Ruprecht Polenz

Rede von Ruprecht Polenz in der Aktuellen Stunde des Bundestages zum Thema Afghanistan vom 13. Februar

Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich will mit drei Zahlen anfangen: Etwa 60 Prozent der deutschen Bevölkerung sind für einen möglichst schnellen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Drei Viertel des Deutschen Bundestages haben diesem Einsatz zugestimmt und ihn für ein weiteres Jahr mandatiert. 80 Prozent der Bevölkerung von Afghanistan sind der Meinung, dass die ausländischen Soldaten bleiben müssen, weil sonst nicht für ihre Sicherheit gesorgt ist.

Nun debattieren wir hier im Deutschen Bundestag. Deshalb ist es notwendig, dass wir uns einmal etwas intensiver mit der Haltung und den Gründen auseinandersetzen, die zu dieser Einschätzung in der deutschen Bevölkerung führen. Ich weiß nicht, wie es Ihnen in Ihren Veranstaltungen geht und was Sie ihrer Post entnehmen. Ich glaube, es gibt zwei tiefer liegende Gründe für die Skepsis gegenüber dem Einsatz. Darauf müssen wir zuerst reagieren, ehe wir über konkrete Einzelheiten des Einsatzes sprechen können: Was klappt? Was klappt nicht? Wie weit sind wir? Wohin wollen wir?
Aus meiner Sicht sind es vor allen Dingen die Kriegsgeneration oder diejenigen, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit groß geworden sind, die aus dem Zweiten Weltkrieg zu Recht die Lektion gelernt haben: Das war ein Verbrechen, und das darf nie wieder passieren. Aber sie haben daraus auch eine zweite Lektion gelernt, ich halte sie für falsch, die lautet: Wir Deutsche sollten uns in der Zukunft besser heraushalten; dann machen wir auch nichts verkehrt. Mit dieser Haltung haben wir zu kämpfen. Die Linke bedient diese Haltung. Herr Schäfer hat vorhin davon gesprochen: Wir sollten uns nicht in Dinge verstricken. Das gibt genau diese Haltung wieder. Lassen Sie es mich einmal so formulieren: Aus dem deutschen Überfall aus Polen erwächst für das heutige Deutschland kein Recht auf unterlassene Hilfeleistung.
Das Gegenteil ist richtig.
Die Forderung, sich herauszuhalten, knüpft an eine zweite, urmenschliche Erfahrung an: Wenn man selbst einem anderen nichts Böses tut, dann passiert einem umgekehrt in der Regel auch nichts. Im unmittelbaren persönlichen Umfeld macht hoffentlich jeder diese Erfahrung. Aber schon in der Gesellschaft allgemein trifft diese Erfahrung nicht mehr zu, wie wir wissen; sonst brauchten wir keine Polizei. International gesehen, ist diese Erfahrung erst recht weder historisch noch aktuell je richtig gewesen.
Was den Terrorismus betrifft, müssen wir doch wissen: Der Terrorismus lebt von der Unschuld der Opfer. Das heißt, die Strategie, sich gegenüber Terroristen herauszuhalten, funktioniert nicht. Auch hier bedient die Linke diese Haltung, indem sie quasi Ursache und Wirkung umkehrt und der deutschen Bevölkerung suggeriert: Weil wir uns engagieren, sind wir nunmehr gefährdet.
Der 11. September wurde von Leuten geplant und durchgeführt, die alle über Wochen und Monate in Trainingscamps der al-Qaida in Afghanistan waren. Schon vorher, Ende der 90er-Jahre, waren die Bombenanschläge auf die amerikanischen Botschaften in Afrika von afghanischem Territorium ausgegangen. Es gab in der Zwischenzeit die Anschläge in Madrid, London, Istanbul, Amsterdam, Paris, Glasgow, Bali und Djerba. Diese Anschläge haben stattgefunden, ausgeübt von al-Qaida. Allein das begründet schon, dass wir alles tun müssen, damit Afghanistan nicht wieder eine sichere Zuflucht für die al Qaida-Mitglieder wird, etwa wenn die Taliban den Süden Afghanistans oder das ganze Land wieder in ihre Hand bekämen, wie es in den 90er-Jahren der Fall war.
Was wir aber gar nicht so wahrnehmen, was hier auch einmal vorgetragen werden muss und was eben auch begründet, dass wir wegen unserer eigenen Sicherheit in Afghanistan sind, sind die vielen Anschläge, die glücklicherweise rechtzeitig entdeckt und vereitelt worden sind. Es gab sehr konkrete Pläne der al-Qaida, eine ganze Reihe von Flugzeugen über dem Atlantik gleichzeitig explodieren zu lassen, in der Londoner U-Bahn Anschläge mit Rizin zu verüben, in der Metro in Paris chemische Waffen einzusetzen, mit Autobomben Anschläge in England, Belgien und Deutschland zu verursachen und Bombenanschläge auf Hochgeschwindigkeitszüge in Deutschland und Spanien durchzuführen. Außerdem war geplant, in Dänemark zwei Anschläge auszuüben. Dort wurden in Häusern Anleitungen zum Bombenbauen und die erforderlichen Materialien gefunden. Glücklicherweise konnten sie vereitelt werden. Gerade vor kurzem sind in Barcelona 14 Verdächtige festgenommen worden, die Selbstmordattentate gegen Transportsysteme in Spanien, Portugal, Frankreich, Großbritannien und Deutschland geplant haben.


Liebe Kolleginnen und Kollegen,
das Streben nach Autarkie ist im Zeitalter der Globalisierung eine falsche politische Zielsetzung. Das gilt für die Ernährung, für die Energie und erst recht für die Sicherheit.
Aus diesem Grunde haben wir auch eine Bündnisverpflichtung; denn nur darin können wir unsere Sicherheit schützen. Ohne Frieden in Afghanistan gibt es keine Sicherheit für Deutschland.