Zu den Äußerungen des türkischen Premiers Tayyip Erdogan anlässlich seines Auftritts in der Köln Arena am 10. Februar und der sich anschließenden Diskussion zur Integration hat die Frankfurter Rundschau am 13. Februar 2008 den Artikel "Chor der Ablehnung" veröffentlicht, in dem auch Ruprecht Polenz Stellung bezieht. Der Beitrag von Thomas Kröter ist nachstehend in voller Länge zu lesen.
Chor der Ablehnung
Unionspolitiker stellen erneut die Europatauglichkeit der Türkei in Frage / Auch die SPD regt sich auf
Von Thomas Kröter
Tayyip Erdogan hat die deutsche Politik nachhaltig gegen sich aufgebracht. Die Empörung über die Forderung des türkischen Regierungschefs nach türkischen Schulen in Deutschland und seine Polemik gegen Assimilation hält an. Allerdings mischen sich auch erste Forderungen nach differenzierter Beurteilung in den Chor der Ablehnung.
Erdogans deutsche Gastgeberin Angela Merkel wollte noch mit ihrem Kollegen aus Ankara über dessen Integrationsverständnis "weiter diskutieren", CSU-Chef Erwin Huber will das offenbar lieber nicht. Er fordert, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei im Lichte der Äußerungen zu überprüfen. Ihre Aussetzung hatten CSU-Politiker allerdings bei verschiedenen Gelegenheiten schon vor der Kölner Rede gefordert.
Nun legen in großkoalitionärer Eintracht die Fraktionschefs von CDU/CSU und SPD im Bundestag nach. Peter Struck äußerte den Eindruck, Erdogan wolle eine türkische "Parallelgesellschaft in Deutschland installieren". Der SPD-Mann findet das "sehr unglücklich". Sein Unionskollege Volker Kauder erinnerte daran, wer als Türke die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen habe, müsse loyal zu Deutschland sein. Kauder sagte allerdings auch: "Integration heißt nicht Assimilierung." Ähnlich Maria Böhmer, die Integrationsbeauftragte im Kanzleramt: "Es geht uns ja nicht um Assimilation", sagte die CDU-Politikerin. Diese Diskussion sei "von gestern. Es geht um Integration".
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz, setzt sich im Gespräch mit der FR vom herrschenden Debatten-Ton ab. "Die Regierung Erdogan ist die erste in der Türkei, die nicht nur erkannt hat, dass die Türken, die dauerhaft in Deutschland leben, sich hier integrieren müssen, sondern auch etwas dafür tut", sagte der frühere CDU-Generalsekretär. So sorge sie etwa für eine bessere Vorbereitung der muslimischen Imame, die in die Bundesrepublik kämen. In seiner Kölner Rede habe der Ministerpräsident die Türken in Deutschland aufgefordert, Deutsch zu lernen, sich zu bilden und so den gesellschaftlichen Aufstieghierzulande anzustreben. Polenz: "Wir sollten verstehen, dass Heimatgefühl nichts exklusives ist. Man kann sich sehr wohl in seiner Heimat Deutschland zu Hause fühlen, ohne das Land der Eltern oder Großeltern zu vergessen."
Polenz beklagte, dass es "zwischen Deutschen und Türken, zwischen der Türkei und Deutschland offenbar eine Bereitschaft zu gegenseitigem Misstrauen" gebe. Dies habe die Aufregung über Erdogans Rede, aber auch sein Auftritt wieder einmal gezeigt. Ähnlich wie Polenz äußerte sich die Vorsitzende der Grünen, Claudia Roth. Gegenüber der Frankfurter Rundschau nannte Roth es "unglaublich", dass von Erdogans Kritikern nicht gewürdigt werde, "wie er versucht hat, die Stimmung in Ludwigshafen zu beruhigen". Er habe auch ganz klar die deutschen Polizisten und Feuerwehrleute für ihre Arbeit gelobt. In seiner Kölner Rede habe Erdogan als erster türkischer Regierungschef seine Landsleute in Deutschland aufgefordert, Deutsch zu lernen, argumentierte die Grünen-Politikerin.
Eine Zwischenposition nimmt FDP-Generalsekretär Dirk Niebel ein: "Die angemessenen Worte der Mäßigung zur Bewertung der Lage nach der schmerzlichen Brandkatastrophe von Ludwigshafen stehen im krassen Widerspruch zu der Kundgebung für eine Klein-Türkei in Deutschland", sagte er der FR. So wirkten Erdogans Aufforderungen. Deutsch zu lernen "eher wie ein Lippenbekenntnis". Was den EU-Beitritt angeht will der FDP-Politiker nicht so weit gehen wie die CSU, merkt aber an, das weder EU noch Türkei aktuell bereit dafür seien. Niebel: "Die ergebnisoffenen Beitrittsverhandlungen werden noch Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte brauchen."
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