dauer des Rentenbezugs. In jedem Fall muss man außerdem durch Sparen Vorsorge treffen für sein Alter, wenn der Lebensstandard auch nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben in etwa erhalten werden soll. Hier sollte die große Koalition eine deutliche Vereinfachung der sog. Riester-Rente beschließen.

Um eine Aufgabe kann sich die Politik nicht länger herumdrücken: die große Koalition muss Schluss machen mit der jahrzehntelangen(!) Praxis aller(!) Regierungen, dass der Staat mehr ausgibt als er einnimmt und die so entstehenden Lücken durch immer neue Schulden schließt. Und sie muss dies vor allem durch Kürzungen bei den Ausgaben erreichen. Das wird nicht einfach sein. Denn das ist ja das Fatale an Subventionen, die zu Recht auch als „süßes Gift“ bezeichnet werden: die Empfänger haben sich an die Vergünstigungen gewöhnt.

Was sollten wir noch von der großen Koalition erwarten: Fortschritte bei der Vereinfachung unseres undurchschaubaren und überkomplizierten Steuerrechts und bei der Entbürokratisierung. Dazu neue Akzente in der Familienpolitik und besondere Schwerpunkte bei der Förderung von Bildung und Forschung.

Gemessen wird die große Koalition – und das ist allen Beteiligten klar – letztlich daran, ob es gelingt, die Weichen für Wachstum und Beschäftigung zu stellen und so eine dauerhafte Trendwende auf dem Arbeitsmarkt herbeizuführen. Dies wird ganz wesentlich davon abhängen, ob es der großen Koalition gelingt, einen Stimmungswandel in Deutschland herbeizuführen. Denn ohne Aufbruchstimmung und ohne das Gefühl „es könnte klappen“ lässt sich nichts bewegen.

Deshalb zum Schluss eine Bitte: Sie haben – jedenfalls im Ergebnis – die große Koalition gewählt. Sie sollten ihr jetzt auch eine Chance geben: Es könnte klappen.