Rede von Ruprecht Polenz im Deutschen Bundestag am 12. Februar 2004 im Rahmen der Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP Zulassung aller Kandidaten und Kandidatinnen zu den Wahlen im Iran
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Es ist nicht schwer vorherzusagen, dass die iranischen Autoritäten den Appell des Bundestages verärgert als, wie sie sagen werden, Einmischung in die inneren Angelegenheiten zurückweisen werden. Vielleicht verweisen sie auch noch darauf, dass es völlig verfassungsmäßig gewesen sei, dass der Wächterrat von den 8 000 Kandidaten für die Parlamentswahl mehr als 2 000 endgültig ausgeschlossen hat, darunter auch 82 Mitglieder des derzeitigen Parlaments.
Aber die iranische Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi verweist in einem „Stern“-Interview darauf:
Der Wächterrat wurde ins Leben gerufen, damit er die Wahlen beaufsichtige und politische Einmischung in die Kandidatenauswahl verhindere. Anschließend hat ein konservatives Parlament jenes Gesetz verabschiedet, mit dem der Wächterrat jeden Kandidaten einfach von Wahlen ausschließen kann. Aber dieses Gesetz steht im Widerspruch zum Geist unserer Verfassung. Entweder es gibt freie Wahlen und jeder kann wählen, wen er will, oder das Ergebnis ist nicht respektabel.
Nahezu wörtlich dieselbe Auffassung hat Großayatollah Hossein Ali Montazeri vertreten, immerhin selbst einer der Väter der iranischen Verfassung. In einem Interview mit der italienischen Zeitung „Corriere della Sera“ stellt er darüber hinaus fest:
Folglich haben wir heute anstelle von freien Wahlen eine Auswahl, die von einer einzelnen Fraktion des Wahlwettbewerbs durchgeführt wurde. Dies alles ist illegal und gegen die Verfassung.
Es ist also keine unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Irans, wenn der Deutsche Bundestag diese inneriranische Kritik aufgreift und die Vorgehensweise der iranischen Autoritäten nicht einfach auf sich beruhen lässt.
Dies gilt insbesondere für die Ablehnung unserer Kolleginnen und Kollegen im iranischen Parlament, denen nicht nur eine erneute Kandidatur verboten wurde, sondern die darüber hinaus auch noch befürchten müssen, wegen ihrer Rücktrittserklärung kriminalisiert zu werden. Sie hätten damit, so heißt es, eine religiöse Sünde begangen. Aus dem Justizministerium wird dafür bereits die Todesstrafe gefordert.
Die Verabschiedung unseres gemeinsamen Antrages ist das Mindeste, was wir für diese Kolleginnen und Kollegen tun können. Ich denke, wir alle erwarten auch von der Bundesregierung, dass sie hier die weitere Entwicklung nicht nur mit größter Aufmerksamkeit beobachtet, sondern auch alles in ihren Kräften Stehende tut, um diese Parlamentarier wenigstens vor weiterer politischer Verfolgung zu schützen.
Nach diesen Vorkommnissen wird man von Wahlen im Iran, die diesen Namen verdienen, erst wieder sprechen können, wenn sie unter internationaler Aufsicht der Vereinten Nationen stattfinden.
Auf was müssen wir uns in der Zukunft einrichten? Mit der Manipulation der Wahlen wird keines der drängenden Probleme des Irans gelöst. Im Gegenteil: Die Lösung wird erschwert, weil das demokratische Element in der iranischen Verfassung weiter geschwächt wird. Die notwendige allgemeine Aufbruchstimmung zur Überwindung der tiefen wirtschaftlichen Stagnation und zur Bekämpfung der hohen Arbeitslosigkeit, insbesondere der Arbeitslosigkeit bei den Jugendlichen, lässt sich so nicht erzeugen. Im Gegenteil: Die schon heute zu beobachtende Apathie wird zunehmen. Das ist kein gutes Klima für Investitionen aus dem Ausland, auf die der Iran so dringend angewiesen ist.
Zu befürchten ist, dass die Presse- und Meinungsfreiheit weiter unter Druck gerät, dass weiter unliebsame Zeitungen geschlossen werden, diesmal aber auf lange Zeit, weil es keine Regierungsstelle mehr geben wird, die eine Neueröffnung erlaubt. Der Justizapparat wird nicht mehr durch gewählte Regierungsvertreter gemäßigt werden. Für die Menschenrechte im Iran befürchte ich deshalb erhebliche Verschlechterungen.
Außenpolitisch wird der Iran weiterhin grundsätzlich an Stabilität in Afghanistan und im Irak interessiert bleiben und insoweit seine bisherige durchaus konstruktive Rolle nicht verändern. Gleiches dürfte für die Nuklearpolitik gelten. Schließlich hat der Generalsekretär des Nationalen Sicherheitsrats, Rowhani, die iranische Zustimmung zum Ergänzungsprotokoll zum Atomwaffensperrvertrag selbst verhandelt. Rowhanis Einfluss dürfte ja nach dem 20. Februar 2004 eher weiter wachsen. Es könnte sogar sein, dass die so genannten pragmatischen Konservativen vorsichtig auf eine Verbesserung des Verhältnisses zu den USA hinarbeiten. Das läge auch in unserem Interesse. Deshalb sollte die Bundesregierung sondieren, ob und inwieweit sie dabei behilflich sein kann.
Damit bin ich bei ein paar Schlussfolgerungen für die deutsche Politik. Präsident Chatami hat die bevorstehenden Wahlen wiederholt als unfair kritisiert. Die Friedensnobelpreisträgerin Ebadi ist deutlicher geworden und hat gesagt, dass das kommende Parlament unter diesen Umständen keine Legitimation besitzen wird. Das muss auch in der Art und Weise unserer künftigen Kontakte seinen Niederschlag finden. Natürlich werden wir auch in Zukunft mit Abgeordneten des Madschlis sprechen; wir tun dies ja auch mit Mitgliedern anderer Parlamente, die nicht aus freien und fairen Wahlen hervorgegangen sind. Aber gleichzeitig müssen wir die Kontakte zu Vertretern von Gruppen außerhalb des Parlaments intensivieren, wenn wir uns ein realistisches und repräsentatives Bild von der Lage im Iran machen wollen.
Die Gesprächsthemen werden sich nicht verändern. Wir bleiben an guten deutsch-iranischen Beziehungen interessiert und wollen sie in wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht weiter ausbauen. Aber wir behalten auch die schwierigen Themen auf der Tagesordnung: die Lage der Menschenrechte, das Thema Massenvernichtungswaffen, den Nahost-Friedensprozess und die iranische Haltung dazu sowie das Thema Terrorismus; es wirft schließlich viele Fragen auf, dass nach einer Meldung in der „Zeit“ diese Woche ein Treffen der Hisbollah, des Islamischen Dschihad, der Hamas und des Ansar al-Islam im Iran stattfindet. Nein, wir dürfen nicht den Eindruck aufkommen lassen, als würden wir über unsere Sicherheitsinteressen das Reformverlangen vergessen. Denn die Erfahrung hat uns gelehrt, dass ohne Demokratie und Menschenrechte auch unsere Sicherheitsinteressen nicht dauerhaft gewahrt werden können.
Nicht zuletzt deshalb hat die Europäische Union auf ihrem Gipfel in Thessaloniki im Juni 2003 festgeschrieben, dass Fortschritte in den Verhandlungen über das Handels- und Kooperationsabkommen wechselseitig von Fortschritten im politischen und im Menschenrechtsdialog abhängig sind. An diesem Grundsatz gilt es festzuhalten. Nach den Ereignissen, die uns zur Verabschiedung des vorliegenden Antrages veranlasst haben, möchte ich hinzufügen: Jetzt erst recht!