Ruprecht Polenz

Die türkische Regierung bei ihrem Bemühen um einen Aussöhnungsprozess mit den Kurden unterstützen - Rede im Deutschen Bundestag

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir debattieren über einen Antrag der Fraktion Die Linke. Dabei bedarf es zunächst einmal einer Klarstellung: Der Antrag verklärt die Rolle der PKK. Das ist das Allerletzte, was einer Lösung des Konflikts dient.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ihre Formulierung, man solle die PKK auffordern, „vom bewaffneten Kampf Abstand zu nehmen“, passt in diesen Jargon. Sie sprechen zwar davon, dass dieser Kampf „auch Opfer in der Zivilbevölkerung“ fordere, unterschlagen aber, dass die PKK zu Recht sowohl in Deutschland als auch in Europa als eine terroristische Organisation eingestuft wird. Deshalb ist es falsch, wenn Sie in Ihrem Statement sagen, das Abstandnehmen vom bewaffneten Kampf setze voraus, dass dieses oder jenes geschehe. Nein, es setzt gar nichts voraus! Die PKK soll endlich mit ihren terroristischen Aktivitäten aufhören.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist eine Vorbedingung für alles Weitere, das im politischen Prozess erfolgen kann.
(Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]:
Wenn Sie genau zugehört hätten, dann habe ich genau das gesagt!)

Ruprecht Polenz:
– Nein, das haben Sie so nicht gesagt.

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an Abg. Hüseyin-Kenan Aydin
[DIE LINKE] gewandt: Das haben Sie nicht gesagt!)

Ruprecht Polenz:
Die PKK agiert auch in Deutschland mit kriminellen Methoden, etwa beim Geldeintreiben. Sie destabilisiert, wie Sie etwa den Aussagen von Talabani entnehmen können, den Nordirak.

Wenn man sich die Schönrederei der terroristischen Organisation PKK in Ihrem Antrag anschaut und sich dann an den Terrorismusvorwurf erinnert, den Ihr Fraktionsvorsitzender gegenüber der NATO erhoben hat, dann muss man schon feststellen, dass Ihnen bei der Frage des Terrorismus die Maßstäbe völlig durcheinandergeraten sind.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe
von der CDU/CSU und der FDP: Nicht nur dort! –

Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]:
Die Frage ist doch, wessen Ergebnis die PKK ist, Herr Polenz!)

Ruprecht Polenz:
Natürlich ist die türkische Regierung durch die Anschläge der PKK unter großen Druck geraten. Über 100 Tote werden beklagt; Teile der Armee nutzen die Empörung darüber gegenüber der türkischen Regierung aus.

Lassen Sie auch mich eine Anmerkung zu der Diskussion um die acht gefangenen Soldaten machen: Es hat mich schon sehr verwundert, dass die türkische Regierung hier zu erkennen gegeben hat, ihr wäre es fast lieber gewesen, diese Soldaten wären gefallen. Die Türkei ist ein NATO-Partner. Ich erwarte von NATO-Partnern, dass sie die Werte, die unserem Bündnis zugrunde liegen, auch in Äußerungen zum Umgang mit eigenen Soldaten zu erkennen geben.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich sehe auch, dass es in der Türkei eine nationalistische Aufwallung gibt, die von der MHP und von Teilen der Medien gesteuert wird. Das macht die Sache in der Tat brisant. Natürlich stimme ich der These zu, dass die Kurdenfrage nur politisch gelöst werden kann. Dazu gehört sicherlich auf der einen Seite, dass der Nordirak jetzt alles unternimmt, damit die Strategie der PKK nicht aufgeht, die am besten in einer Karikatur zusammengefasst ist, die in einer Zeitung erschienen ist: Ein türkischer Panzer wird an einem Seil in den Nordirak gezogen; an dem Seil ziehen die PKK-Kämpfer. Denn es ist ihr Interesse, dass ein militärischer Angriff der Türkei im Nordirak vorgenommen wird. Damit will die PKK verloren gegangenes politisches Terrain wettmachen, denn die AKP, die jetzige Regierungspartei, hatte bei den Wahlen gerade auch in den Kurdengebieten Erfolg. Man versucht jetzt, auf diese Weise verloren gegangene politische Bedeutung zurückzugewinnen.

(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)

Ruprecht Polenz:
Auf dieses Spiel sollte die türkische Regierung nicht hereinfallen. Sie sollte eine Strategie verfolgen, die darauf abzielt, einerseits eine effektive Terrorbekämpfung zu gewährleisten, aber andererseits nie aus dem Auge zu verlieren, dass es darauf ankommt, die kurdische Bevölkerung weiter von der PKK zu trennen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das erreicht man am besten dadurch, dass man eben nicht in den Nordirak einmarschiert; denn das würde der PKK zweifellos neue Rekrutierungsmöglichkeiten eröffnen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will die Gelegenheit nutzen, um auf den EU-Fortschrittsbericht zu verweisen, der der Türkei erneut gravierende Versäumnisse bei der Integration und bei der Lösung des Kurdenproblems ins Stammbuch schreibt.

Natürlich – was heißt „natürlich“? – hat die Türkei nach wie vor ihren Minderheitenbegriff nicht verändert. Er bleibt ein religiöser Minderheitenbegriff. Aber selbst das sollte – wie die EU richtig ausführt – nicht davon abhalten, Sprache, Kultur, Organisations-, Meinungs- und Religionsfreiheit sowie eine effektive Teilhabe aller Bürger in öffentlichen Angelegenheiten zu gewährleisten.

Es war auch bedenklich, dass der Hohe Kommissar für Nationale Minderheiten der OSZE bei seinem letzten Besuch in Ankara keine Erlaubnis erhalten hat, in den Südosten der Türkei zu reisen.

(Zuruf des Abg. Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE])
Lieber Kollege, ich zeige Ihnen ja nur, dass wir uns beide Seiten kritisch anschauen, dass uns aber dabei nicht die Maßstäbe verloren gehen, wie das bei Ihnen offensichtlich der Fall ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Hüseyin- Kenan Aydin [DIE LINKE]:
Das ist bei uns ebenfalls nicht der Fall, wenn Sie zugehört haben!)

Ruprecht Polenz:
Nein, das war bei Ihnen schon der Fall.

Es gibt Fortschritte bei der Pflege des Kurdischen in Radio- und Fernsehprogrammen; allerdings ist die rigide Sprachpolitik der türkischen Regierung im Kern unverändert. Es gibt nach wie vor keine Möglichkeit, im öffentlichen oder privaten Schul- oder Erziehungssystem Kurdisch zu lernen. Auch im öffentlichen Bereich ist jede andere Sprache als die Türkische als illegal angesehen.

Natürlich bleibt die Situation im Südosten der Türkei ökonomisch und politisch schwierig, vor allen Dingen deshalb, weil es kaum politische Initiativen gibt, um die Kluft zwischen dem Südosten der Türkei und dem Rest des Landes zu schließen.

Man muss auch darauf hinweisen, dass der berüchtigte § 301 des türkischen Strafgesetzbuches auch bei gewaltfreien politischen Meinungsäußerungen etwa zum Kurdenproblem angewandt wird. Umso wichtiger ist es, dass dieser Paragraf jetzt endlich aus dem türkischen Strafgesetzbuch verschwindet.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Lösungsansätze liegen, wenn man diese Mängelliste beschreibt, auf der Hand: sprachliche und kulturelle Freiheiten, mehr kommunale Selbstverwaltung, wirtschaftliche und soziale Programme zur Entwicklung des Südostens – das ist das, was eigentlich passieren muss. Ich hoffe, dass die AKP-Regierung hierzu die Kraft findet. Gerade diese Regierung hat vielleicht erstmals die Chance, diesen Aussöhnungsprozess tatsächlich einzuleiten. Sie spielt eine hervorragende Rolle im Nahostprozess. Der Besuch von Abbas und Peres gerade im Parlament in Ankara ist dafür ein Beleg. Die Türkei spielt eine wichtige Rolle in Afghanistan, und sie ist – das will ich hier hinzufügen – ein notwendiger Bestandteil jeder Iran-Strategie, die wir verfolgen wollen.

(Beifall der Abg. Uta Zapf [SPD] sowie des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Von daher ist – das möchte ich hier an die Adresse wessen auch immer sagen – die Europaorientierung der Türkei in beiderseitigem Interesse, im Interesse der Türkei und in unserem Interesse.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie hat eine Schlüsselrolle für die Energiefragen Europas inne, und deshalb muss es uns darum gehen, die Türkei so nah wie möglich an Europa heranzuführen, was immer dann das Ende dieses Prozesses sein mag.

Eine letzte Bemerkung anlässlich der Vorkommnisse, die wir in Deutschland erlebt haben, als es in der Türkei im Zusammenhang mit diesen Fragen sehr hoch herging. Es gibt überhaupt keine, nicht die geringste Legitimation für in Deutschland lebende Türkischstämmige oder Kurdischstämmige – oder wie immer man sich definiert –, diesen Krieg sozusagen als Stellvertreterkrieg in Deutschland zu führen – nicht die geringste!

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Grundgesetz garantiert hier ein friedliches Zusammenleben aller Menschen, egal woher sie kommen und wie sie sich sonst noch definieren mögen. Im Übrigen haben wir während der Kriege im ehemaligen Jugoslawien gesehen, dass es für die Kroaten, für die Serben und für die Bosniaken in Deutschland möglich war, hier friedlich zusammenzuleben, obwohl ihre ethnischen Brüder und Schwestern im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien im Krieg gegeneinander gestanden haben. Ich erwarte, dass es keine Gesinnungsrabatte auf Straftaten gibt und dass der Rechtsstaat mit aller gebotenen Härte auch gegen Anwandlungen, den Konflikt aus dem Südosten der Türkei auf die deutschen Straßen zu bringen, vorgeht und wir uns dagegen zur Wehr setzen, dass wir aber die türkische Regierung bei ihrem Bemühen unterstützen, zu einem friedlichen Ausgleich, zu einem Aussöhnungsprozess, mit den Kurden zu kommen. Das ist die Lösung. In diesem Sinne werden wir uns politisch auch weiter verhalten. Der Entschließungsantrag der Fraktion der Linken ist keine geeignete Basis dafür.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)