In einem offenen Brief an CDU und CSU forderten vergangene Woche 21 prominente Deutschtürken mehr Sachlichkeit in der Debatte um Jugendgewalt. "Wir verurteilen abscheuliche Überfälle wie in der Münchner U-Bahn", schrieben die Abgeordneten Özkan Mutlu und Bilkay Öney, der Schriftsteller Feridun Zaimoglu, die Schauspielerin Renan Demirkan und andere in der ZEIT (Nr. 5/08). Aber ein Wahlkampfpopulismus, wie ihn Roland Koch propagiere, schüre rassistische Ressentiments. Die Unterzeichner forderten enrsthafte Reaktionen auf eine fehlgeschlagene Integrationspolitik. Jetzt antworten Unionspolitiker auf Initiative des nordrhein-westfälischen Integrationsministers Armin Laschet (CDU). - Veröffentlicht in der ZEIT (Nr. 06/08) am 31. Januar 2008.
Sehr geehrte Damen und Herren,
mit Interesse haben wir Ihren Appell an CDU und CSU zur Kenntnis genommen. Auch wir sind für Sensibilität und Sachlichkeit in der Integrationspolitik. Daher erlauben wir uns einen Beitrag zu der aktuellen Debatte.
Wir möchten Sie gerne daran erinnern, dass es mit Jürgen Rüttgers ein christdemokratischer Regierungschef war, der 2005 nach Ablösung der rot-grünen Landesregierung das erste deutsche Integrationsministerium errichtet hat. Der 20 Punkte Aktionsplan zur Integration, den Nordrhein-Westfalen erarbeitet hat, wurde bundesweit beachtet und parteiübergreifend gelobt.
Auch möchten wir Sie daran erinnern, dass mit Angela Merkel zum ersten Mal nach über 50 Jahren Einwanderung in Deutschland eine christdemokratische Bundeskanzlerin Migranten und ihre Organisationen zu einem Gipfel eingeladen hat, um gemeinsam mit Politik, Wirtschaft, Medien, Kultur und Gesellschaft über Integration zu sprechen und Konsequenzen für politisches Handeln zu ziehen. Der Nationale Integrationsplan von 2007 ist das Ergebnis.
Dürfen wir Ihren Blick auch lenken auf die Deutsche Islamkonferenz, die der christdemokratische Innenminister Wolfgang Schäuble einberufen hat. Die klare und unverblümte Aussage, dass der Islam Teil der deutschen Gesellschaft ist und bleibt, hätten wir uns auch schon von seinem sozialdemokratischen Vorgänger gewünscht.
Auch für diese Erkenntnis brauchte die Politik über 45 Jahre seit dem Anwerbeabkommen mit der Türkei 1961.
Diese "demonstrative Erkenntnisverweigerung", wie Klaus Bade es genannt hat, hat die Politik in Deutschland viele Jahrzehnte geprägt. Nicht nur die Union, sondern alle politischen Parteien überboten sich in der Kampfrhetorik, die der Integrationspolitik nicht dienlich war. Dabei ist die Erkenntnis klar: Unsere älter werdende Gesellschaft, in der 38 % der Kinder eine Zuwanderungsgeschichte haben, braucht Potentiale eines jeden Kindes, das hier geboren ist.
Und auch wenn Sie den Blick auf Großstädte richten, werden Sie feststellen, dass auch hier Christdemokraten in Stuttgart und Frankfurt, in Duisburg und Essen, in Hamburg und Köln eine vorbildliche Integrationspolitik angestoßen haben und tagtäglich zum Gelingen des Miteinanders in vielfältigen Stadtgesellschafen beitragen.
Deutschland hat sich verändert! Die politischen Lager sind enger zusammengerückt. Dabei musste die Union erkennen, dass Deutschland de facto ein Einwanderungsland ist und es in der jahrzehntelang verschlafenen Integrationspolitik einen dringenden Nachholbedarf gibt. Das linke politische Lager ist ebenfalls zu der Erkenntnis gelangt, dass eine multikulturelle Einwanderungsgesellschaft kein immerwährendes Straßenfest ist und man auch klare Anforderungen formulieren muss. Und Daniel Cohn-Bendit hat Recht, wenn er für die politische Linke einräumt, man habe die Einwanderer idealisiert und zu spät die deutsche Sprache als zentrales Integrationsproblem erkannt. Dies führte dazu, dass Migranten Objekte der Politik waren und nicht deren Träger.
Der Erfolg der Integrationspolitik muss über Parteiengrenzen hinweg erfolgen. Integrationspolitik ist so fundamental für die Zukunft unseres Landes, dass sie nicht zu einem schnelllebigen Wahlkampthema degradiert werden darf. CDU und CSU haben Recht, wenn sie schreiben: Die beste Prävention gegen Jugendgewalt ist Bildung, individuelle Förderung und die Eingliederung der Eltern. "Eltern müssen begreifen, dass die Söhne nicht alles tun und lassen dürfen, was sie wollen". Anforderung an Werte, an Respekt vor dem Anderen: Auch das ist lange unterblieben in Zeiten politischer Kampflage. Gerade die christ-soziale Regierung im Freistaat Bayern leistet hier vorbildliches mit ihren Integrationsforen auf Bezirks- und kommunaler Ebene. Auch in Hessen sind mit der frühen Sprachförderung wichtige Akzente in der Integrationspolitik gesetzt worden.
Ihr Appell an CDU und CSU sollte deshalb ein Appell an die ganze Gesellschaft sein - an die Mehrheitsgesellschaft, wie an die Zuwanderer. Wir brauchen politische Vorbilder, Erfolgsgeschichten, für die Sie stehen, und die in dieser Klarheit sagen, dass die abscheulichen Vorgänge wie in der Münchener U-Bahn "die ganze Härte unserer bestehenden Gesetze" erfahren müssen.
Wir, Mitglieder der CDU und der CSU wissen, dass das, was der 17-jährige Grieche und der 20-jährige Türke gegenüber dem 76-jährigen Rentner getan haben, untypisch ist für die Kultur ihrer Eltern und Großeltern. Der Respekt vor dem Alter wird in Zuwanderfamilien oft höher geschätzt als bei manchen deutschen Jugendlichen.
Gewalt und Kriminalität gedeihen, wo Respektlosigkeit, mangelnde Bildung und Erziehung herrschen. "Dumm schlägt gut" - hat die taz getitelt. Umso mehr müssen wir anerkennen, dass Gewalt keinen ethnisches, sondern ein Bildungsproblem ist.
Deshalb muss ein ganzheitliches Bildungskonzept zentraler Baustein der Integrationspolitik sein: Frühe Sprachförderung ab dem vierten Lebensjahr, damit schon bei Schulbeginn gleiche Startchancen erreicht werden. Mehr Ganztagsagebote, bessere Durchlässigkeit der Schulzeiten, mehr Lehrer und Sozialpädagogen an Hauptschulen, damit kein Kind ohne einen Abschluss die Schule verlässt. Ein besserer Übergang von der Schule in die Ausbildung, damit jedes Kind eine solide Grundlage für seinen weiteren Berufsweg bekommt. Auch an den Hochschulen muss sich die Bevölkerungsstruktur widerspiegeln.
All das kann nur gemeinsam gelingen - Wir brauchen einen neuen parteinübergreifenden Konsens für die Integrationspolitik zusammen mit Migranten und der Mehrheitsgesellschaft, der auch über Wahlkämpfe hinweg hält und trägt.
Ole von Beust, 1. Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg; Armin Laschet, Integrationsminister des Landes Nordrhein-Westfalen; Christa Stewens, Sozialministerin des Freistaates Bayern; Dr. Friedbert Pflüger, Vorsitzender der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus; Rita Süssmuth, Bundestagspräsidentin a. D., vorm. Vorsitzende des Zuwanderungsrates der Bundesregierung; Peter Altmaier MdB, Parl. Staatssekretär im Bundesinnenministerium; Ruprecht Polenz MdB, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages; Adolf Sauerland, Oberbürgermeister der Stadt Duisburg; Fritz Schramma, Oberbürgermeister der Stadt Köln; Dr. Wolfgang Schuster, Oberbürgermeister der Stadt Stuttgart; Dr. Wolfgang Reiniger, Oberbürgermeister der Stadt Essen; ; Dr. Yasar Bilgin, Mitglied im Landesvorstand der CDU Hessen; Prof. Dr. Dieter Oberndörfer, Migrationsforscher Universität Freiburg; Bülent Arslan, Vorsitzender des Deutsch-Türkischen Forums; Ismail Akpinar, CSU Nürnberg; Emine Demirbüken-Wegner, Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses; Agül Özkan, Bürgerschaftskandidatin für Hamburg