Am kommenden Freitag stellt der Bundeskanzler im Deutschen Bundestag die Vertrauensfrage. Die Bilanz der sieben Jahre Regierung Schröder-Fischer lautet: Wenig ist besser, vieles schlechter geworden. Deutschland hat nach wie vor die Potentiale, wieder nach vorne zu kommen, aber es wird bis heute unter Wert regiert. Im Rückblick wird deutlich, wie sehr die rot-grüne Koalition für eine Politik steht, die in den verschiedensten Politikfeldern mit Aktion beginnt, aber regelmäßig in Aktionismus übergeht; eine Politik, die Beweglichkeit zeigen will, aber sich allzu häufig in Beliebigkeit verliert; eine Politik, die die Bürger mit immer neuen Reformansätzen konfrontiert, denen dann die Reformabbrüche auf dem Fuße folgen.
Die Regierung hat in der Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialpolitik ungeachtet einiger richtiger Vorstöße letztlich ohne Richtung, ohne Ziel, ohne Ausdauer und ohne Plan gearbeitet. Kam sie unter Druck, führten die alten Reflexe zu bürokratischen Regeln und zentralistischen Vorgaben. So wurde politisches Vertrauen aufgebraucht. Im Ergebnis hat Deutschland volkswirtschaftliche Substanz verloren und ist im europäischen wie internationalen Maßstab weit zurückgefallen.
Die Europa-, Außen- und Sicherheitspolitik wird bis in diese Wochen hinein vorrangig aus innenpolitischen und taktischen Motiven heraus betrieben, das Verständnis für historische Linien und internationale Zusammenhänge hat sich dabei als gefährlich unterentwickelt erwiesen. Deutschland hat dadurch gegenüber seinen Nachbarn, Freunden und Partnern an Vertrauen verloren. Seine Bewegungsspielräume sind enger geworden, deutsche Interessen haben wiederholt Schaden genommen.
Die Innen- und Gesellschaftspolitik von Rot-Grün war stark ideologisch gefärbt. Mit der doppelten Staatsangehörigkeit und den ursprünglichen Zuwanderungsregeln sollte der Weg zu einer sogenannten multikulturellen Gesellschaft eingeschlagen werden. Mit der Ökosteuer wollte man die Menschen drängen, auf individuelle Mobilität zu verzichten. Mit den Vorstößen zu einer Angleichung der gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften an die grundgesetzlich geschützte Ehe ging man weit über den Schutz vor Diskriminierung hinaus und nahm in Kauf, dass dadurch Ehe und Familie als Keimzellen unserer Gesellschaft relativiert wurden. Zuletzt hat man den Versuch unternommen, mit dem Antidiskrimierungsgesetz durch Rechtsanwälte und Gerichte ein moralisches Wohlverhalten der Bürger in ihren persönlichen Angelegenheiten erzwingen zu können.
Dieser Politikansatz ist gescheitert. Rot-Grün ist zwar wenige Jahre vor Beginn des 21. Jahrhunderts in Regierungsverantwortung gekommen, findet aber bis heute nicht zu Antworten, die zu den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts auch wirklich passen.
Die Menschen spüren, dass es Zeit für einen Wechsel ist, einen Wechsel in Inhalt wie Stil von Politik. Die Menschen sehen, dass es ein Zurück in die Vergangenheit nicht gibt. Sie wollen, dass Deutschland seine Chancen in der Globalisierung nutzt. Sie suchen Halt und Sicherheit unter veränderten Bedingungen. Sie verlangen von der Politik eine klare Prioritätensetzung und den langen Atem, die gesetzten Ziele auch zu erreichen. Es muss sich also grundlegend etwas ändern, damit es auch grundlegend wieder besser werden kann. CDU und CSU sind dazu bereit.
• SPD und Grüne: Symbolpolitik ohne Sinn. Mit der Formulierung ihrer Wahlkampfpositionen werden SPD und Grüne den Anforderungen unserer Zeit nicht gerecht:
- Von der „Agenda 2010“ wird in wichtigen Teilen abgerückt: Beim Arbeitslosengeld II wird unter Inkaufnahme von hohen Mehrkosten der Starttermin für ältere Sozialhilfeempfänger um mehrere Jahre verschoben. Die Begründung mit der derzeitig schlechten Arbeitsmarktlage legt nahe, dass unter Rot-Grün der Start niemals kommen wird.
- Die Zumutbarkeitsanforderungen sollen abgeschwächt werden; mit der flächendeckenden Einführung von tariflichen und gesetzlichen Mindestlöhnen wird der Weg zurück in Arbeit für einen Großteil der Langzeitarbeitslosen bewusst verstellt.
- Deutliche Steuersenkungen für Unternehmen bei der Körperschafts- und der Erbschaftsteuer wurden bis vor wenigen Wochen damit begründet, sie seien für die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland notwendig. Jetzt werden die Pläne nicht mehr ernsthaft verfolgt bzw. mit Forderungen nach Erhöhung der Mindestbesteuerung ins Gegenteil verkehrt.
- Stattdessen soll eine Sonderabgabe für „Reiche“ eingeführt werden. Bis zur Ankündigung von Neuwahlen hat die Regierung Schröder damit geworben, sie habe den Spitzensteuersatz in sieben Jahren um 11 Prozentpunkte gesenkt und dazu eine großzügige Amnestie eingeführt, die genau der richtige Weg sei, um Kapital nach Deutschland zurück zuholen. Zur „Reichensteuer“ sagt der Vorsitzende des von der Bundesregierung berufenen Sachverständigenrates und SPD-Mitglied Bert Rürup: „Das ist reine Symbolpolitik ohne ökonomischen Sinn.“ (Quelle: Die Welt 27.6.2005)
- Als Antwort auf die Herausforderungen von EU-Osterweiterung und Globalisierung setzen SPD und Grüne zunehmend auf nationale Abschottung. Dabei verstricken sie sich in zahlreiche Widersprüche: Wollen ausländische Investoren ihr Kapital in Deutschland investieren, werden sie als „Heuschrecken“ beschimpft. Wollen deutsche Investoren zur Absicherung ihrer heimischen Betriebe im Ausland investieren, verhalten sie sich „unpatriotisch“. Lassen die ost- und mitteleuropäischen Staaten zu, dass ihre Arbeitnehmer in Deutschland arbeiten, handelt es sich um „Lohndrückerei“. Versuchen dieselben Staaten, ihre Arbeitnehmer durch attraktive Unternehmensbedingungen bei sich zu halten, betreiben sie „Steuerdumping“ und „missbrauchen“ EU-Gelder.
Fazit: Das alles passt nicht zusammen und ist weit entfernt von einem Gesamtkonzept, wie Deutschland seine Chancen in einer sich verändernden Welt besser nutzen kann.
Was macht Rot-Grün ?
• Rot-Grün: Der Graben vertieft sich. Die zahlreichen Absagen führender SPD-Politiker an eine Fortsetzung der rot-grünen Koalition bis hin zur generellen Infragestellung des gesamten „Projekts“ der vergangenen sieben Jahre führen zu deutlichen Gegenreaktionen der Grünen:
- Volker Beck, Parlamentarischer Geschäftsführer der grünen Bundestagsfraktion, geht gegenüber der SPD in die Offensive: „Wenn die SPD eine rot-grüne Auseinandersetzung haben will, kann sie sie haben.“ (RP 20.6.2005) Grünen-Chef Bütikofer testiert der SPD „wachsende Orientierungslosigkeit“. (Der Spiegel 25/2005)
- Bei der Bilanz von Rot-Grün im Wahlprogramm der Grünen wird die Schuld für Defizite bei der SPD abgeladen. Dort steht: „Statt Partei für die kleinen und mittleren Unternehmen zu ergreifen, erwies sich die SPD oftmals als strukturkonservative Partei der großen Konzerne.“ Oder: „Es war ein Fehler, die Arbeits-, Wirtschafts- und Sozialpolitik in den letzten Jahren zu stark der SPD zu überlassen, die hier eine Kernkompetenz beansprucht, aber vielfach nicht einlöst.“
• Widerspruch zu Schröders Stammzellen-Vorstoß: Die Ankündigung von Bundeskanzler Schröder, die Forschung an Embryonen zu erleichtern, stößt auch in den Reihen von SPD und Grünen auf Kritik. Der SPD-Obmann in der Bioethik-Enquetekommission, Wolfgang Wodarg, warnt davor, Tabus zu überschreiten und die Chancen der Stammzellenforschung zu überschätzen. Wer wie Herr Schröder Forschungsergebnisse aus Südkorea lobe, müsse ehrlich sagen, dass dort „Menschen verarbeitet werden“. Auch der stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Fraktion, Reinhard Loske, spricht sich gegen eine Liberalisierung der derzeitigen Regelung aus. Und die Obfrau der Grünen in der Enquetekommission warnt vor einer „Degradierung des menschlichen Körpers zur Ware“. (Quelle: KNA 14.6.2005)
• Rechnungshof wirft Trittin Verstoß gegen Vergabe- und Haushaltsrecht vor: Der Bundesrechnungshof hat die Auftragsvergabe des Umweltministeriums an eine auch für die Grünen tätige Werbeagentur gerügt. In sechs von sieben überprüften Fällen mit einem Gesamtvolumen von 1,36 Millionen Euro seien die Aufträge „freihändig ohne Wettbewerb vergeben“ worden, heißt es in einem Bericht des Rechnungshofes. Damit habe das Trittin-Ministerium „die Grundsätze des Wettbewerbs, der Chancengleichheit und der Transparenz verletzt“. Auch gegen das Haushaltsrecht sei verstoßen worden. Die Rechnungsprüfer bezweifeln außerdem, dass das Ministerium mit der Finanzierung eines Empfangs für Abgeordnete, Vertreter der Wirtschaft, der Medien und der Umweltorganisationen im Zusammenhang mit der Abschaltung des AKW Stade „die vom Bundesverfassungsgericht für die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung gezogenen Grenzen beachtet hat“. (Quelle: Die Welt 22.6.2005)